In einer Zeit neuer wirtschaftlicher Herausforderungen erwarten wir, dass Anleger in chinesischen Aktien mit Value-Anlagen besser fahren als mit wachstumsorientierten Strategien.
09.10.2023 | 09:01 Uhr
Anleger haben kritische Fragen bezüglich China, nachdem statt der
Hoffnung auf eine Erholung des Landes nach der COVID-Pandemie nun Sorgen
um seine Wirtschaft dominieren. Trotz der Ungewissheiten halten wir
China aber weiterhin für investierbar. Dabei kann ein Value-orientierter
Ansatz mit Schwerpunkt auf Unternehmen, deren Strategie auf die Politik
der Regierung abgestimmt ist, langfristige Ergebnisse bringen.
Im Januar schien es noch so, als ob 2023 das Jahr Chinas werden könnte.
Nach dem langen Lockdown war die Wiederöffnung der Wirtschaft ein viel
beachtetes Thema und der Privatkonsum schnellte in die Höhe. Aber im
Gegensatz zu vielen westlichen Wirtschaftsräumen nahm die Dynamik ab,
weil die Regierung keine aggressiven staatlichen Konjunkturprogramme
auflegte. Im Bereich der Unternehmen blieb die Erholung aufgrund
sporadischer Lockdowns in den letzten drei Jahren fragil. Zudem wurde
sie durch das politische Bemühen um die Entschuldung des
Immobiliensektors, das zur Verlangsamung des Wirtschaftswachsums führte,
weiter geschwächt. Chinesische Aktien spiegeln die Enttäuschung wider.
Der MSCI China A fiel in diesem Jahr bis zum 20. September um 4,1% in
Lokalwährung und blieb damit in einem steigenden globalen Marktumfeld
hinter den Aktienmärkten sowohl der Industrie- als auch der
Schwellenländer zurück.
Die verhaltene Reaktion der Regierung auf die Herausforderungen, die
sich der Wirtschaft stellen, ließ viele Anleger ratlos zurück. Warum hat
die Politik nur ein solch begrenztes Bündel an Maßnahmen eingesetzt,
mit dem es obendrein bisher nicht gelungen ist, die Konjunktur
anzukurbeln?
Dies Antwort liegt vielleicht darin, dass es Anfang 2023 divergierende
Prioritäten gab. Sollten die Verantwortlichen den Fokus auf die seit
Langem bestehenden strukturellen Ungleichgewichte richten, die im Zuge
der kreditfinanzierten Infrastruktur- und Immobilieninvestitionen der
letzten beiden Jahrzehnte entstanden sind? Oder auf dringendere
Probleme, beispielsweise das schwache Konsum- und Geschäftsklima und das
langsamere Wachstum? Aufgrund der Schwierigkeiten, einen Konsens zu
erreichen, konnte man sich nur mit Mühe auf kohärente, entscheidende
politische Schritte einigen.
Aber die Risiken durch das rückläufige Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern und das langsamere Wachstum lassen sich nun kaum noch ignorieren. So geht das verarbeitende Gewerbe schon seit Monaten zurück (Abbildung) - u.a. wegen des nachlassenden Exportwachstums -, während sich die Konjunktur im Dienstleistungssektor, der auch die Baubranche umfasst, ebenfalls abschwächte.
Auf den Wohnimmobilienmärkten sind die Verkaufszahlen im Keller, und die realen, inflationsbereinigten Preise haben zu sinken begonnen. Dies trug zu einer schärferen geldpolitischen Reaktion der Chinesischen Volksbank bei, die sowohl die Zinsen auf bestehende Hypotheken als auch die Zahlungsverpflichtungen für den Kauf von Erst- und Zweitwohnungen senkte.
Für Anleger bedeutet dies unter dem Strich, dass noch mehr
Ungewissheit und viele Hindernisse vor ihnen liegen. China ist kurz- und
mittelfristig mit zahlreichen Wachstumsproblemen konfrontiert, von
denen die strukturelle Verlangsamung im Immobiliensektor eines der
größten ist. Hochverschuldete Firmen könnten in Not geraten, und
Zahlungsausfälle von Immobilienentwicklern könnten die Finanzen von
Lokalregierungen belasten oder den Bankensektor unter Stress setzen. Die
daraus resultierende wirtschaftliche Talfahrt wird eine gewisse Zeit
anhalten.
