Columbia Threadneedle: Gründe für Kurseinbruch beschränken sich nicht auf China

„Unserer Auffassung nach wurden die Aktienmärkte in den letzten Jahren von einer Liquiditätswelle nach oben getragen, die der quantitativen Lockerung zu verdanken ist“, sagt Marc Burgess, CIO EMEA und Global Head of Equities bei Columbia Threadneedle.

02.09.2015 | 16:14 Uhr

Häufig hört man, in der Politik sei eine Woche eine lange Zeit. Aber an den Finanzmärkten kann einem eine Woche wie eine Ewigkeit vorkommen. Am Montag, den 24. August, gingen die globalen Aktienmärkte auf Talfahrt als die Kurse chinesischer Aktien weiter fielen. Dadurch verstärkte sich die Besorgnis, dass sich eine Konjunkturabkühlung in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wesentlich schneller einstellen könnte als bisher gedacht. Viele Anleger hatten gehofft, dass die chinesischen Behörden über das Wochenende ihre Geldpolitik lockern würden, vielleicht durch eine Absenkung des Mindestreservesatzes für Banken. Als diese Hoffnung sich nicht bewahrheitete, verstärkte dies die Befürchtungen, dass die aktuelle Geld- und Fiskalpolitik Chinas hinter den Entwicklungen hinterherhinkt. Die chinesischen Behörden kündigten dann am Dienstag, den 25. August, eine Senkung des Zins- und Mindestreservesatzes an. Diese Nachricht verlieh den meisten Aktienmärkten Auftrieb, allerdings kam die Aufwärtsbewegung schon bald wieder zum Erliegen und der S & P 500 schloss am Ende des Börsentages mit einem Verlust. Während ich diese Zeilen schreibe, zeigen sich die Märkte weiterhin volatil. Wie am VIX – dem „Angstindex“ der Wall Street – abzulesen ist, herrschen im historischen Vergleich nach wie vor erhöhte Kursschwankungen.

Wie aus der vorstehenden Abbildung ersichtlich ist, erreicht die Volatilität derzeit wieder das Niveau von 2011, als die Staatsschuldenkrise in vollem Gange war. Nun müssen sich Anleger die Frage stellen, ob die jüngsten Ereignisse lediglich eine Korrektur nach einer langen und kräftigen Hausse von Risikoanlagen darstellen, oder ob sie Vorboten einer unheilvolleren Entwicklung sind. Es sei noch einmal daran erinnert, dass die Rally am Aktienmarkt nicht durch Gewinnsteigerungen, sondern durch eine Neueinschätzung der Bewertungen angetrieben wurde. Aus diesem Grund reagieren die Märkte auch so empfindlich auf die Nachrichten aus China.

Unserer Auffassung nach wurden die Aktienmärkte in den letzten Jahren von einer Liquiditätswelle nach oben getragen, die der quantitativen Lockerung zu verdanken ist. Jetzt müssen die Anleger der Realität ins Auge sehen: In den Industriestaaten ist auch sieben Jahre nach der Krise kein beeindruckendes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Die politischen Entscheidungsträger in den USA und Großbritannien, die gern die Zinsen anheben würden, sehen sich derzeit nicht dazu in der Lage. Anders ausgedrückt: Die Märkte hatten gehofft, dass die Industrieländer dieses Jahr zu einer gewissen wirtschaftlichen „Normalität“ zurückfinden würden, und eine Konjunkturabkühlung in China in diesem Zusammenhang bewältigt bzw. eingedämmt werden könnte. Leider haben die USA – die einzige bedeutende Industrienation, in der nach der Krise ein kräftiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen war – mit einem stärkeren US-Dollar und einem zunehmend angespannten Arbeitsmarkt zu kämpfen. Zudem gingen infolge des weltweiten Ölpreisverfalls die Investitionen zurück. Falls die Konjunktur in den USA nachlässt und sich die wirtschaftliche Lage in China rasch oder stärker verschlechtert, dann sehen die globalen Wachstumsaussichten trübe aus. Trotz aller konjunkturfördernden Maßnahmen (wie quantitativer Lockerung und Zinsen von 0 %) steht kein anderes Land in den Startlöchern, um den Staffelstab des Wirtschaftswachstums zu übernehmen. So betrachtet, war China zwar der Auslöser für den aktuellen Kursrutsch an den Aktienmärkten, ist aber nicht die einzige Ursache für das derzeit weltweit schwache Wirtschaftswachstum. Es ist auch nicht verantwortlich dafür, dass die Industrieländer ihr geldpolitisches Instrumentarium bereits ausgeschöpft haben.

Was bedeutet das für die Anleger? Wenn es sich bei den aktuellen Kurseinbrüchen am Aktienmarkt lediglich um eine Korrektur handelt, bieten sich attraktive Chancen für langfristig orientierte Anleger. Meine Kollegen aus dem Aktienteam auf der anderen Seite des Stockwerks haben die von ihnen favorisierten Positionen zu günstigen Bewertungen aufgestockt. Dabei mussten sie jedoch Vorsicht walten lassen, denn teilweise gab es heftige Kursschwankungen innerhalb eines Tages. An den Rentenmärkten nahmen wir erstaunt zur Kenntnis, wie wenig Diversifizierung die Staatsanleihen aus Kernländern brachten: Am Montag boten sie noch eine gewisse Wertbeständigkeit, aber am Dienstag folgte der Absturz. Lesern, die meine Kolumnen schon länger verfolgen, ist bekannt, dass wir Staatsanleihen der Kernländer untergewichten und angesichts deren Wertentwicklung hegen wir auch nicht die Absicht, dies zu ändern. In Hinblick auf die Geldpolitik halten wir eine diesjährige Zinsanhebung durch die englische Zentralbank nun für unwahrscheinlich. Die Marktkurse in den USA deuten darauf hin, dass die Chancen für eine Zinserhöhung durch die US-Notenbank fünfzig zu fünfzig stehen. Unserer Meinung nach schwindet die Wahrscheinlichkeit einer solchen Zinserhöhung bis Ende 2015 jedoch rasch. Unabhängig davon, wie sich die Lage in China entwickelt, werden die Zinsen nun vermutlich noch längere Zeit niedrig bleiben.

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