Steigende Renditen – ein Septemberhoch oder ein anhaltender Trend? Der starke Rückgang der Staatsanleiherenditen in den letzten Wochen stellt die Geduld der Zentralbanken auf eine Probe und Anleihemärkte reagieren auf den härteren Kurs. Portfoliomanager Andrew Mulliner erklärt die Zusammenhänge.
02.11.2021 | 07:38 Uhr
In den letzten Wochen kam es zu einem drastischen Rückgang der Staatsanleiherenditen weltweit und die Geduld der Zentralbanken wurde durch eine höhere Inflation auf die Probe gestellt. Nach der Rally im Juli, bei der die Renditen 10-jähriger
US-Treasuries auf rund 1,2 % zurückgingen, waren wir der Meinung, die
Renditen von Staatsanleihen in den Kernmärkten seien am unteren Ende
ihres Marktwertes angekommen, wobei das Risiko höherer Renditen gegen
Ende des Jahres zunahm. Diese Entwicklung nahm mit den
Zentralbanksitzungen im September wider Erwarten Fahrt auf. Mit
steigenden Anleiherenditen – diese stiegen über die gesamten
Renditekurven der Staatsanleihen, wobei US-amerikanische und britische
Staatsanleihen mit bestimmten Laufzeiten (2- und 5 Jahre bzw. 2, 5 und
10 Jahre) sogar über ihre bisherige Bandbreite hinaus anstiegen –
beschleunigte sich diese Entwicklung noch.
Die Septembersitzung der US-Federal Reserve (Fed) brachte neue Wirtschaftsprognosen, die die prognostizierte Inflation für dieses und nächstes Jahr nach oben korrigierten, und sah einen strikteren Kurs vor. Nach den Erwartungen der Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC) dürfte nun eine einzige Zinsanhebung bis Ende nächsten Jahres kommen und der Leitzins der Fed könnte bis Ende 2023 wieder auf 1,0 % zurückgehen (siehe Abb. 1).
Quelle: Bloomberg, Janus Henderson Investors, Stand: 1. Oktober 2021.
Der Vorsitzende Powell zeigte sich zuversichtlich, dass die Drosselung der Aufkäufe von US-Treasuries und hypothekenbesicherten Wertpapieren (MBS) bis Mitte nächsten Jahres abgeschlossen sein dürfte. Er machte jedoch klar, dass mit dem Zeitpunkt und dem Tempo der Reduzierung der Anleihekäufe nicht beabsichtigt ist, ein unmittelbares Signal für den Zeitplan einer Zinsanhebung zu geben. Zwischen dem Ende der Drosselung und der ersten Zinsanhebung wird demnach ein gewisser Abstand liegen. Es ist jedoch klar, dass sich die Risikobilanz verschoben hat und eine erhebliche Unsicherheit besteht, wie lange die vorübergehenden Inflationsfaktoren anhalten werden.
Auch die Bank of England stellt in ihrer Sitzung am Tag nach der Sitzung der Fed eine geldpolitische Straffung in Aussicht. Seit August waren die britischen Anleiherenditen gestiegen. Insbesondere der vordere Bereich der Renditekurve preiste einen stärkeren Anstieg ein. Nach Aussagen der Zentralbank ist es an der Zeit, die britische Geldpolitik zu straffen. Die internationalen und nationalen Kosten- und Preissignale würden deutlich darauf hinweisen, dass der Inflationsdruck voraussichtlich anhalten würde. Die Inflation könnte die 4-Prozent-Marke in absehbarer Zeit durchbrechen und bei der aktuellen Politik würde die Inflation voraussichtlich mittelfristig über dem Zielwert von 2 % bleiben. Infolgedessen geht der Markt gegenwärtig* davon aus, dass der Leitzins (der BoE) bis Mitte 2022 0,5 % erreicht, mit einer weiteren Anhebung auf 0,75 % bis Mitte 2023, bevor er sich einpendelt, sowie einem nächsten Anstieg auf 1,0 %, der bis Ende des Jahrzehnts erwartet wird.
Mit ihrer Aussage, dass die Zinsen das wichtigste politische Instrument bleiben und auch vor Beendigung des Anleihekaufprogramms steigen könnten, bekräftigte die BoE ihre Stellungnahme zur Verbindung zwischen der lockeren Geldpolitik und der Erhöhung des Leitzinses. Die Entkoppelung der lockeren Geldpolitik vom Leitzins führt dazu, dass der Leitzins für den Zyklus maßgeblich wird, und langfristig führt sie zu einer geringeren Bilanzsumme (der Anleihekäufe). Die BoE bestätigte außerdem, dass man zunächst fällige Gilts auslaufen lassen würde, bevor Anlagen aktiv verkauft würden. Dies werde erst geschehen, wenn ein Leitzins von 1,0 % erreicht sei.
Trotz der erwarteten Zinsanhebung kam die Kursentwicklung des Pfund Sterling nicht so recht in Schwung, da sich die britische Wirtschaft möglicherweise in einer Stagflation1 befindet. Die BoE muss einen strikteren Kurs einschlagen, und dies bei einem relativ schwachen Wachstum und einem angebotsseitigen Inflationsschock, wie beispielsweise die dramatische Inflationsentwicklung in dieser Woche gezeigt hat (gegenwärtig 4 % auf die 10-jährigen Einzelhandelsindexswaps– Abbildung 2).
* 1 Oktober 2021
Quelle: Bloomberg, Janus Henderson Investors, Stand: 6. Oktober 2021.
Anmerkung: 10-jähriger Nullkupon-Inflationsswap für den britischen Einzelhandelspreisindex – der Swap, der auf dem britischen Einzelhandelspreisindex basiert, wird normalerweise von Anlagespezialisten zur Absicherung verwendet und spiegelt die Breakeven-Inflationsrate (d.h. die Inflationserwartungen des Markts) wider (oder ist ein Maß dafür).
Das Risikokalkül der Zentralbanken ist gut austariert
Ähnlich wie die Zentralbanken erwarten wir, dass viele Faktoren, die die Inflation gegenwärtig in die Höhe treiben, mit der Zeit nachlassen. Wir sind uns bewusst, dass insbesondere die Lieferkettenprobleme länger angehalten haben, als ursprünglich erwartet wurde. Da die hohen Preise im Winter und bis in das Jahr 2022 hinein anhalten dürften, ist das Risikokalkül der Zentralbanken gut austariert. Auf der einen Seite fördern hohe Preise wahrscheinlich das Wirtschaftswachstum und dürften daher zurückgehen, wenn die Nachfrage sinkt und mit dem begrenzten Angebot gleichzieht, oder wenn das Angebot steigt. Auf der anderen Seite stellen längere Perioden höherer Preis ein Risiko durch steigende Inflationserwartungen dar, was zu einer anhaltend steigenden Inflation führen kann.
Zentralbanken sind generell vorsichtig. Aufgrund der aktuellen Lage haben sie jedoch einen strikteren Kurs eingeschlagen und die Anleihemärkte sind in der Neubewertung begriffen, um dieser Kursänderung Rechnung zu tragen.
1 Stagflation: eine relative seltene Situation, in der steigende Inflation mit wirtschaftlicher Stagnation einhergeht.
Die vorstehenden Einschätzungen sind die des Autors zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können von denen anderer Personen/Teams bei Janus Henderson Investors abweichen. Die Bezugnahme auf einzelne Wertpapiere, Fonds, Sektoren oder Indizes in diesem Artikel stellt weder ein Angebot oder eine Aufforderung zu deren Erwerb oder Verkauf dar, noch ist sie Teil eines solchen Angebots oder einer solchen Aufforderung.
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