Die jüngste Diskussion über den Sinn von Quartalsberichten in den USA geht am Thema vorbei. Worum es wirklich geht.
20.12.2018 | 09:50 Uhr
Einige Tweets haben vor Kurzem die Diskussion über den Zweck von Quartalsberichten erneut angefacht. Wir glauben aber, dass sich die Debatten zu sehr auf die Häufigkeit der Berichterstattung konzentrieren und dabei den tatsächlichen Problemen nicht genug Aufmerksamkeit schenken: Die Informationen sind zu umfangreich und nicht immer relevant, und der Vorgang ist teuer und aufwändig.
Ich werde nie die Erklärung meines Professors zum Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen vergessen: „Das erste Bier schmeckt immer am besten.”
In wirtschaftlicher Hinsicht sinkt der anfängliche Nutzen eines Guts oder einer Dienstleistung bei sich erhöhender Verfügbarkeit gegen null. Diese volkswirtschaftliche Regel ist in vielerlei Hinsicht für die Diskussion über Quartals- und Halbjahresberichte relevant.
Abnehmender Grenznutzen
Quelle: Schroders.
Diese Debatte zieht sich seit Jahren hin und konzentriert sich in der Regel auf die Kosten im Vergleich zum Nutzen für Aktieninvestoren. Die Unternehmensberichterstattung nahm 1903 ihren Anfang, als US Steel zum ersten Mal ihren Jahresbericht freiwillig veröffentlichte. Die Veröffentlichung von Finanzinformationen von börsennotierten Unternehmen wurde jedoch erst 1911 verpflichtend, als im US-Staat Kansas das erste „Blue Sky”-Gesetz verabschiedet wurde. Im Lauf der Zeit übernahmen weitere Staaten dieses Konzept. Aber erst nach dem schwarzen Donnerstag und der Great Depression nahm sich der Staat der Berichterstattung an und führte 1934 den Securities Exchange Act ein, der standardisierte regelmäßige Finanzinformationen von börsennotierten Unternehmen verlangt. Damit sollten Anleger bei der Bestimmung und Einpreisung der Fremd- und Eigenkapitalkosten unterstützt werden.
Börsennotierte Unternehmen sind in den USA verpflichtet, die Form 10-Q („Q”) in jedem der ersten drei Quartale eines Geschäftsjahrs und einen Jahresbericht gemäß der Form 10-K („K”) am Ende ihres vierten Quartals zu veröffentlichen. Treten während des Quartals wichtige Ereignisse ein, müssen Unternehmen die Form 8-K einreichen.
Die meisten Anleger reagieren auf den Bericht des ersten Quartals, der über eine Form 8-K veröffentlicht wird, einige Wochen nach Ende des Quartals. Mehrere Wochen nach der Veröffentlichung wird die Q-Form veröffentlicht – ein ungeprüftes Dokument von der Länge eines Telefonbuchs, das aus Juristenjargon und buchhaltungstechnischen Standardformulierungen besteht.
Die regelmäßig entstehenden Ausgaben, die mit den Berichtspflichten für börsennotierte Unternehmen einhergehen – Rechts-, Finanzberichterstattungs-, Finanzkommunikations- und Prüfungskosten – sind erheblich, was insbesondere für kleinere Unternehmen eine Herausforderung darstellt. In manchen Fällen wird davon ausgegangen, dass dies einer der Faktoren ist, die ein Unternehmen bewegen, von der Börse zu gehen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl börsennotierter Unternehmen von 7.600 auf rund 3.500 mehr als halbiert.1
Besonders betroffen ist davon der Hochzinsmarkt, wo über ein Drittel der Neuemissionen von privaten Unternehmen ausgegeben wird. Die Kosten sind von der Größe und Komplexität eines Unternehmens abhängig. Im Durchschnitt werden die Kosten eines börsennotierten Unternehmens jedoch auf jährlich über 1,5 Mio. USD geschätzt.2 Zusätzlich zu den Kosten der Vorbereitung fallen Kosten für die vierteljährliche Verarbeitung der Q-Formulare an.
In den USA gibt es rund 14.000 Researchmitarbeiter bei Anlagemanagern.3 Wenn diese Mitarbeiter viermal im Jahr eine Stunde damit verbringen, die Finanzberichte von 24 Unternehmen zu lesen, summiert sich das auf über 1.000.000 Stunden zur Untersuchung historischer Informationen.
Die Kosten, die mit der Vorbereitung und Analyse von Quartalsberichten einhergehen, sind beträchtlich, aber auch der unnötige Handel zum Quartalsende und die damit assoziierten Transaktionskosten in Reaktion auf die häufig veröffentlichten Finanzinformationen summieren sich.
Zwar ist es schwierig, die unnötigen Transaktionskosten für Anleihen zu identifizieren, die direkt auf die Quartalsberichterstattung zurückzuführen sind. Insgesamt ist jedoch zu sagen, dass die Handelskosten beträchtlich sind.
