Nach gängiger Auffassung ist „Big Tech“ ein „Winner-takes-all“-Sektor. Demnach ist es sehr schwierig, im Schatten der Technologiegiganten erfolgreich zu sein. Allerdings beobachten wir zahlreiche Nischenanbieter, die diese Sichtweise infrage stellen.
30.12.2021 | 07:14 Uhr
Zwar dürfte die Zahl der langfristigen Gewinner des allgemeinen Digitalisierungstrends klein bleiben, dennoch glauben wir, dass Anleger den Wald angesichts einiger sehr großer Bäume nicht aus den Augen verlieren sollten.
Langfristiger Erfolg im Internetbereich wird häufig im Wesentlichen als abhängig von Größe und Reichweite angesehen. Das steht im Einklang mit der Tatsache, dass in den letzten zwei Jahrzehnten eine kleine Zahl von Technologieunternehmen imstande war, ihre Geschäftsfelder dramatisch auszuweiten und zu den dominierenden „Technologiegiganten“ von heute zu werden.
Charakteristisch für diese großen Technologiefirmen ist typischerweise eine wachsende Palette an Produkten und Dienstleistungen, die weltweit einer immer größeren Gesamtheit potentieller Nutzer angeboten werden. Insbesondere Unternehmen, die über ein Marktplatz- oder Plattform-Geschäftsmodell verfügen, konnten ihre Reichweite extrem schnell über ihr ursprüngliches Marktsegment und ihre Heimatregion hinaus vergrößern.
Uber und Airbnb zählen zu diesen ursprünglich nur Insidern vertrauten Plattformen, die sich zu wegweisenden globalen Anbietern entwickelt haben.1 Begonnen haben diese Unternehmen mit der Disruption ihrer angestammten Heimatmärkte. Anschließend haben sie ihr Geschäftsmodell in anderen Ländern repliziert. Dadurch sind ihre Markennamen zu Synonym für alltägliche Aktivitäten geworden wie zum Beispiel das Anfordern eines Taxis oder das Buchen einer Unterkunft.
Der Erfolg der heutigen Internetgiganten war dermaßen spektakulär, dass sie häufig als nicht aufzuhaltende Kolosse angesehen werden. Daher sind sie zunehmend ins Visier von Aufsichtsbehörden weltweit geraten, die ihre dominante Position in vielen Bereichen einzudämmen versuchen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Durchgreifen der chinesischen Behörden gegenüber diversen sehr bekannten Firmen.2
Doch trotz der scheinbaren Vorherrschaft einiger weniger Internetgiganten in weiten Bereichen der digitalen Sphäre bleibt der Wettbewerb unter der Oberfläche intensiv. Disruptive Unternehmen werden selbst zum Opfer von Disruption durch neue Anbieter. Ein Beispiel für diesen permanenten Kampf um Marktanteile ist die mittlerweile berühmte Entbündelung von „Craigslist“, die vor mehr als zehn Jahren von einem Analysten der US-Wagniskapitalfirma Spark Capital ausgearbeitet wurde.3
Neue Wettbewerber können den führenden Anbietern Marktanteile abnehmen, indem sie Produkte und Dienstleistungen anbieten, die die spezifischen Bedürfnisse zumindest eines Teils der Kundenbasis der etablierten Firmen besser abdecken, beispielsweise durch schnellere und bequemere Bereitstellung oder überlegenen Kundendienst. Das stellt die verbreitete Auffassung infrage, dass der Großteil der Innovation innerhalb der Technologiegiganten stattfindet.
Der E-Commerce ist vermutlich einer der Bereiche, in denen die digitale Revolution den fundamentalsten Wandel ausgelöst hat. In den letzten 20 Jahren hat Online-Shopping weltweit einen spektakulären Aufstieg erlebt. Dadurch sind die Karten im Einzelhandel neu gemischt worden. Zusätzlichen Schub erhielt dieses Phänomen durch die „Social Distancing“-Vorgaben angesichts der Covid-19-Pandemie.
In diesem Zusammenhang waren die offensichtlichen Gewinner der „Großen Beschleunigung“ des E-Commerce die Online-Giganten des Einzelhandels. Allerdings sind diese großen Online-Einzelhändler keineswegs die einzigen, die in den letzten Jahren von der umfangreichen Verlagerung der Einzelhandelsumsätze in die Online-Sphäre profitiert haben. Tatsächlich haben daneben auch zahlreiche kleinere Nischenanbieter floriert.
Einige dieser Wettbewerber sind lokale Einzelhändler, die typischerweise überlegene digitale Strategien verfolgen. Ebenso haben Tausende kleiner lokaler Marktteilnehmer mittels Software und Services Zugang zu modernsten digitalen Tools erhalten. Es gibt aber noch zahlreiche weitere Beispiele von Unternehmen, die innovative Lösungen für den Bereich E-Commerce anbieten. Diese reichen von Fullfillment-Zentren bis zu Anbietern von Kundenbindungsprogrammen.
Tools zur Online-Zusammenarbeit stellen einen weiteren Bereich dar, in dem die Lockdowns im Zuge der Coronavirus-Pandemie einen beträchtlichen Nachfrageschub ausgelöst haben. Da viele Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten mussten, wurden für Unternehmen und Angestellte Produkte unverzichtbar, die eine reibungslose Kommunikation ermöglichen. Die Nachfrage nach den Tools der Internetgiganten zur Online-Zusammenarbeit stieg enorm.4
Doch diese großen Anbieter waren nicht die einzigen, die von dem Boom profitierten. Auch das Geschäft vieler kleinerer Anbieter florierte. Die Firma Zoom Video Communications beispielsweise war in der Welt der Unternehmenssoftware relativ unbekannt und erlangte praktisch über Nacht weltweite Bekanntheit.5
Grafik 1: Auf Zoom verbrachte Minuten (in Mrd. p.a.)
