Shareholder Value: Netflix Update - Gerade jetzt aussichtsreich

Technologie

Der Ausverkauf im Techsektor hat viele Opfer. Netflix gehört auch dazu. Kurzfristig waren die Abozahlen enttäuschend. Unser Blick geht aber weit in die Zukunft. Nach unserer aktuellen Analyse sind wir weiterhin überzeugt: Auf Sicht von 5 Jahren hat Netflix sehr gute Perspektiven.

01.06.2022 | 10:14 Uhr

Als Value-Investor braucht man starke Nerven, denn es kommt immer wieder vor, dass man sich gegen den Strom stellen muss. Während die Masse der Investoren Netflix schon auf das Abstellgleis gestellt hat, haben wir die Aktie nach dem jüngsten Ausverkauf noch einmal genau unter die Lupe genommen. Wie Sie wissen, habe ich den Streaminganbieter hier im Frankfurter Investment Blog erst kürzlich ausführlich vorgestellt.

In der aktuellen Diskussion zu Netflix steht nun ein Punkt im Fokus: Netflix hat erstmals seit 11 (!!) Jahren Kunden verloren. Damit ist der Wachstumspfad zu Ende und das Plateau ist erreicht. Oder um es mit einem alten Schlager von Hilgedard Knef zu sagen: „Von nun an geht`s bergab…“

Nun ist der Kundenrückgang eine Tatsache. Doch lohnt es sich, hier genauer hinzuschauen. Allein 700.000 Abos hat Netflix in Russland erst einmal wegen der Sanktionen gegen das Putin-Regime auf Eis gelegt. Selbst mit diesen Abos wäre Netflix aber hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Zudem prognostiziert der US-Streaming-Gigant für das laufende Quartal eine Fortsetzung des negativen Trends.

Ein Auslöser war sicherlich die Preiserhöhung Anfang des Jahres, die in den USA zu einem deutlichen Anstieg bei den Kündigungen geführt hat. Laut der Branchenkenner von Antenna.live erreichten die Kündigungen mit 3,6 Millionen ein deutlich höheres Niveau als in den beiden Quartalen zuvor, in denen die Zahl jeweils im Bereich um 2,5 Millionen lag. Wichtig für das weitere Wachstum: Die Zahl der neuen Netflix-Kunden legte im ersten Quartal in den USA um 2,8 Millionen zu und bewegte sich damit im Rahmen der Zuwächse seit Ende 2020. Diese Daten haben ebenfalls die Experten von Antenna.live ermittelt.

Die Kündigungen bei Netflix haben nicht zu massiven Zuwächsen bei den anderen Anbietern geführt. Das ist das Ergebnis einer Studie von Ampere Analysis. Demnach haben 87 Prozent der ehemaligen Netflix-Kunden in den zwei Wochen nach der Kündigung keinen neuen Streaming-Dienst abonniert. Laut Ampere Analysis haben die Kunden vor allem aus Kostengründen gekündigt, weil die anziehende Inflation das verfügbare Einkommen zuletzt eingeschränkt hat. Dieser Trend könnte ein Risiko für Netflix in den kommenden Quartalen bleiben.

Netflix ist der wichtigste Streaminganbieter weltweit

Doch für uns geht der Blick deutlich weiter nach vorne als nur ein oder zwei Quartale. In Bezug auf die zukünftige Rolle von Netflix stellen wir uns zwei zentrale Fragen:

  1. Werden Streaming-Dienste im Vergleich zum linearen Fernsehen zukünftig weitere Marktanteile gewinnen?
  2. Und wenn dem so ist, wird dann Netflix die erste Wahl der neuen Kunden sein?

Zunächst einmal haben wir keinen Zweifel, dass die On-Demand-Angebote im Fernsehen den Kampf gegen das lineare Fernsehen gewinnen werden. Auf Sicht der kommenden 10 Jahre werden Streaminganbieter wie eben Netflix strukturell Marktanteile erobern – dieser Trend hat schon begonnen und wird sich weiter fortsetzen, weil eine Generation von Nutzern heranwächst, die mit dem klassischen Fernsehen nichts mehr anfangen kann und Streamingdienste als die neue Normalität wahrnimmt. Dahinter steht die Grundidee, dass man seinen Kunden eine große Auswahl gibt und die Freiheit, die Inhalte unabhängig von Endgeräten und Sendezeiten zu schauen. Das sorgt für eine größere Zufriedenheit der Kunden und sie bleiben dem On-Demand-Angebot oft länger treu.

Die Beantwortung der zweiten Frage ist dabei schon deutlich herausfordernder. Nimmt man den aktuellen Status, dann ist Netflix der größte Streaming-Anbieter weltweit – doch das Unternehmen spürt den Atem der Konkurrenz schon im Nacken. Amazon Prime, Disney Plus oder Apple TV+ sprechen die gleiche Zielgruppe an. Dabei haben die Netflix-Mitbewerber laut Branchendienst Nielsen immerhin 85 Prozent der zusätzlichen US-Fernsehzeiten auf sich vereinen können.

