Über einen Großteil des vergangenen Jahres versicherten Notenbanken, Politiker und Volkswirte immer und immer wieder, die erhöhte Inflation sei wohl nur ein vorübergehendes Phänomen.
18.01.2022 | 07:25 Uhr
Nicholas Kordowski,Head of non-financials fixed income research
Sie sei eine unvermeidliche Folge der Coronakrise, so argumentierte man, sowie der Verzerrungen am Arbeitsmarkt, der gestörten Lieferketten und der im Zuge der Wiedereröffnung und Erholung der Wirtschaft jetzt wieder steigenden Rohstoffpreise.
Aus verschiedenen Gründen wird die vorübergehende Natur der Inflation inzwischen in Frage gestellt. Viele Unternehmen konnten echte Preissetzungsmacht unter Beweis stellen und die höheren Kosten auf ihre Kunden umlegen, insbesondere in Fällen von Nachfragestau. Zudem spricht einiges dafür, dass die erhöhten Energiepreise ihren vollen Effekt erst noch entfalten müssen. Die steigenden Kosten für die Herstellung von Düngemitteln etwa sind noch nicht vollständig in den Lebensmittelpreisen enthalten. Solche Beispiele, so lässt sich argumentieren, deuten darauf hin, dass die Inflation über einen längeren Zeitraum erhöht bleiben wird als zunächst erwartet.
Dies könnte weitreichende Folgen haben. Infolge der erhöhten Inflation könnte die Kaufkraft der Haushalte insbesondere in den Schwellenmärkten schwinden, die den potenziellen Effekten des Stillstands am chinesischen Immobilienmarkt unverhältnismäßig stark ausgesetzt sind. Auch in den Industrieländern besteht das Risiko, dass die Inflationserwartungen ihren Anker verlieren. Während Verbraucher und Unternehmen mit Meldungen zu weiteren, scheinbar endlosen Preiserhöhungen überschüttet werden, könnten die lange gezügelten Inflationserwartungen ausufern.
Auch neue Covid-Varianten, Russlands wiederholte Drohungen gegenüber der Ukraine und zahlreiche politische Unsicherheiten, wie die Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich, geben Anlass zur Sorge. In Anbetracht der Stellung Frankreichs innerhalb der Europäischen Union sind Hedging-Aktivitäten zur Absicherung gegen ein für den Markt ungünstiges Wahlergebnis zu erwarten. In der Folge könnte der französische Markt in den kommenden Monaten hinter den Kernmärkten zurückbleiben.
Die Frage ob, wo und wann die Zinsen angehoben werden, um dem Problem der unerwartet lang erhöhten Inflation zu begegnen wird wohl im Mittelpunkt des Interesses stehen. In einigen Schwellenländern wurde die Geldpolitik bereits etwas gestrafft. Die Notenbanken der großen Industrieländer dagegen folgen einem zurückhaltenderen Ansatz. Sie stellen eine schnellere Rücknahme der lockeren Geldpolitik in Aussicht als zu Jahresbeginn erwartet, nehmen aber keinen grundlegenden Politikwechsel vor. Dies dürfte sich im neuen Jahr zumindest in einigen Ländern ändern. Die Fed zeigte sich zuletzt restriktiver, was nicht zuletzt auf das Auftreten der Omikron-Variante und die potenziell damit verbundenen weiteren Störungen auf der Angebotsseite zurückzuführen ist. Dies spricht für eine schnellere Drosselung der Wertpapierkäufe und einen möglichen ersten Zinsschritt Mitte 2022. Auch die Bank of England dürfte in Kürze erste Zinserhöhungen vornehmen. Die EZB und die BoJ sind davon noch weit entfernt, stehen aber vor stärker verfestigten Problemen in Zusammenhang mit der Inflation. Mit der Zeit wird sich herausstellen, ob dieses beschleunigte Tempo ausreicht, um den Inflationsdruck deutlich zu verringern oder ob größere, destabilisierendere Anpassungen erforderlich sind.
Inflation und Zinsen darf nicht zu viel Gewicht beigemessen werden, auch nicht einzelnen nationalen Märkten. Vielmehr sind die verschiedenen Themen und Märkte in ihrer Gesamtheit zu betrachten und dies gilt für Industrieländer genauso wie für Schwellenmärkte. Wir gehen davon aus, dass wir unsere konservative Haltung gegenüber Schwellenmärkten beibehalten, und zwar aus den folgenden Gründen:
Allgemein lassen die jüngsten Entwicklungen in Zusammenhang mit Covid-19 eine Duration am unteren Ende der Spanne erwarten. Dennoch gehen wir unverändert davon aus, dass sich die langfristigen Zinsen auf einem niedrigeren Niveau halten werden als vor der Krise und rechnen mit einer Verflachung der Zinskurve in den USA. Tatsächlich dürfte 2022 der Punkt kommen, an dem die Flachheit der Kurve in den Fokus der Märkte rückt und der Zyklus zu Ende geht. Dieser Punkt liegt unserer Einschätzung nach jedoch in einiger Ferne.
Die Frage der Inflation, um noch einmal darauf zurückzukommen, erfordert ein gutes Augenmaß. An der Tatsache, dass uns der Begriff „Stagflation“ erstmals seit beinahe 50 Jahren wieder geläufig ist, lässt sich das Ausmaß des aktuellen Inflationsanstiegs ablesen. Gerade deshalb dürfen wir nicht vergessen, dass dieser durch einen Angebotsschock ausgelöst wurde, der in seiner Dimension als Jahrhundertereignis einzustufen ist. Unter solchen Umständen ist es schlicht zu früh für Aussagen über die Natur des aktuellen Inflationsanstiegs – leicht und vorübergehend oder stark und anhaltend. Wie auch immer es ausgeht, an unserer Aufgabe bei abrdn ändert sich nichts: Mit Erfahrung und Fachkenntnis helfen wir Anlegern sicher durch ein weiteres Jahr voller Herausforderungen.
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