Capital Group: Fünf wichtige ESG-Themen, die Anleger auf dem Radar haben sollten

Jessica Ground, Global Head of ESG bei Capital Group
ESG

Die Zahl der Themen, die Unternehmen und Anleger im Bereich Umwelt, Soziales und Governance (ESG) berücksichtigen müssen, nimmt immer weiter zu. Jessica Ground, Global Head of ESG bei Capital Group, bringt Klarheit in die komplexe Gemengelage und nennt fünf Entwicklungen im ESG-Bereich, die Anleger im weiteren Jahresverlauf und darüber hinaus auf jeden Fall im Blick haben sollten. Denn:

27.06.2024 | 10:35 Uhr

„Jedes dieser fünf Themen bringt bedeutende Chancen und Risiken mit sich“, so die Expertin.

Nr. 1: Regulierungsbehörden fordern transparente Lieferketten
Regierungen und Regulierungsbehörden drängen nach Grounds Beobachtung immer stärker auf Transparenz in den Lieferketten, was viele Unternehmen dazu veranlasse, ihre Betriebsabläufe und die damit verbundene Berichterstattung zu überdenken. „Das ist für Anleger nicht zuletzt deshalb relevant, weil Compliance-Kosten, betriebliche Veränderungen und Geldbußen erhebliche Auswirkungen auf das Ergebnis von Unternehmen haben können“, sagt sie.

Eine aktuelle EU-Initiative könnte nach Meinung der Expertin zu einer der umwälzendsten werden: die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD). „Sie wird Unternehmen eine Sorgfaltspflicht auferlegen in Bezug auf mögliche negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte im eigenen Unternehmen, den Tochterunternehmen sowie entlang der gesamten Wertschöpfungskette – mit weltweiten Auswirkungen“, sagt Ground. Die neue Richtlinie könnte bereits ab 2027 schrittweise eingeführt werden. Unternehmen mit mindestens 5.000 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro würden ihr als erste unterliegen.

Nr. 2: KI stellt Unternehmen vor neue Governance-Herausforderungen
Neue Herausforderungen seien auch durch Künstliche Intelligenz (KI) zu erwarten. Denn verschiedene Organisationen würden derzeit an Rahmenwerken für die Governance von KI arbeiten. Dazu zählten etwa die Europäische Union (EU), die Vereinten Nationen, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und das US National Institute of Standards and Technology (NIST). Das EU-Gesetz über Künstliche Intelligenz dürfte noch in diesem Jahr in Kraft treten. Derartige Regulierungsvorschläge könnten Unternehmen als Orientierungspunkt für ihre Bemühungen um KI-Governance dienen. Mit dem zunehmenden Einsatz von KI stünden vor allem der Schutz der Privatsphäre, der Datenschutz und die verantwortungsvolle Nutzung der neuen Technologie im Vordergrund. „Unternehmen, die nicht sicherstellen, dass ihre Governance mit den neuen Herausforderungen Schritt hält, setzen sich möglicherweise erheblichen rechtlichen und regulatorischen Risiken aus“, sagt Ground.

Nr. 3: Die harte Realität der Energiewende
Schwierig dürften auch die nächsten Schritte im Rahmen der Energiewende werden: „Nachdem viele Unternehmen die niedrig hängenden Früchte des Managements ihrer eigenen Scope-2-Emissionen (in der Regel zugekaufter Strom) geerntet haben, ist es für sie nicht einfach, weitere Fortschritte bei der Dekarbonisierung zu erzielen“, sagt Ground. Um die vereinbarten Klimaziele bis 2030 zu erreichen, müssten Unternehmen nun anspruchsvollere Maßnahmen zur Steigerung ihrer Energieeffizienz ergreifen. Effizienzsteigerungen sind aus Sicht Grounds beispielsweise durch den verstärkten Einsatz von Elektrofahrzeugen möglich, durch die Abkehr von Erdgas zum Heizen sowie durch die zunehmende Elektrifizierung der Schwerindustrie. „Wir treten möglicherweise in eine kritische Phase ein, in der hohe Anschaffungskosten nicht mehr als Grund für Untätigkeit angesehen werden – vor allem deshalb, weil die Regierungen Anreize zur Kostensenkung nutzen“, erklärt Ground.

