Unterbrechungen der Lieferkette stellen Unternehmen auf der ganzen Welt auf die Probe. Kann eine Lösung in einem Gärtank gefunden werden? Wir glauben, dass die Krise die Einführung der synthetischen Biologie beschleunigen könnte, um eine lokale, nachhaltige Versorgung mit vielen Produkten von Materialien bis hin zu Lebensmitteln zu gewährleisten.
29.04.2022 | 07:55 Uhr
Krisen
führen unweigerlich zu großen Veränderungen und Chancen. Die heutige
Lieferkettenkrise ist wahrscheinlich nicht anders. Seit Beginn von
COVID-19 haben Unternehmen und Länder darum gekämpft, eine stabile
Versorgung mit wichtigen Betriebsmitteln für das normale Funktionieren
unserer Volkswirtschaften zu gewährleisten. In diesem Jahr ist die
Versorgung mit wichtigen Rohstoffen und anderen Produkten aus Russland
und der Ukraine durch den Krieg unterbrochen worden. Auch die
zunehmenden Naturkatastrophen, die in den letzten Jahren durch den
Klimawandel verursacht wurden, haben die Lieferketten beeinträchtigt.
Autofabriken stehen still, weil ein fehlender Mikrochip die Produktion
lahmgelegt hat. Pharmazeutische Anbieter sind bei vielen Medikamenten
auf die Lieferung von Wirkstoffen aus Übersee angewiesen.
Lebensmittelhersteller, die von Weizenexporten aus der Ukraine, einem
Land, das als „Kornkammer Europas“ bekannt ist, abhängig sind, sind
gefährdet, weil die Frühjahrspflanzsaison in Gefahr ist. Unternehmen,
die in einer Vielzahl von Branchen mit solchen Herausforderungen
konfrontiert sind, können innovative Wege zur Neugestaltung der
Lieferketten finden, indem sie sich der synthetischen Biologie zuwenden.
Die synthetische Biologie ist eine revolutionäre Technologie, die die
Herstellungsverfahren für eine Vielzahl von Produkten grundlegend
verändern könnte. In unserem kürzlich erschienenen Weißbuch haben wir
erläutert, wie diese Wissenschaft funktioniert und wie sie sich rasch zu
neuen Anwendungen ausweitet (siehe Die Revolution der synthetischen Biologie: Investieren in die Wissenschaft der Nachhaltigkeit).
Das Ganze findet in einer brauereiähnlichen Umgebung statt. Die Zellen
des Produktionsorganismus (zum Beispiel Hefe) werden in der Regel in
einem Gärtank gezüchtet und gefüttert, und der nachgelagerte Ausstoß
(zum Beispiel gereinigtes Protein) wird geerntet. Außerhalb der
Biotech-Branche, in der die synthetische Biologie zuerst eingesetzt
wurde, fördern sinkende Kosten ihre Verwendung zur Herstellung von
Materialien, die die Qualität von Produkten wie Tierfutter,
Uhrenarmbändern und Zement verbessern. Nun könnte der rückläufige Trend
der Globalisierung ein Katalysator für eine breitere Anwendung sein.
Jahrzehnte des relativen Friedens haben die Unternehmen dazu
veranlasst, ihre Lieferketten zu globalisieren. Autoteile überqueren oft
mehrmals die Grenze zwischen den USA und Mexiko, bevor sie in ein
Fahrzeug eingebaut werden. Das iPhone von Apple enthält Teile, die in
über vierzig verschiedenen Ländern hergestellt werden. Diese Optimierung
der Lieferkette ermöglichte es den Unternehmen, immer profitabler zu
werden – aber sie schuf auch versteckte Schwachstellen.
Die Einsparungen, die durch die Beschaffung günstigerer Komponenten aus
dem Ausland erzielt werden, können sich schnell in Luft auflösen, wenn
ein lokaler COVID-19-Ausbruch zur Schließung von Häfen führt oder ein
geopolitischer Konflikt die Versorgung unterbricht. Viele Ausgangsstoffe
für Produkte, auf die wir tagtäglich angewiesen sind, wie
beispielsweise Düngemittel für die Landwirtschaft, werden aus weit
entfernten Ländern bezogen, die oft von autokratischen Herrschern
regiert werden. Selbst wenn der derzeitige Konflikt beigelegt ist,
werden Unternehmen und Volkswirtschaften unserer Meinung nach nicht
einfach zu den alten, normalen Lieferketten zurückkehren, da sie deren
Anfälligkeit erkannt haben.
