Zu Beginn des Jahres 2022 stehen die Finanzmärkte im Zeichen geldpolitischer Veränderungen. Politik und Zinsen wirken sich zwar immer auf die Erträge am Aktienmarkt aus, aber wir sind der Meinung, dass das sich verändernde Umfeld die strategische Bedeutung der Identifizierung von Qualitätsunternehmen mit klaren Vorteilen für schwierige Zeiten unterstreicht.
09.02.2022 | 07:14 Uhr
Da sich die Inflation als hartnäckiger erweist als ursprünglich erwartet, rücken die US-Notenbank und andere Zentralbanken von ihrer sehr lockeren Politik ab. In Europa und Japan müssen die Zentralbanken jedoch noch nachziehen. Die Transparenz der globalen Aussichten ist nach wie vor gering, da COVID-19 die Wirtschaft weiterhin beeinträchtigt. Wie können sich Aktienanleger darauf einstellen?
Warum steigen die Zinsen?
Die Antwort auf diese Frage sollte die Fundamentalanalyse der Unternehmen prägen. Sobald wir wissen, was die Ursache für geldpolitische Veränderungen ist, können wir bessere Entscheidungen hinsichtlich der Aktienauswahl und der Positionierung von Portfolios treffen.
Falls die Zinsen steigen, um die Konjunktur zu bremsen, wird die Profitabilität unweigerlich sinken. In der Vergangenheit tendierten die Zentralbanken dazu, die Zinsen zu erhöhen, um die Investitionen zu drosseln und die Zahl der Neueinstellungen zu verringern, und damit Wirtschaftswachstum effektiv zu bremsen. Die Ankündigung des Tapering durch die Fed Mitte letzten Jahres wurde zunächst als Beginn einer „Normalisierung“ der Zinsen angesehen, die der Markt als positiv empfand.
Als sich das Wachstum jedoch in der zweiten Jahreshälfte 2021 weiter beschleunigte und die Inflation zu steigen begann, wurde das geldpolitische Ziel eher ein „leichter Tritt auf die Bremse“. Die Entscheidungsträger sind sich sehr wohl bewusst, dass das BIP-Wachstum anfällig ist, und wollen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Erholung vermeiden. Doch die anhaltenden COVID-19-Engpässe treiben die Inflation derart in die Höhe, dass sie sich auch auf die Inflationserwartungen auszuwirken beginnen.
Infolgedessen stehen die Zentralbanken nun vor einer sehr schwierigen Phase. Die Anleger sind besorgt, dass die Zentralbanken gezwungen sein könnten, die Geldpolitik zu aggressiv zu straffen. Diese Befürchtung ist berechtigt, aber wir gehen derzeit immer noch davon aus, dass die Fed und andere Zentralbanken die Zinssätze maßvoll anheben werden, was dazu beitragen dürfte, einen dramatischen Einbruch der Wirtschaftstätigkeit zu vermeiden. Zwar hat die Fed in letzter Zeit Pläne für eine aggressivere Straffung signalisiert. Wir glauben jedoch, dass die Erwartungen von vier Zinserhöhungen in den USA im Jahr 2022 allmählich in die Marktpsychologie einfließen und die Fed Spielraum für Anpassungen auf der Grundlage des sich entwickelnden Inflations- und Wirtschaftsumfelds hat.
Realzinsen sind wichtig
Bei diesen Veränderungen sind auch die realen (inflationsbereinigten) Zinsen von Bedeutung. In den USA sind die Realzinsen derzeit negativ. Wenn sich das zu ändern beginnt, werden die Aktien in Bedrängnis geraten. Insbesondere hoch bewertete Aktien dürften neu bewertet werden, wie der Ausverkauf der relativ teuren US-Technologiewerte im Januar und der starke Anstieg der Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen gezeigt haben.
Eine weitere Gefahr ist die Stagflation. Wenn in einem Umfeld steigender Inflation die steigenden Zinsen ungewollt das Wirtschaftswachstum bremsen, wird es für die Unternehmen schwierig, profitabel zu operieren. Obwohl dieses Szenario unwahrscheinlich ist, sind wir der Ansicht, dass Unternehmen, die vor allem aufgrund der „Goldlöckchen“-Jahre mit niedrigen Zinsen und solidem Wachstum florierten, besonders anfällig für eine Stagflation wären.