Eine Studie der University of Southern California Marshall School of Business aus dem Jahr 2015, die die Kosten des Anleihehandels (Geld-Brief-Spanne) analysierte, schätzte die Gesamttransaktionskosten für die 12 Monate bis zum März 2015 auf 26 Mrd. US-Dollar.4 Dies ist besonders hoch, wenn man diese Zahl mit dem Renditeniveau von US-Staatsanleihen und den Renditeaufschlägen von Unternehmensanleihen vergleicht.
Von den liquidesten Serien der größten Emittenten abgesehen, können die Transaktionskosten für den Kauf und Verkauf von Unternehmensanleihen fünf bis zehn Prozent oder mehr des Spreads betragen, was die Gesamtrendite für den Anleger erheblich schmälert. Natürlich sind Anleger nicht zum Handel gezwungen, wenn neue Finanzinformationen veröffentlicht werden, aber einen Anreiz dazu bieten sie durchaus.
Diese Verarbeitungs- und Transaktionskosten werden von den Emittenten, Analysten und Investoren getragen. Besonders geprüft werden jedoch die Unternehmenskosten. Geschäftsführer befürchten, dass sich Unternehmen zu sehr auf kurzfristige Gewinne und nicht auf die Investition in ihre Mitarbeiter, ihr Research oder ihre Aktivitäten konzentrieren.
Zwar steigen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den USA5, man könnte jedoch argumentieren, dass die Ausgaben noch höher oder schneller wachsen könnten, wenn weniger Berichte veröffentlicht werden würden. Die Geschäftsleitung hätte den notwendigen Spielraum, um strategische Investitionen zu erhöhen, was zwar die Gewinne auf kurze Sicht reduzieren würde, sich aber bei einem gezielten Einsatz der Investitionsausgaben auf lange Sicht lohnen könnte.
Ergebnisse einer Studie von McKinsey zeigen, dass eine längerfristige Perspektive gegenüber einer kurzfristigen Ausrichtung tatsächlich zu höheren Umsätzen führt. Gemäß der Studie war der Umsatz von langfristig orientierten Unternehmen zwischen 2001 und 2014 um durchschnittlich 47 % höher als bei kurzfristig orientierten Unternehmen, und wies darüber hinaus auch geringere Wertschwankungen auf. So stiegen auch die Gewinne der langfristig orientierten Unternehmen um 36 % gegenüber anderen Unternehmen in diesem Zeitraum. Ihr wirtschaftlicher Gewinn war um 81 % höher.6
Der Kern der Debatte, insbesondere wenn es um Unternehmenskosten geht, sind nicht die Quartals- oder Halbjahresberichte, sondern die Vorgaben. Unternehmen steuern die Erwartungen der Analysten, indem sie den Markt im Vorfeld von Ergebnisberichten auf Auf- oder Abwärtskorrekturen ihrer Vorgaben vorbereiten. Zusätzlich zu formellen und informellen zukunftsgerichteten Informationen verbringen Geschäftsleitungen viel Zeit damit, ihre Gewinne zu steuern und nutzen dazu bestimmte Rechnungslegungsmethoden, bezeichnet als Ergebnismanagement, und betriebliche Diskretion, wie der Zeitpunkt von Forschungs- und Entwicklungsausgaben, Rückstellungen und Abschreibungen.
Obwohl börsennotierte Unternehmen nicht verpflichtet sind, Informationen zu ihrer Performance während des Quartals zu veröffentlichen, weisen etwa 25 % offizielle Guidance-Richtlinien auf.7 In vielen Fällen wurden dadurch Ergebnisse ermöglicht, die die Erwartungen der Analysten scheinbar übertrafen.
So war es jedoch nicht immer. Das Geschäft mit der Guidance wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre beliebt: In den USA wurde ein Bundesgesetz verabschiedet, das Unternehmen vor Haftungsansprüchen schützt, sollten sich ihre Prognosen nicht bewahrheiten.8 Zu der Zeit glaubten viele Führungskräfte, dass Guidance-Hinweise zu höheren Bewertungen führen würden, bedingt durch die geringeren Wertschwankungen und die bessere Liquidität aufgrund der häufiger veröffentlichten Informationen oder der Transparenz – insbesondere in zyklischen Sektoren.
Studien haben jedoch ergeben, dass eine kurzfristige Guidance weder die Anlagen noch die Bewertungen oder die Wertschwankungen nennenswert beeinflusst.9 Es ist nicht wichtig, ob Informationen aussagekräftig oder nur „Lärm” sind – haben sie Transaktionen zufolge, ist das gut für die Händler, kommt aber die Anlageninhaber teuer zu stehen. Ähnlich wie auch bei den Kosten in Zusammenhang mit den Q-Formularen haben die Führungskräfte börsennotierter Unternehmen festgestellt, dass die Last der Bereitstellung einer Guidance und ihrer Steuerung langfristige Investitionen reduziert und ein Grund für die Unternehmen ist, von der Börse zu gehen.10
Wahrscheinlich haben diese (und andere) Studienergebnisse dazu geführt, dass die britische Financial Conduct Authority seit 2014 nicht länger eine Quartalsberichterstattung verlangt.11 Jedoch halten über 90 % der in Großbritannien notierten Unternehmen an der Quartalsberichterstattung fest, da viele von ihnen auch in den USA notiert sind und dort zur vierteljährlichen Berichterstattung verpflichtet sind.
