Was bedeutet eine Ära höherer Gleichgewichtsinflation für Renditen, Volatilität und aktive Anleiheninvestitionen?
19.04.2024 | 11:26 Uhr
In den vergangenen vierzig Jahren herrschten weltweit deflationäre Kräfte vor, die eine niedrige Gleichgewichtsinflation ermöglichten. Doch ein Wandel ist im Anmarsch. Der zunehmende Druck durch makroökonomische Megafaktoren deutet auf eine höhere strukturelle Inflation und ein geringeres reales BIP-Wachstum in den kommenden Jahren hin.
Unserer Ansicht nach wird sich dieses neue System eher durch eine langsame Aufdeckung als durch einen plötzlichen Umschwung bemerkbar machen. In der Tat ist es wahrscheinlich schon da. Wir gehen davon aus, dass sich die Situation in den nächsten zehn Jahren wie folgt entwickeln könnte.
Im Zentrum unserer Erwartungen einer höheren Gleichgewichtsinflation stehen drei starke Kräfte: Deglobalisierung, Demografie und Klimawandel.
Natürlich sind nach wie vor auch deflationäre Kräfte im Spiel. Die Technologie zum Beispiel wirkt seit Jahren deflationär und wird es wahrscheinlich auch weiterhin tun, und die Generative Künstliche Intelligenz (GKI) könnte die Produktivität steigern.
Das Zusammenspiel von inflationären und deflationären Kräften führt zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit und damit zu einer höheren Gleichgewichtsinflation, bei der 2 % eher eine Untergrenze als ein festes Ziel sind.
Häufigere Inflationsschübe könnten charakteristisch für die neue Situation sein, da die heutige massive Staatsverschuldung die politischen Entscheidungsträger dazu veranlasst, ihre Verbindlichkeiten per Inflation zu schrumpfen. Die Schuldenquote der Industrieländer im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist heute genauso hoch wie während des Zweiten Weltkriegs, als sie ihren bisherigen Rekord erreichte (Abbildung). Bislang hat diese enorme Anhäufung von Staatsschulden keine große Rolle gespielt, weil die Kosten der Verschuldung so niedrig waren.
Nachdem die Kosten des Schuldendienstes nun angestiegen sind, sieht die Sache anders aus. Um die Schulden zu bewältigen, muss das nominale BIP (reales BIP plus Inflation) wahrscheinlich höher sein als die Kosten der Schulden. Und wenn sich das reale BIP-Wachstum verlangsamt – und davon gehen wir aus –, dann wird die Inflation nicht nur akzeptabel, sondern entscheidend für die Verringerung der Gesamtschuldenlast.
Gleichzeitig haben die politischen Entscheidungsträger deutlich gemacht, dass sie eine Deflation vermeiden wollen, wie wir nach der globalen Finanzkrise und der COVID-19-Pandemie gesehen haben. Wie der Fall Japan zeigt, kann eine Deflation unglaublich schwer zu überwinden sein. Um sich dagegen zu schützen, neigen die politischen Entscheidungsträger dazu, die Fiskalpolitik aggressiv auszuweiten und die Zinsen zu senken, was zu einer Überkorrektur in Form einer höheren Inflation führt.
Unserer Ansicht nach wird das Ergebnis wahrscheinlich eine höhere Toleranz für episodische Inflationsschübe sein, die über das bereits höhere Gleichgewichtsniveau hinausgehen.
Wenn die langfristige Inflation höher ausfällt, werden auch die nominalen Zinsen im nächsten Jahrzehnt wahrscheinlich höher sein. Da sich die nominalen Renditen aus der Inflation und den realen Renditen zusammensetzen, stellt sich die Frage, ob die realen Renditen so niedrig bleiben werden, wie sie es in den letzten zwanzig Jahren waren (Abbildung).
Wir glauben, dass das der Fall sein wird.
Einerseits ist es nach dem Ende der quantitativen Lockerung unwahrscheinlich, dass die Realrenditen wieder negativ werden. Andererseits dürften die Realrenditen langfristig durch das (geringere) reale Wirtschaftswachstum gedeckelt werden. Nach unserer Analyse könnten sich die Realrenditen daher in etwa so entwickeln wie die realisierten Realrenditen des letzten Jahrzehnts vor der globalen Finanzkrise.
