Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, beschäftigt sich in seinem Kapitalmarktausblick mit den ungewissen Effekten des Risikofaktors „Coronavirus“ auf die Weltwirtschaft.
03.02.2020 | 07:56 Uhr
Eine Epidemie ist immer ein Risiko für die Weltwirtschaft
Die
Datenlage ist noch sehr unsicher, daher spiegeln folgende Aussagen nur
vorläufige Einschätzungen wider: Das neue Coronavirus hat eine
Inkubationszeit von 10 bis 14 Tagen, ist aber schon vor Ausbruch der
Krankheitssymptome ansteckend. Darüber hinaus scheinen einige
Angesteckte nur milde Symptome zu zeigen und sich somit einer Erkrankung
nicht bewusst zu sein. Auch scheint die Krankheit sehr ansteckend zu
sein. Erste Auswertungen sprechen dafür, dass die Mortalitätsrate bei
etwa 2–3 % liegen könnte, wobei die Schätzungen derzeit tendenziell in
Richtung der Mortalitätsrate einer „normalen Grippewelle“ von 1,3 % zu
fallen scheinen. Bei SARS lag die Mortalitätsrate deutlich höher bei 10
%.
Auf
Basis der aktuellen Informationen spricht sehr vieles dafür, dass sich
eine weltweite Ausbreitung des Coronavirus kaum vermeiden lassen wird.
Wenn die Mortalitätsrate aber tatsächlich der einer „normalen
Grippewelle“ entsprechen und die Bevölkerung mehr oder weniger wie bei jeder „normalen Grippewelle“ reagieren sollte,
dürften sich die wirtschaftlichen Konsequenzen in Grenzen halten: In
diesem Fall könnte das Wachstum der Weltwirtschaft im ersten Quartal
etwas schwächer und im zweiten Quartal etwas stärker ausfallen. Wenn
jedoch die globale Ausbreitung des Coronavirus eine umfangreichere
Abwehr erfordern sollte, die den Reiseverkehr und den Tourismus merklich
einschränken sowie Lieferketten unterbrechen würde, wäre der
wirtschaftliche Schaden deutlich größer und würde sich um einiges länger
negativ bemerkbar machen. Das gilt auch für den Fall, dass das Virus
mutieren sollte.
US-Präsident Trump scheint erfolgreich die Geldpolitik der US-Notenbank beeinflussen zu können
Eine neue Studie (https://voxeu.org/article/threatening-central-bank-independence-one-tweet-time)
zeigt, dass die Tweets von US-Präsident Donald Trump, in denen er zum
Teil harsch die Geldpolitik der US-Notenbank kritisierte, einen
statistisch signifikanten Effekt auf die Erwartungen der
Finanzmarktakteure hatten. So sank mit jedem Tweet der langfristig
erwartete Leitzinspfad zwar nur um 0,25 Basispunkte – insgesamt über
alle Tweets jedoch um insgesamt knapp 20 Basispunkte. Auch hier scheint
sich wieder einmal zu bestätigen: Steter Tropfen höhlt den Stein. Da
zugleich andere Studien zeigen, dass die US-Notenbank die Erwartungen
der Finanzmarktakteure bei ihrer Geldpolitik insofern berücksichtigt,
als sie diese in der Regel nicht enttäuschen will, könnten Donald Trumps
Tweets einen starken indirekten Einfluss auf die Geldpolitik haben.
Konjunkturdaten angesichts der Unsicherheit rund um das Coronavirus nur mit eingeschränkter Aussagekraft
Am
Montag werden die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie und am
Mittwoch für den Dienstleistungssektor veröffentlicht. Die merklich
gestiegene Unsicherheit über die möglichen Auswirkungen der
Coronavirus-Epidemie auf die Weltwirtschaft müssten eigentlich zu einem
Rückgang der Geschäftsklimaindizes weltweit beitragen – wahrscheinlich
jedoch erst in den Umfragen im Februar.
Auch dürften die
Auftragseingänge (Donnerstag) und die Industrieproduktion (Freitag) in
Deutschland die tiefe Rezession der deutschen Industrie widerspiegeln. Nur
der US-Arbeitsmarkt (Freitag) sollte kaum Schwächen zeigen. Nach
unseren Schätzungen dürfte die Arbeitslosenquote tendenziell weiter
gefallen sowie Beschäftigung und Löhne stabil gewachsen sein.