Aber eines erwarten wir nicht: einen Systemzusammenbruch. Chinas
Bankensystem ist dank einer umsichtigen Regulierung in den letzten zehn
Jahren robuster geworden. Es verfügt über erhebliche Kapitalpolster, und
die Zentralbank hat umgehend auf Bankenpleiten reagiert. Die
Verschuldung der Lokalregierungen, eine weitere Ursache für
Anlegersorgen, ist nach wie vor beträchtlich, aber ihr Anstieg hat sich
in den letzten zehn Jahren verlangsamt. Unseres Erachtens wird die
Zentralregierung, deren Finanzen makellos sind, nötigenfalls diese
Schulden übernehmen, wenn auch widerwillig.
Außerdem sei darauf hingewiesen, dass langsameres Wachstum eine
unausweichliche Konsequenz von Chinas laufendem Übergang zu einem
ausgewogeneren Wirtschaftsmodell ist. Die Verlagerung weg von der
Schwerindustrie und dem Export bedeutet so lange schwächeres Wachstum,
bis die betreffenden Ressourcen wieder eingesetzt werden.
Ein ideales Ergebnis für Anleger am Aktienmarkt wäre eine Stabilisierung
der kurzfristigen Wachstumsaussichten Chinas im Zusammenspiel mit
Wirtschaftsreformen, die China helfen, von einem schuldenfinanzierten
Wachstumsmodell zu einem Modell überzugehen, das Innovationen im
Konsumgüter-, Dienstleistungs-, Technologie- und Industriesektor
fördert.
Trotz der Herausforderungen, mit denen China konfrontiert ist, halten wir den langfristigen Ausblick für chinesische Aktien für vielversprechend. Die Bewertungen auf den Offshore- und Onshore-Märkten sind aus unserer Sicht im Vergleich zu den letzten zehn Jahren attraktiv (Abbildung). Auch im Vergleich zum MSCI World Index für Aktien der Industrieländer erscheinen chinesische Aktien günstig.
Außerdem besteht aus unserer Sicht hohes Potenzial für eine Gewinnerholung, die jedoch erst irgendwann 2024 eintreten dürfte. Letztendlich erwarten wir jedoch, dass chinesische Aktien ihre Pendants aus den großen Industrie- und Schwellenländern überholen werden (Abbildung).
Zudem könnte eine künftige Dollar-Schwäche zusätzliche Kapitalzuflüsse
in das Land anziehen, wovon die Aktienmärkte und der Renminbi potenziell
profitieren würden.
In dieser neuen Zeit des reduzierten Wachstums erwarten wir, dass
Value-Anlagen die traditionell unter chinesischen Anlegern beliebten
wachstumsorientierten Strategien übertreffen. Starke Unternehmen mit
robusten Cashflows und angemessenen Bewertungen zu erkennen wird von
entscheidender Bedeutung sein und nach unserem Dafürhalten Anlegern den
Zugang zu den Aktien mit dem attraktivsten Alpha-Potenzial auf dem
großen und liquiden chinesischen Aktienmarkt ermöglichen.
Die interessantesten Gelegenheiten werden aus unserer Sicht
wahrscheinlich Unternehmen sein, die die gleichen Ziele wie die
Regierung im Bereich des Handels und der Politik verfolgen,
beispielsweise Technologiesicherheit und die Dekarbonisierung der
Binnenwirtschaft. Weitere Gelegenheiten bestehen unseres Erachtens in
zyklischen Industrieunternehmen wie z. B. Herstellern von Bussen und
Gabelstaplern, die attraktive, international stark nachgefragte Produkte
entwickelt haben. Diese Unternehmen bedienen sowohl den Binnen- als
auch den Exportmarkt und verfügen somit über zahlreiche Erfolgschancen.
Ähnliche Gelegenheiten können wir auch in anderen Sektoren erkennen, z.
B. bei medizinischen Geräten für zu Hause, Haushaltsgeräten und im
E-Commerce. Wir halten all diese Optionen für attraktive Möglichkeiten,
um Zugang zu dem dynamischen chinesischen Aktienmarkt zu erhalten.
China könnte seine über viele Jahre effektiv ausgefüllte Rolle als
wichtigster globaler Konjunkturmotor verlieren. Die nächste Phase in der
Entwicklung Chinas wird für Anleger Herausforderungen mit sich bringen
und erfordert vorerst einen mehr auf Value-Anlagen ausgerichteten Ansatz
am Aktienmarkt. Mit einer Strategie, die auf die stattfindenden
Veränderungen abgestimmt ist, können langfristig orientierte Anleger das
notwendige Vertrauen gewinnen, um chinesische Aktien als eigenständige
Komponenten in eine diversifizierte globale Aktienallokation
aufzunehmen.
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