Heutzutage besteht die Befürchtung, dass die Leitung eines Unternehmens, um einen bestimmten Umsatz, eine bestimmte Marge oder einen Gewinn je Aktie zu erzielen, zu einer ineffizienten Allokation von Anlagen führt, was wiederum den langfristigen Aussichten des Unternehmens schadet. Während es schwierig ist vorauszusagen, ob sich strategische Pläne über das Jahr oder von Quartal zu Quartal auszahlen werden, sind die Unternehmen im Spiel mit Guidance in den vergangenen 20 Jahren immer besser geworden. Sehr große, komplexe globale Unternehmen haben die erstaunliche Fähigkeit, Gewinne zu erzielen, die bis auf den Cent je Aktie der Guidance entsprechen. Beispielsweise lagen die Gewinne der größten US-Finanzinstitute im dritten Quartal 2017 für keines der Unternehmen unter den Vorgaben. Tatsächlich konnten die größten Banken in den USA mit Bilanzen in Milliarden- und Billionenhöhe die Gewinnerwartungen je Aktie in den vergangenen zwei Jahren in 94 % der Fälle übertreffen!
Aus der Perspektive eines Buy-Side-Researchanalysten wären die folgenden drei Änderungen sinnvoll:
Seit Kurzem wird auch gefordert, dass die SEC untersucht, ob ein Wechsel von einer vierteljährlichen Berichterstattung zu einem Halbjahressystem kostengünstiger wäre und eine größere Anlageflexibilität ermöglichen würde. Zwar wäre dies sicher eine gute Sache. Wir möchten jedoch darauf verweisen, dass ein einfacher Wechsel von einer viertel- zu einer halbjährlichen Berichterstattung keineswegs ideal ist. Studien aus Großbritannien deuten darauf hin, dass es dabei zu Ineffizienzen kommt, wenn Anleger auf der Basis alternativer Informationsquellen handeln.
Wir sind vielmehr der Ansicht, dass Anleger von K-Formen und einem detaillierten Halbjahresbericht mit einem aktualisierten Format auf Grundlage von Anlageprinzipien im Gegensatz zu einem veralteten präskriptiven Ansatz profitieren würden. Erreichen ließe sich dies, indem man Sektoren und Emittenten größeren Spielraum lässt, um Informationen individuell anzupassen, die für die Fremd- und Eigenkapitalgeber wertvoller wären.
Größere langfristige Transparenz, weniger kurzfristiger Lärm. Darauf würde ich auch mit einem Bier anstoßen.
1 Jay R. Ritter, Warrington College of Business Administration, University of Florida; University of Chicago Center for Research in Security Prices
2 https://www.strategyand.pwc.com/media/file/Strategyand_Considering-an-IPO.pdf
4 Harris, Lawrence, Transaction Costs, Trade Throughs, and Riskless Principal Trading in Corporate Bond Markets (22. Oktober 2015). Verfügbar auf SSRN: https://ssrn.com/abstract=2661801 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2661801
5 https://data.worldbank.org/indicator/GB.XPD.RSDV.GD.ZS?end=2015&locations=XU&start=2001
6 Barton, D., J. Manyika, T. Koller, R. Palter, J. Godsall und J. Zoffer. „Measuring the Impact of Short-termism.” Feb. 2017, McKinsey Global Institute.
7 Analyse der Richtlinien zu Vorgaben durchgeführt von KKS Advisors und Prof. George Serafeim der Harvard Business School unter Verwendung von FactSet-Daten.
8 Private Litigation Reform Act (1995)
9 Call, A.C., S. Chen, A. Esplin und B. Miao. „Long-term Earnings Guidance: Implications for Managerial and Investor Short-termism.” Mai 2016. https://www.hbs.edu/faculty/conferences/2016-imo/Documents/LTMF_May[(2022) was not found]202016.pdf
10 Jamie Dimon und Warren Buffett WSJ-Stellungnahme “Short-Termism is Harming the Economy”
11 Aus Offenlegungsgründen verweisen wir darauf, dass sich Schroders, ein Unternehmen mit Sitz in Großbritannien, 2016 entschied, seine vierteljährlichen Gewinnprognosen einzustellen. Dieser Artikel dient jedoch nur der weiteren Diskussion dieses Themas und spiegelt ausschließlich die Meinungen und Ansichten des Autors wider und nicht unbedingt die Ansichten von Schroders.
Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen
stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien
oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten
oder aufgeführten Ansichten dar. Der Beitrag wurde am 10.12.18 auch auf schroders.com veröffentlicht.
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