Bond Vigilantes: Angela Merkels Pyrrhussieg

Das Wichtigste zuerst: Angela Merkel hat die Wahlen wie erwartet gewonnen. Ihre CDU ist zusammen mit der bayerischen Schwesterpartei CSU nach wie vor die größte Fraktion im Bundestag (zusammen 33,0% der Stimmen). Alles läuft auf eine vierte Amtszeit für Angela Merkel als Kanzlerin hinaus.

27.09.2017 | 11:02 Uhr

Eine Überraschung ist das natürlich nicht, vor allem in Anbetracht der Stärke der deutschen Wirtschaft. Seit Merkel im November 2005 das Amt antrat, hat sich die Arbeitslosenquote halbiert und das BIP-Wachstum liegt über 2%.

Arbeitslosenquote Deutschland und reales BIP-Wachstum

Damit ist die Geschichte allerdings noch nicht zu Ende. CDU/CSU erlitten starke Verluste und sanken im Vergleich zu den Wahlen 2013 um 8,5% ab, was vor allem vor dem Hintergrund der starken Wirtschaft, die Merkel als amtierender Kanzlerin eigentlich hätte Auftrieb verleihen müssen, umso bedeutender ist. Zwei Faktoren könnten dabei eine zentrale Rolle gespielt haben: „Merkel-Fatigue“ – Nach zwölf Jahren im Amt dachten wahrscheinlich viele Wähler, es sei Zeit für einen Führungswechsel. Außerdem hat ihr Umgang mit der Flüchtlings-/Einwanderungskrise die Wähler am konservativen Ende des politischen Spektrums verstimmt.

Spiel der Koalitionen

Auch Merkels Koalitionspartner hatte eine ziemlich harte Nacht. Die SPD erreichte bei der Wahl nur noch 20,5%, ein neues Rekordtief. Eine Weiterführung der großen Koalition mit der CDU/CSU lehnte man bei der SPD sehr schnell ab. Dies folgt natürlich einer gewissen Logik. Beide regierenden Parteien – CDU/CSU und SPD – mussten deutliche Verluste hinnehmen, was nicht unbedingt eine gute Ausgangsbasis für ein starkes Mandat nach dem Motto „Business as usual“ ist. Außerdem könnte die Etablierung als starker Oppositionsführer der SPD dabei helfen, sich für die nächste Bundestagswahl als glaubwürdige Alternative zu CDU/CSU zu positionieren. Die Zeit wird zeigen, ob sie wirklich gewillt sind, die Macht abzugeben und die Koalition zu verlassen oder ob sie mit harten Bandagen kämpfen, um ihre Verhandlungsposition in den Koalitionsgesprächen zu verbessern.

Abgesehen von einer großen Koalition wäre die einzig andere realistische Option eine „Jamaika-Koalition“ zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen. Den Namen verdankt sie der damit entstehenden Farbkombination aus Schwarz, Gelb und Grün, entsprechend der Flagge der Karibikinsel. Diese Koalition ist in deutschen Landtagen nicht neu und derzeit in Schleswig-Holstein im Amt, auf Bundesebene gibt es dafür jedoch erhebliche Hindernisse. Die Grünen haben ideologische Differenzen mit der liberalen FDP (Wirtschaftspolitik, Steuerreform, usw.) und dem konservativen Flügel der CDU/CSU (Einwanderungspolitik, soziale Themen, usw.). Eine Jamaika-Koalition auf dieser Grundlage wäre instabil und mit Machtkämpfen beschäftigt.

Ob es am Ende nun zu einer großen oder einer Jamaika-Koalition kommt, die Verhandlungen werden hart und könnten eine Weile dauern. Merkels Position wird dadurch deutlich geschwächt, und zwar sowohl innerhalb Deutschlands als auch im Ausland. Der französische Präsident Emmanuel Macron könnte ihr die inoffizielle Führungsrolle innerhalb der EU strittig machen. Wenn er in der Lage dazu ist, die Gunst der Stunde zu nutzen, würde dadurch eine Schuldenlastverteilung nach dem Gegenseitigkeitsprinzip in der EU und ein europäischer Finanzminister zumindest mittelfristig wahrscheinlicher werden. Wie gemunkelt wird, ist es Angela Merkels Plan, Jens Weidmann, den derzeitigen Bundesbankpräsidenten, nach Draghis Amtszeit Ende 2019 als neuen EZB-Präsidenten zu installieren. Das dürfte nach den heutigen Ereignissen weniger realistisch geworden sein. Das erhöht die Chancen auf eine Weiterführung der expansiven geldpolitischen Vorgehensweise der EZB.

Der Populismus meldet sich mit Macht zurück

Eines der frappierendsten Wahlresultate ist sicherlich das starke Ergebnis der rechtsnationalistischen AfD (12,6%). Die Partei schafft es nicht nur zum ersten Mal in den Bundestag, die AfD wird darüber hinaus auch die drittstärkste Kraft im Parlament. Wenn es zu einer Fortführung der großen Koalition kommen sollte – was zu diesem Zeitpunkt nicht völlig ausgeschlossen werden kann – wird die AfD de facto zum Oppositionsführer. Das ist gelinde gesagt zwar sicherlich bemerkenswert, dennoch dürften die direkten politischen Auswirkungen minimal sein. Keine der anderen Parteien wird eine Koalition mit ihnen bilden und die AfD-Mitglieder im Bundestag werden wahrscheinlich wie politische Außenseiter behandelt werden. In den deutschen Landtagen haben wir das zuvor schon häufig beobachten können.

Meiner Auffassung nach könnte der Wahlerfolg der AfD allerdings zwei wichtige indirekte Konsequenzen nach sich ziehen. Erstens wird sich in Deutschland der Druck auf Merkel im Hinblick auf politische Veränderungen weiter aufbauen, nicht zuletzt von ihrer eigenen Partei. Aus naheliegenden Gründen ist es in der deutschen Politik ein zentrales Dogma, den Aufstieg einer rechtsnationalistischen Bewegung zu verhindern. Nach dem zweistelligen Wahlergebnis von gestern Abend – dem Merkel zuschaute – kann davon keine Rede mehr sein. In der Vergangenheit war sie bereit, über lange Zeit vertretene Positionen zu revidieren (zur Atomkraft, Mindestlohn, gleichgeschlechtliche Ehe, usw.), wenn sich die Stimmungslage der Wähler ihrer Einschätzung nach veränderte. Vielleicht wird sie sich nun erneut für einen Richtungswechsel entscheiden, um sich Stimmen von der AfD zurückzuholen und schlägt möglicherweise einen konservativeren Weg mit einer strengeren Haltung zu Migration, EU-Zentralisierung und dergleichen ein.

Zweitens könnte der Erfolg der AfD an der Wahlurne die seit den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich vorherrschende Meinung, der Anti-EU-Populismus sei auf dem Rückzug, infrage stellen. Dies könnte Auswirkungen auf die Märkte haben, die bei diesem Thema zugegebenermaßen relativ entspannt geworden sind. Der Euro, der in den letzten Monaten immer stärker wurde, könnte unter Druck geraten. Aufgrund der Tatsache, dass noch weitere politische Ereignisse am Horizont zu sehen sind wie das katalanische Unabhängigkeitsreferendum oder Wahlen in Österreich und Italien, könnten sich die gedrückten Risikoaufschläge der Peripheriestaaten für Staats- und Unternehmensanleihen wieder ausweiten.

 

Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Archivinformationen handelt. Sie sind nicht als aktuelle Ansichten oder Einschätzungen, sondern nur als historische Angaben zu verstehen.

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