Von moderner Sklaverei bis hin zur Frauenquote werden Unternehmen von
einer wachsenden Liste sozialer Probleme bedrängt. Diese Themen machen
einen größeren Anteil der Unternehmenskontroversen aus als Umwelt- und
Unternehmensführungsfragen (Abbildung). Doch ESG-fokussierte
Anleger, die Umwelt- und Unternehmensführungsfaktoren immer
systematischer in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen, verfügen nicht
über ähnlich robuste Verfahren zur Berücksichtigung sozialer Faktoren.
Der Grund dafür? Daten über soziale Faktoren sind relativ
spärlich, vage und lassen sich nur schwer in einen Research- und
Anlageprozess integrieren. Angesichts gesellschaftlicher Trends und
neuer Vorschriften können Anleger es sich nicht leisten, die Risiken für
Unternehmen und die Wertentwicklung ihrer Anlagen zu ignorieren.
Unserer Meinung nach können Anleger diese Herausforderung – und die
damit verbundenen Chancen – meistern, indem sie verstehen, wie sie die
verfügbaren Daten innerhalb eines Research-Rahmens anwenden und
erweitern können, der drei entscheidende Dimensionen des globalen
sozialen Wandels erfasst.
Warum soziale Daten hinterherhinken
Eine strengere Regulierung und eine de facto staatliche Kontrolle der
„E“- und „G“-Themen haben zu einer dramatischen Verbesserung der
Datenlage in diesen Bereichen geführt. Jetzt nimmt das offizielle
Interesse an sozialen Fragen zu. Das könnte dazu beitragen, das
Informationsungleichgewicht auszugleichen, das darin besteht, dass die
Verfügbarkeit von Daten zu sozialen Faktoren im Vergleich zu den
Bereichen „E“ und „G“ nach wie vor relativ gering ist (Abbildung).
Die am häufigsten verfügbaren sozialen Daten betreffen die
Geschlechtervielfalt in der Belegschaft, Gesundheit und Sicherheit,
Produktrückrufaktionen und Menschenrechtspolitik. Doch die Datenqualität
ist nach wie vor lückenhaft. Die Tatsache, dass ein Unternehmen über
eine Menschenrechtspolitik verfügt, bedeutet beispielsweise nicht, dass
diese Politik gut ist oder gut umgesetzt wird.
Es ist auch schwierig, soziale Kennzahlen zwischen Unternehmen und
Branchen zu vergleichen. Im Gegensatz zu CO2-Fußabdrücken und
Unternehmensführungsstandards, die leicht zwischen Unternehmen oder
Sektoren verglichen werden können, unterscheiden sich soziale Fragen von
Branche zu Branche.
In der Bekleidungsindustrie beispielsweise sind Zwangs- oder
Kinderarbeit, der Anteil der Beschäftigten, die von Gewerkschaften oder
Tarifverträgen erfasst werden, Mechanismen zur Meldung von Beschwerden
und Verhaltenskodizes für Lieferanten wichtige Themen.
Im Bankgeschäft für Privatkunden ist die wucherische Kreditvergabe
ein großes soziales Anliegen, ebenso wie der Zugang zu Dienstleistungen
für Kunden aus einkommensschwachen Schichten, der Schutz der
Privatsphäre und die Datensicherheit sowie Geldbußen bei Verstößen gegen
die Vorschriften. Lebensmittel- und Getränkehersteller sollten nach
Produktqualität und Rückrufaktionen, Investitionen in Sicherheits- und
Qualitätssysteme und Produktionsausfällen aufgrund von Verletzungen oder
Sicherheitsvorfällen am Arbeitsplatz beurteilt werden.
Diese Themen werden an Bedeutung gewinnen, da die staatliche Kontrolle der „S“-Faktoren stetig zunimmt.
Anleger sehen sich einem Tsunami von „S“- relevanten Gesetzen gegenüber
Unsere Analysen zeigen, dass wichtige westliche Regierungen und
regierungsnahe Stellen im Zeitraum von 2011 bis 2022 23 wichtige
Maßnahmen ergriffen haben, wie etwa die Einführung von Gesetzen oder
Leitprinzipien und die Durchführung parlamentarischer Untersuchungen, um
Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Die meisten
Maßnahmen (17) fanden in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums statt.
Diese sich langsam entwickelnde Flut von Gesetzen wird die
Unternehmen dazu zwingen, in ihren Betrieben und Lieferketten eine
Sorgfaltsprüfung durchzuführen und darüber zu berichten. In den USA hat
die Regierung bereits Maßnahmen ergriffen, um Produkte aus Zwangsarbeit
zu verbieten, und die Europäische Union wird bald nachziehen.