Speziell bei diesen drei Anbietern ist Streaming jedoch nur eines von sehr vielen Geschäftsfeldern. Netflix ist Platzhirsch der Branche und kann auch als Nummer zwei oder drei in wichtigen Märkten weiterhin ertragreich agieren. Medienmärkte sind selten geprägt von einem dominanten Player – also einem Monopolisten. Medienmärkte sind in der Regel Oligopole, bei dem für die größten Anbieter genügend Marktanteile bleiben. Ein Beispiel dafür sind die großen US-Filmstudios wie MGM oder Universal Pictures, die über einen langen Zeitraum mit ihren aufwändigen Hollywood-Produktionen die Bildsprache in den Kinos bestimmt haben und dabei noch viel Geld verdienen konnten.

Doch Größe allein ist kein Erfolgsgarant im Medienbusiness und so ist der weitere Erfolg von Netflix keinesfalls garantiert. Hier kommt dem Management von Netflix für die weitere Entwicklung eine entscheidende Rolle zu: Schafft es die Führungsetage rund um Netflix-Gründer Reed Hastings, diese Führungsposition in Zukunft zu verteidigen oder zumindest auf den Spitzenplätzen zu bleiben? Dazu gehört ohne Frage eine ertragsorientierte Strategie und möglicherweise die Erschließung neuer Umsatzquellen.

Die globale Ausrichtung von Netflix bietet hier jedoch klare Vorteile. So spielt Indien hinsichtlich der Umsätze derzeit noch keine große Rolle bei Netflix – das ist nicht verwunderlich bei Abo-Umsätzen von rund einem US-Dollar pro Monat. Doch das weitere wirtschaftliche Wachstum in Ländern wie Indien wird auf Sicht der nächsten 5 Jahre viele neue Kunden bringen, die dann auch stetig höhere Umsätze beisteuern werden.

Neue Strategie: Bald auch Werbeeinnahmen

Zwei mögliche Maßnahmen dazu hat das Management jetzt schon angedeutet. So sollen die aktuell zahlreichen Mehrfachnutzungen von Netflix-Accounts zukünftig eingeschränkt werden. Tatsächlich schätzt Netflix, dass allein in den Vereinigten Staaten bis zu 30 Millionen Haushalte den Netflix-Account eines anderen Haushaltes nutzen. Im restlichen Teil der Welt wären es dann noch einmal weitere 70 Millionen Haushalte. Dieses Problem will Netflix nun aktiv angehen.

Zusätzlich hat das Netflix-Management die Einführung eines werbefinanzierten und damit günstigeren Abos für die kommenden 12 bis 24 Monate angekündigt. Gerade diesen Aspekt sehen viele Investoren kritisch – bedeutet er doch die Abkehr vom bisherigen werbefreien Geschäftsmodell. Unsere Analysten haben sich vor allem diesen Aspekt genauer angeschaut. Tatsächlich gibt es so etwas schon bei Hulu, einem anderen Streaming-Dienst aus den USA. Damit bietet sich eine gute Basis für eine Kalkulation der Folgen für Netflix.

Hulu bietet dieses werbefinanzierte Abomodel für 6,99 Dollar pro Monat an. Die werbefreie Version kostet hingegen 12,99 Dollar. Schon 2019 hat Hulu Zahlen zur Abostruktur veröffentlicht. Demnach nutzen 70 Prozent der Kunden die günstigere Version. Die Branchenkenner von EMarketer haben 2021 geschätzt, dass die Werbeumsätze in diesem Jahr 3,13 Milliarden Dollar erreicht haben – also rund 8,51 Dollar Werbeumsatz pro Monat und Kunde.

Hieran ist erkennbar, dass geringere Umsätze bei den einzelnen Kunden durch die Werbeeinnahmen aufgefangen werden können. Genauere Angaben zu den konkreten Folgen für Netflix sind jedoch noch mit sehr viel Unsicherheit verbunden, weil noch keinerlei Details zu den neuen Aboplänen vorliegen.

Netflix zu Unrecht auf dem Niveau von 2018

Netflix dreht aktuell an einigen Stellschrauben, um so das Wachstum nach vorne zu bringen. An der Börse wird das weitere Potenzial von Netflix derzeit nicht gesehen. Mit seinem Aktienkurs steht der Streaminganbieter heute genau da, wo die Aktie Anfang 2018 stand. Doch damals war es ein ganz anderes Unternehmen. Auch wenn das Wachstumstempo nachlässt, so ist der Streaminganbieter doch sehr gut positioniert, um seine vorherrschende Marktstellung in den kommenden Jahren nicht nur zu halten, sondern sogar noch weiter auszubauen.

Heiko Böhmer
Heiko Böhmer

Heiko Böhmer

Heiko Böhmer verfügt über mehr als 20 Jahre Finanzmarkterfahrung. Als Kapitalmarktstratege bei Shareholder Value Management zeigt er, wie wirtschaftliche Entwicklungen und Anlagetrends zusammenhängen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Einzeltiteln und den Aktienstrategien von Shareholder Value Management.

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