Nr. 4: Staatlichen Emittenten sorgen für Finanzinnovationen
Ground beobachtet bei staatlichen Emittenten interessante ESG-Innovationen, beispielsweise bei der Art und Weise, wie sie ihre Nachhaltigkeitsbemühungen finanzieren würden. In den Schwellenländern hätten Anleihen mit ESG-Kennzeichnung in den letzten Jahren rund 20 Prozent der gesamten Emissionen in Hartwährung ausgemacht. „So dürfte zum Beispiel Ecuadors rekordverdächtiger ,Debt for Nature‘-Swap im Jahr 2023 Regierungen, die den Naturschutz vorantreiben wollen, einen echten Denkanstoß gegeben haben“, sagt Ground. „Vereinfacht ausgedrückt wird bei diesen Finanzkontrakten ein Teil der Schulden eines staatlichen Emittenten erlassen, wenn sich dieser im Gegenzug verpflichtet, die Umwelt in einer festgelegten Weise zu schützen.“ Ecuador habe auf dieser Weise 1,6 Milliarden US-Dollar seiner Schulden mit einem hohen Abschlag zurückkaufen können. Der lateinamerikanische Staat habe daraufhin neue „blaue Anleihen“ begeben, deren Erlöse ihm dabei helfen sollen, mindestens 12 Millionen US-Dollar pro Jahr für den Erhalt des einzigartigen Ökosystems der Galapagos-Inseln bereitzustellen.

Nr. 5: Biodiversität rückt in den Fokus der Anleger
„Angesichts einer wachsenden Besorgnis über die Erosion des Naturkapitals, womit im Wesentlichen der weltweite ,Vorrat‘ an Boden, Luft, Wasser und Lebewesen gemeint ist, gewinnt Biodiversität für Anleger an Bedeutung“, stellt Ground fest. Dies spiegele sich auch in der jüngsten globalen ESG-Studie von Capital Group wider. Darin hätten im Vergleich zu 2023 fast doppelt so viele der befragten Anleger angegeben, bis 2025 eine spezielle Biodiversitätsrichtlinie einführen zu wollen.

Die Veröffentlichung des lang erwarteten Berichtsrahmens der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) im Jahr 2023 beschleunige die Anerkennung der Bedeutung der biologischen Vielfalt. Im Januar 2024 hätten sich 320 Organisationen aus 46 Ländern verpflichtet, auf der Grundlage der TNFD-Empfehlungen naturbezogene Finanzdaten offenzulegen. In den kommenden Jahren dürften die Empfehlungen der TNFD in die globalen Rechnungslegungsstandards und -vorschriften aufgenommen werden, so Ground.

Darüber hinaus erwartet Ground weitere Leitlinien zu naturbezogenen Angaben, um das Risiko besser verstehen zu können. „Die Natur ist wohl ein noch komplexeres Thema als das Klima, bei dem sich die Unternehmen in der Vergangenheit vor allem auf Emissionsdaten konzentrierten. Wir sind selbst in Kontakt mit Anbietern von Biodiversitätsdaten, um herauszufinden, wo uns die Daten Dritter dabei helfen könnten, biodiversitätsbezogene Abhängigkeiten und Einflüsse auf unsere Anlagen zu bewerten“, sagt Ground. „Klar ist: Wie und wo die politischen Entscheidungsträger in den nächsten ein oder zwei Jahren zum Schutz des Naturkapitals handeln, dürfte tiefgreifende Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und die Berichterstattung vieler Unternehmen in den kommenden Jahrzehnten haben.“

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