Das Bewusstsein an der Basis für soziale Fragen wird immer stärker
ausgeprägt. COVID-19 hat die ungleiche Verteilung von Impfstoffen und
die Belastung des Gesundheitswesens aufgezeigt, während die durch die
Pandemie und den Krieg in der Ukraine verursachten Unterbrechungen der
Lieferketten ein Schlaglicht auf die schwierigen Bedingungen in einigen
exportierenden Ländern geworfen haben. Die steigende Inflation und die
Lebenshaltungskostenkrise schärfen das öffentliche Bewusstsein für
soziale Fragen.
Unserer Ansicht nach sollten Anleger zwei Schritte unternehmen, um
der wachsenden Bedeutung von „S“-Faktoren in ihren Portfolios Rechnung
zu tragen.
Datenwissenschaft und qualitative Analysen können zu neuen Erkenntnissen führen
Der erste Schritt ist die Behandlung von Fragen der Datenqualität und
-verfügbarkeit. Wo Daten verfügbar sind, sollte ihre Wesentlichkeit für
verschiedene Branchen angemessen abgebildet werden. Dann können
Datenwissenschaft und qualitative Analysen dazu beitragen, bessere
Erkenntnisse zu gewinnen.
So verfügen spezialisierte Drittanbieter möglicherweise über tiefere
Kenntnisse der „S“-Faktoren als hauseigene Wertpapieranalysten, decken
aber in der Regel weniger Unternehmen ab. Mithilfe von Datenwissenschaft
können Anleger unter Einsatz von künstlicher Intelligenz auf neue
Datenquellen zugreifen.
Das Verständnis der Daten ist wichtig, um falsche Schlussfolgerungen
zu vermeiden. „S“-Kontroversen sind in einigen Branchen, wie etwa der
Automobilbranche, häufiger anzutreffen. Gehen Sie aber nicht davon aus,
dass Branchen mit weniger Daten entsprechend weniger Kontroversen
aufweisen. In ähnlicher Weise kann durch gründliche Recherche überprüft
werden, ob die Menschenrechtspolitik eines Unternehmens wirksam ist und
angemessen umgesetzt wird.
Drei Dimensionen zum Verständnis von „S“-Themen
Der zweite Schritt ist die Entwicklung eines Forschungsrahmens, mit
dem die wichtigsten „S“-bezogenen Risiken und Chancen ermittelt werden
können.
Wir haben drei große Themen identifiziert, die den Anlegern helfen
sollen, das sich entwickelnde „S“-Anlageumfeld zu verstehen: Welt im
Wandel, gerechte Welt und gesunde Welt (Abbildung).
Diese Themen decken vielfältige und weitreichende Veränderungen ab.
Aus der Perspektive einer sich wandelnden Welt gehören dazu
beispielsweise das Verständnis dafür, wie das Management des
Humankapitals den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann,
die Auswirkungen einer alternden Belegschaft und das Risiko, dass bis
2030 30 % der Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen
könnten.
Eine Betrachtung der Welt unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit
kann Anleger auf die zunehmenden Belege für eine positive Korrelation
zwischen weiblichen Führungskräften und der Wertschöpfung eines
Unternehmens aufmerksam machen. Es kann sie auch auf die branchenweiten
Kosten von Importverboten für Produkte aufmerksam machen, die in
Zwangsarbeit hergestellt werden.
Der weltweite Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft setzt die
Regierungen unter Druck, Maßnahmen zu entwickeln, die den Menschen
helfen, sich anzupassen, wenn alte Arbeitsplätze verloren gehen und neue
geschaffen werden; die Leistung der Regierungen in dieser Hinsicht wird
Auswirkungen auf die Anleger von Staatsanleihen haben.
Auch die Gesundheit ist für Unternehmen und Anleger wichtig.
Tatsächlich kostet mangelnde Gesundheit die Welt schätzungsweise 12
Billionen US-Dollar pro Jahr – das entspricht etwa 15 % des jährlichen
globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Zunehmender Druck
Unternehmen und Anleger stehen unter dem zunehmenden Druck von
Regierungen und der Öffentlichkeit, soziale Probleme, die sich aus ihrer
Geschäftstätigkeit und ihren Anlageportfolios ergeben, zu erkennen und
Verantwortung dafür zu übernehmen.
In Anbetracht der Datenproblematik haben einige Anleger das Gefühl,
dass sie in einer Zwickmühle stecken. Dieser Druck kann unserer Meinung
nach durch die Erfassung und Zusammenstellung der verfügbaren Daten, die
Gewinnung besserer Erkenntnisse durch Datenwissenschaft und qualitative
Analysen und die Anwendung dieser Erkenntnisse durch einen umfassenden
Forschungsrahmen gemildert werden.
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