Während eine höhere Inflation höhere Nominalrenditen impliziert, führt eine höhere Inflationsvolatilität zu steileren Zinskurven. In den letzten zehn Jahren haben sich die Laufzeitprämien größtenteils verflüchtigt. In den nächsten zehn Jahren werden die Laufzeitprämien unserer Meinung nach steigen, um die Anleger für das Risiko zu entschädigen, das das Halten von Anleihen mit längeren Laufzeiten in einem Umfeld unsicherer Inflationserwartungen mit sich bringt.
Höhere Zinsen sind in der Regel mit einer höheren Zinsvolatilität verbunden. Höhere Volatilität wiederum ist gleichbedeutend mit größerer Streuung und Disruption – mehr Variationen in den Ertragsmustern zwischen Regionen, Sektoren und Branchen sowie größere Herausforderungen und mehr idiosynkratische Chancen.
Zwar spielen sowohl aktive als auch passive Strategien in den Anlegerportfolios eine Rolle, aber ein volatileres Umfeld kommt den aktiven Managern zugute, da sie neue Möglichkeiten der Diversifikation, mehr Chancen für Alpha und die Fähigkeit, Krisenherde zu vermeiden, nutzen können.
Infolgedessen erwarten wir für das kommende Jahrzehnt ein Wiederaufleben aktiver Strategien.
Angesichts der höheren Inflation und der häufigeren Inflationsschübe gehen wir davon aus, dass die Anleger auch verstärkt in Inflationsstrategien investieren werden. Dazu gehört ein expliziter Inflationsschutz in Form von inflationsgebundenen Wertpapieren.
Jetzt könnte ein besonders günstiger Zeitpunkt für den Kauf von TIPS (Treasury Inflation-Protected Securities), das heißt inflationsgeschützten Wertpapieren des US-Schatzamtes sein. TIPS sind wie andere Treasuries durch das volle Vertrauen und den Kredit der US-Regierung abgesichert. Sie sollen den Anleger in vollem Umfang für die Inflation entschädigen und bieten bei Neuemissionen auch Schutz vor Deflation, das heißt, der Inflationsausgleich wird nicht negativ sein.
Und heute können Anleger TIPS kaufen, deren annualisierter Ertrag in etwa das Wachstum der US-Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren erreichen kann. In den 27 Jahren, seit TIPS auf den Markt gekommen sind, lag die Rendite von TIPS durchschnittlich 90 Basispunkte unter dem BIP-Wachstum.
Das ist nicht das einzige Kriterium, nach dem TIPS attraktiv bewertet sind. Der aktuelle 10-jährige Break-even-Zins – die Renditedifferenz zwischen 10-jährigen nominalen Treasuries und 10-jährigen TIPS und damit die implizite Marktprognose für den Verbraucherpreisindex in den nächsten 10 Jahren – liegt bei 2,30 %. Unsere Analyse historischer Inflationsmessungen seit der Markteinführung von TIPS vor 27 Jahren legt nahe, dass ein fairer Break-even bei 2,51 % liegen sollte.
Mit anderen Worten: TIPS sind nach verschiedenen Maßstäben ungewöhnlich billig, und Anleger sollten jetzt eine Erhöhung ihrer Allokation in Erwägung ziehen.
Institutionelle Anleger sollten die langfristigen Annahmen überdenken, die sie bei der Vermögensallokation zugrunde legen. Auch die Einstellung zum Risiko wird sich wahrscheinlich ändern. Viele Anleger haben sich auf die Absicherung gegen Bonitätsprobleme wie im Jahr 2008 konzentriert, aber die Inflation wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich das größte Risiko sein, vor dem man sich schützen muss – genau wie in der Vergangenheit.
Unserer Ansicht nach ist das kein Grund, Anleihen zu meiden. Da aktive Anleihen- und explizite Inflationsstrategien eine größere Rolle spielen als in den letzten Jahren, könnten sich viele Anleger bei der Allokation von Anleihen auf vertrautem Terrain wiederfinden.
Die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Recherchen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider. Die Einschätzungen können sich im Laufe der Zeit ändern.
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