Divergierende regionale Trends schaffen Chancen
Da die Zentralbanken in aller Welt diese Variablen abwägen, werden die geldpolitischen Reaktionen unterschiedlich ausfallen. Auch wenn sie mit ähnlichen Themen konfrontiert sind, wird die Inflations- und Wachstumsgleichung von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. So versprach Christine Lagarde von der Europäischen Zentralbank Mitte Januar, alles zu tun, um die Inflation zu senken, verzichtete aber auf die Ankündigung von Zinserhöhungen und machte damit deutlich, dass sich Europa in einer ganz anderen Lage befindet als die USA.
Wenn die europäischen und anderen Zentralbanken bei Zinserhöhungen zurückhaltender sind als die Fed, könnte der US-Dollar zunächst an Wert gewinnen. Das könnte die europäischen Exporteure unterstützen, die von einem relativ schwachen Euro profitieren. Unternehmen, die von den europäischen Verbrauchern abhängig sind, könnten jedoch Probleme bekommen, da die regionalen Wachstumsaussichten weiterhin getrübt sind.
Anleger sollten auch Sektoren im Auge behalten, die direkt von steigenden Zinsen betroffen sind. Im Großbritannien zum Beispiel sind Hypotheken mit variablem Zinssatz sehr beliebt; steigende Zinsen würden die Finanzierungskosten für Hausbesitzer erhöhen und die Konsumaussichten für die britische Binnenwirtschaft weiter eintrüben.
Regionale Unterschiede zwischen Unternehmen in den gleichen Branchen könnten sich durch eine divergierende Geldpolitik noch verstärken. Seit einigen Jahren sind die Anleger daran gewöhnt, dass die geldpolitischen Rahmenbedingungen gleich sind und die Zinsen weltweit nahezu bei null liegen. Höhere Zinsen erhöhen die Abzinsungssätze, die von den Anlegern zur Bewertung von Aktien und künftigen Cashflows verwendet werden, was wiederum die Aktienbewertungen drückt. Das könnte aktiven Managern die Möglichkeit bieten, Unternehmen zu identifizieren, die attraktiver sind als andere Unternehmen, weil sie heute profitabel sind und es auch in einem anderen geldpolitischen Umfeld bleiben werden.
Stabile Geschäftsmodelle für unsichere Zeiten
Unternehmen mit klaren Wettbewerbsvorteilen, die ein stabiles Gewinnwachstum unterstützen, sollten in der Lage sein, die kurzfristigen Herausforderungen der geldpolitischen Unsicherheit zu meistern. Preissetzungsmacht – ein wichtiges Attribut schon in normalen Zeiten – wird in einem Jahr mit hartnäckiger Inflation und geldpolitischen Veränderungen ein noch größeres Unterscheidungsmerkmal sein. Unternehmen, die über klare technologische Effizienzsteigerungen verfügen, werden gut gerüstet sein, um den Inflationsdruck zu bekämpfen. Die Bilanzen bedürfen einer besonders sorgfältigen Prüfung, da Unternehmen mit größerem Finanzierungsbedarf anfälliger für Margendruck werden könnten.
Während viele Anleger weiterhin darauf fixiert sind, wie sich steigende Zinsen auf die Erträge des Marktes auswirken, sind wir der Meinung, dass es wichtiger ist, die potenziellen Auswirkungen auf einzelne Unternehmen zu verstehen. Geldpolitische Veränderungen und Inflationstrends im Jahr 2022 sollten auf der Agenda eines jeden Anlegers ganz oben stehen. Um die Ungewissheit zu überbrücken, sollten Anleger nach Qualitätsunternehmen mit stabilen Cashflows Ausschau halten, die das trübe Umfeld mit resilienten Gewinnen überstehen können.
Mark Phelps ist Chief Investment Officer für Concentrated Global Growth bei AllianceBernstein (AB).
Dev Chakrabarti ist Co-Chief Investment Officer für Concentrated Global Growth bei AllianceBernstein (AB).
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.
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