Warum konnte Argentinien 2016 eine 100-jährige Staatsanleihe platzieren – trotz vieler früherer Staatspleiten?
Eine neue Studie (https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/josefin-meyer/sovereign-bonds-since-waterloo-12208/) gibt endlich eine Antwort auf die Frage, warum Länder, die immer wieder in eine Staatspleite rutschen, so schnell wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren und neue Staatsanleihen an den Mann bringen können. Die Verfasser der Studie nahmen dabei nur Staatsanleihen unter die Lupe, die von insgesamt 91 Schwellenländern seit 1815 in britischen Pfund und/oder US-Dollar emittiert wurden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es nahezu in jedem zweiten Jahr mindestens eine Staatspleite gab. Eine Besonderheit fällt von 1970 bis Mitte der 1990er-Jahre auf. In dieser Zeit emittierten die Staaten keine Fremdwährungsanleihen, sondern konnten sich ausreichend mit den großzügig angebotenen Bankkrediten finanzieren.
Umstrukturierung von Staatsschulden mit privaten Gläubigern aus dem Ausland im Zeitraum 1815–2016
Quelle: National Bureau of Economic Research
Die
einfache Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet: weil es sich
für die Anleger lohnt. Argentinien ist hierfür ein gutes Beispiel. Seit
1815 erlitt Argentinien sechs Staatspleiten und konnte die ausstehenden
Anleihen nicht mehr bedienen. Argentinien war in etwa 32 % der Zeit seit
1815 pleite. Nach Berechnungen der Autoren erzielten argentinische
Staatsanleihen seit 1815 trotzdem einen realen Wertzuwachs von
durchschnittlich 8,9 % pro Jahr (arithmetisches Mittel), was einen
Mehrertrag von 5,6 % (arithmetisches Mittel) gegenüber britischen bzw.
US-amerikanischen Staatsanleihen bedeutete.
Ein Grund für die
überraschend positive Wertentwicklung argentinischer Anleihen ist, dass
eine Staatspleite nur in den seltensten Fällen (Revolutionen, Krieg) zu
einem Totalausfall für Anleger führte. Im Durchschnitt erlitten Anleger
im Falle einer Staatspleite einen Ausfall von nur 40–50 % des Net Asset
Value. Ein weiterer Grund ist, dass Argentinien Anlegern sehr hohe
Zinsen bieten musste, um seine Anleihen erfolgreich am Kapitalmarkt
platzieren zu können. Historisch gesehen, waren die ständigen
Staatspleiten somit für Argentinien ein großes Minusgeschäft.
Ein
Blick auf die durchschnittliche Wertentwicklung von Staatsanleihen im
Falle eines Staatsbankrotts zeigt, dass es durchschnittlich etwa fünf
Jahre dauert, den Verlust einer Anlage wieder aufzuholen, wenn man zwei
Jahre vor einem Staatsbankrott investierte.
Anleiherenditen rund um Staatsinsolvenzen
Quelle: National Bureau of Economic Research
Insgesamt hätte ein Portfolio aus Fremdwährungsanleihen seit 1815 durchschnittlich real 5,9 % pro Jahr und nominal 7,1 % (jeweils geometrisches Mittel) gebracht. Der langfristige historische Ertrag entspricht in etwa dem von Aktien – bei einer etwas niedrigeren Volatilität. Natürlich lassen sich die Ergebnisse der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft fortschreiben – umso mehr, als es sich um langfristige Ergebnisse handelt und Anleger in einzelnen Kalenderjahren durchaus nennenswerte Verluste erlitten haben dürften. Trotzdem scheinen Fremdwährungsanleihen der Schwellenländer für langfristig orientierte Anleger eine attraktive Anlageklasse zu sein – vor allem für diejenigen, die ihre Positionen auch im Falle einer Staatspleite weiter im Portfolio halten können.
Überraschend gute langfristige Ergebnisse mit Fremdwährungsanleihen aus den Schwellenländern In % p. a. von 1815 bis 2016
Quelle: National Bureau of Economic Research
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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