Schroders: Pensionen und Gehälter - von überschätzter Inflation belastet?

Sind hunderte Millionen Dollar an Pension eigentlich unnötig ausgegeben und bezahlt? Möglicherweise ist die Wahrheit politisch unangenehm, doch könnte sich herausstellen: Die Inflation wurde wahrscheinlich über Jahrzehnte zu hoch angesetzt.

03.06.2016 | 10:42 Uhr

Die Verbraucherpreisinflation gehört zu den am häufigsten genutzten Wirtschaftsstatistiken und hat direkte Auswirkungen auf Milliarden von Dollar: solche, die für Beihilfe-, Renten- und Gehaltszahlungen ausgegeben werden. Ihre Messung lässt Spielraum für Interpretationen und nicht selten für Meinungsverschiedenheiten unter Fachleuten. Forscher gehen verstärkt davon aus, dass die gemeldete Inflation nicht ihrem tatsächlichem Wert entspricht. Vielmehr dürfte sie überschätzt werden, denn die Statistiken erfassen zwei gewichtige Punkte nicht richtig: dass sich nicht nur die Güter und Dienstleistungen ändern, die wir kaufen, sondern auch die Art und Weise, wie wir diese kaufen. 

Ist die Inflation überschätzt?

Die bisher einflussreichste Studie war der 1996 vom US-Senat in Auftrag gegebene Boskin-Report. Er kam zu dem Schluss, dass die Inflation im weit verbreiteten US-Verbraucherpreisindex (VPI) um 1,1 Prozentpunkte jährlich zu hoch ausgewiesen wurde. Der Bericht hat mehrere Verzerrungen zutage gefördert: Die wichtigste ist die mangelnde Fähigkeit, der sich ändernden Qualität von Gütern und Dienstleistungen sowie den neu auf den Markt kommenden Produkten zu berücksichtigen.

Auch die Tatsache, dass die Verbraucher die Warengruppe wechseln (oder bei Statisikern Upper-level Substitution Bias) und innerhalb einer Gruppe auf ein anderes Gut umschwenken (Lower-level Substitution Bias), wurde vom Index nicht angemessen berücksichtigt.

Außerdem hat die stärkere Verbreitung von Discountern die Werte verzerrt (sogenannter Outlet Bias). Die Grafik zeigt eine Übersicht, wie sich diese Verzerrungen auswirken: Zwar wurde die Methode zum Berechnen des Verbraucherpreisindex verbessert, manche Forscher vermuten jedoch noch immer Verzerrungen zwischen 0,5 bis 1 % jährlich.

Abbildung 1: Beitrag zur gesamten Aufwärtsverzerrung des US-VPI nach dem Boskin-Report (1996) 

Prozent im Jahr

Verzerrung durch Wechsel der Warengruppe (oberes Ende) 0,15

Verzerrung durch andere Qualität und neue Produkte 0,60

Verzerrung durch Wechsel der Warengruppe (unteres Ende) 0,25

Verzerrung durch veränderte Handelsstrukturen> 0,10

Quelle: Greenlees, John S. (2006): „The BLS Response to the Boskin Commission Report“, U. S. Bureau of Labor Statistics, International Productivity Monitor, Nr. 12, Frühjahr 2006

Gibt es technologische Schwierigkeiten?

Eine Anpassung zugunsten verbesserter Qualität ist schwierig. Fortschritte bei schnelleren Internetleitungen, digitalen Inhalten, Smartphones und Computern zählen zu den vielen technologischen Verbesserungen, die sich in einem Index nur schwer erfassen lassen. Das iPhone ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die technologische Weiterentwicklung die Qualität und den Komfort erhöht – denn es verbindet in einem einzigen Gerät vorher eigenständige Produkte: Telefon, Kamera, Musik-Player oder Navigationssystem. Nur wenige dieser Verbesserungen fließen in den Verbraucherpreisindex ein.1 So ist der Preis für ein iPhone jetzt sicher höher als vor zehn Jahren für ein typisches Mobiltelefon. Die zusätzlichen Vorteile sollten jedoch den gemessenen Preisanstieg wieder ausgleichen. Will man nun die bessere Qualität von Produkten wie einem iPhone im Verbraucherpreisindex erfassen, entsteht fast unweigerlich eine Aufwärtsverzerrung durch den höheren Preis. Verstärkt wird das Problem – so die Argumentation einiger Forscher – unter Umständen dadurch, dass die technologischen Veränderungen heute schneller als in der Vergangenheit eintreten. Die Folgen scheinen weitreichend: Ist der Verbraucherpreisindex nach oben verzerrt, so wird gleichzeitig das reale Bruttoinlandsprodukt nach unten verzerrt. Einer Schätzung zufolge beträgt die Differenz 0,25 Prozentpunkte im Jahr.2 Und da diese Verzerrung zuletzt noch gestiegen ist, kann sie zum großen Teil die rückläufige Produktivität in den USA erklären. Darüber hinaus hat die Überzeichnung die US-amerikanische Verwaltung unter Umständen Milliarden Dollar an Steuereinnahmen gekostet – einfach deshalb, weil ein zu hoher Indexwert für die Steuerklassen zugrunde gelegt wurde.

Werden unötige Schulden aufgehäuft?

Da der Verbraucherpreisindex Einfluss auf ein Drittel der Ausgaben des US-Haushalts hat,3 bedeutet diese Verzerrung, dass Hunderte Millionen Dollar an Staatsschulden womöglich unnötig angehäuft wurden – und weiterhin werden. Gleiches gilt auch für viele privatwirtschaftliche Arbeitsverträge und Pensionszahlungen, die auf dem Verbraucherpreisindex basieren. Ein nach oben verzerrter Preisindex dürfte bedeuten, dass die Pensionsrückstellungen der Unternehmen – und auch die Fehlbeträge – zu hoch angesetzt sind. Die wahrscheinliche Aufwärtsverzerrung des Verbraucherpreisindex hat gravierende Folgen für das Verständnis der finanziellen Gesamtsituation: unserer eigenen privaten genauso wie der in der breiteren Wirtschaft. Solange der Verbraucherpreisindex und weitere Kennzahlen die Folgen veränderter Gewohnheiten der Verbraucher auf der einen Seite und technologischen Fortschritt auf der anderen Seite nicht richtig erfassen, dürften sie die Inflation fälschlich als zu stark darstellen. Wirtschaftliche Messgrößen des Lebensstandards, etwa das Bruttoinlandsprodukt oder die realen Einkommen, werden somit die Realität auch weiterhin trüber und schlechter darstellen als sie tatsächlich ist.

1. Davies, Gavyn (2015): „The greatest unknown - the impact of technology on the economy“, Financial Times, 15. Juni 2015

2. Boskin, Michael J. (2004): „Causes and Consequences of Bias in the Consumer Price Index as a Measure of the Cost of Living“, 58th International Atlantic Economic Society Conference

3. Boskin, Michael und Jorgenson, Dale (1997): „Implications of Overstating Inflation for Indexing Government Programs and Understanding Economic Progress“, American Economic Review 87, Nr. 2 (1997), S. 89-94.

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Schroders hat in diesem Dokument eigene Ansichten und Meinungen zum Ausdruck gebracht. Diese können sich ändern.

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