Quelle: Unternehmensdaten, Robeco; Geschäftsjahresende: 31. Januar, Datenangabe zum letzten Monat des Quartals (annualisiert).
Während die Volkswirtschaften wieder hochfahren, bleibt die Zukunft der Arbeit ungewiss. Allerdings scheint sich in vielen Unternehmen ein Konsens im Hinblick auf flexiblere und hybride Arbeitsformen herauszubilden.6
Alle Mitarbeiter vernetzt zu halten, sei es im Büro oder zuhause,
dürfte die Abhängigkeit von Tools zur digitalen Zusammenarbeit sowie
anderen zugehörigen Services erhöhen.
n den letzten zehn Jahren haben sich große Technologiefirmen zunehmend auf den Finanzdienstleistungsbereich ausgerichtet. Dabei haben sie in Segmente wie Zahlungen, Versicherungen und Kreditvergabe expandiert. Diese Vorstöße in den Finanzsektor waren unterschiedlich erfolgreich. Doch die erfolgten Durchbrüche waren bedeutend genug, um bei den Finanzaufsichtsbehörden die Alarmglocken angehen zu lassen.
Ungeachtet der beträchtlichen Anstrengungen von Big Tech war der bisherige Erfolg alles andere als überwältigend. Die etablierten Finanzdienstleister haben sich bislang bemerkenswert robust gezeigt, während zahlreiche disruptive Fintech-Unternehmen entstanden und erfolgreich sind. Das rapide Wachstum von Unternehmen, die in Bereichen wie mobiles Bezahlen, digitale Kreditvergabe oder Vermögensverwaltung aktiv sind, illustriert diese Dynamik.
Bestätigt wird dies auch durch die Rekordzuflüsse von Wagniskapital in die Fintech-Branche seit Beginn dieses Jahres: So ist das Finanzierungsvolumen im zweiten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 192 % auf 31 Mrd. US-Dollar gestiegen.7 Im Fokus stand dabei insbesondere das Zahlungssegment, in welches beträchtliche Mittel flossen.
In den letzten Jahren ist es zu einer starken Verschiebung bei der Nutzung des Internets, seinem Entwicklungstempo und im Hinblick darauf gekommen, wo und durch wen neue Technologien geschaffen werden. Besonders deutlich wird diese Verschiebung bei der Betrachtung der internationalen Zusammensetzung der Internetnutzer: So verlagert sich der Schwerpunkt der Internetnutzer allmählich aus den entwickelten Ländern zu den Emerging Markets.
Dieses Phänomen hat in vielen Schwellenländern lokale technologische Ökosysteme entstehen lassen. Das offensichtlichste Beispiel dafür ist China mit seinem hochentwickelten Internetsektor. Das Land ist aber keineswegs ein Einzelfall. Diese lokalen Ökosysteme treten derzeit in ein reifes Stadium ein. Dabei ist es zur Schaffung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie zur Entstehung lokaler und regionaler Internet-Champions gekommen.
Grafik 2: Herkunft von Technologieunternehmen, die von 2014-2020 in Schwellenländern gegründet wurden (%)
Quellen: Analyse von BCG; BCG Center for Growth and Innovation Analytics, November 2020. Hinweis: CapIQ verarbeitete Daten von mehr als 10.000 Unternehmen, die seit 2014 gegründet wurden. Definition des Technologiefokus auf Basis der Branchenklassifikation von CapIQ.
Diese Unternehmen fordern die globalen Technologiegiganten heraus, indem sie Produkte und Dienstleistungen anbieten, die auf die spezifischen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung sowie das jeweilige regulatorische Umfeld zugeschnitten sind. In einer Studie aus dem Jahr 20208 fand die Boston
Consulting Group heraus, dass die Umsätze dieser neuen Wettbewerber zwar
noch relativ gering sind, aber sechsmal schneller wachsen als die der
Technologiefirmen im S&P 500 Index.
1 Siehe beispielsweise: K. Wu, „The platform economy”, Sparkline Capital Report, Dezember 2020.
2 Quelle: H. Lockett, „China tech stocks rebound on hopes peak regulatory risk has passed”, Financial Times, 27. Oktober 2021.
3 Quelle: A. Parker, „The Spawn of craigslist”, Blog-Post vom 21. Januar 2010.
4
Siehe beispielsweise: ResearchAndMarkets.com, „Team Collaboration Tools
Market - Growth, Trends, COVID-19 Impact, and Forecasts (2021 - 2026)",
Marktreport, 12. März 2021.
5 Siehe beispielsweise: T.
Braithwaite, „Tech’s pandemic winners offer clues to the future of
work”, Financial Times, 18. Juni 2021.
6 Siehe
beispielsweise: A. De Smet, B. Dowling, M. Mysore und A. Reich, „It’s
time for leaders to get real about hybrid”, Artikel von McKinsey, 9.
Juli 2021.
7 Quelle: CB Insights, „State Of Fintech Q2’21 Report: Investment & Sector Trends To Watch”, Report vom 22. Juli 2021.
8
Quelle: T. Chan, O. Dantas, L. Ivers, I. Kotov, A. Kurbay, N. Lang, M.
Meyer, O. Rival, S. Verma und Y. Kim, “2020 BCG Tech Challengers”,
Report von November 2020.
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