Wie kann die synthetische Biologie helfen? Indem sie eine kostengünstige
lokale Produktion ermöglicht. Überall, wo man Bier brauen kann, kann
man auch Produkte mit synthetischer Biologie herstellen. Hier sind
einige Beispiele für potenzielle Einsatzmöglichkeiten der synthetischen
Biologie, um knifflige Versorgungsprobleme zu entschärfen.
Erdöl und Erdgas – werden nicht nur zur Energieerzeugung genutzt.
Kunststoffe und Nylon sind Nebenprodukte des Erdöls, die mithilfe
synthetischer Biologie hergestellt werden könnten. Einige Düngemittel
werden aus Erdgas gewonnen, und in einer kürzlich durchgeführten Studie
wurde berichtet, dass künstlich hergestellte Bakterien als Ersatz für
Düngemittel auf Ammoniakbasis verwendet werden könnten, die derzeit auf
Erdgas basieren.
Pharmazeutische Komponenten – etwa die Hälfte aller Medikamente
weltweit wird aus Pflanzen und Naturmaterialien gewonnen. Nach Angaben
der Food and Drug Administration (FDA) befinden sich etwa 78 % der
Hersteller pharmazeutischer Wirkstoffe außerhalb der USA. Je mehr
Pharmaunternehmen die Möglichkeiten der synthetischen Biologie zur
Herstellung dieser Wirkstoffe nutzen, desto geringer wird die
Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Ausland.
Nahrungsmittel und Aromen – die jüngsten Ereignisse haben
Schwachstellen in verschiedenen Bereichen der Lebensmittellieferkette
aufgezeigt. So warnte Tyson Foods während der Pandemie, als die
US-Verbraucher mit einer großen Fleischknappheit konfrontiert waren,
dass die „Lebensmittellieferkette reißt“. Mithilfe synthetischer
Biologie können alternative Proteinquellen geschaffen werden, die an
verschiedenen Orten hergestellt werden können, weil sie in relativ
kleinem Maßstab wirtschaftlich rentabel sind. In Singapur werden 90 %
aller Lebensmittel importiert, sodass das Land eine Vorreiterrolle bei
der Zulassung von Fleisch aus Zellkulturen übernommen hat. Synthetische
Vanille macht inzwischen bis zu 85 % des weltweiten Angebots aus und
löst damit die chronischen Lieferschwierigkeiten für einen Aromastoff,
der auf natürliche Weise hauptsächlich in Madagaskar produziert wird.
Kleidung – es ist mittlerweile normal, dass Ihr Hemd oder Ihre
Schuhe auf der anderen Seite des Planeten hergestellt werden. McKinsey
berichtet jedoch, dass 71 % der Bekleidungs- und Modeunternehmen planen,
das sogenannte Nearshoring bis 2025 zu verstärken. McKinsey
prognostiziert, dass die Fermentierung mithilfe synthetischer Biologie
erhebliche Kosteneinsparungen bei der Herstellung von Materialien wie
Nylon, Seide, Baumwolle und Kleiderfarben bringen kann.
Batterien für Elektroautos – ein Professor der Columbia University
hat mithilfe der synthetischen Biologie eine spezielle Mikrobe
entwickelt, die wertvolle Materialien auf umweltfreundlichere Weise aus
einer Mine gewinnen kann. Das kann dazu beitragen, die lokale
Beschaffung von Batteriebestandteilen für Elektrofahrzeuge in den USA zu
verbessern.
Viele Unternehmen haben die synthetische Biologie bisher als
futuristische, teure Technologie abgetan, die sich nicht mit global
verteilten Lieferketten vereinbaren lässt. Wir glauben, dass sie zu
einer attraktiveren Option werden könnte, wenn etablierte Unternehmen
versuchen, ihre Betriebsabläufe neu auszurichten, und jüngere
Unternehmen wachsen und neue Lieferketten von Grund auf aufbauen.
Größere Investitionen in synthetische Biologie führen zu Entdeckungen,
die die Produktionskosten senken, mehr Anwendungen und Märkte
erschließen und einen positiven Kreislauf schaffen, der weitere
Investitionen anzieht.
Anleger sollten aufhorchen. Ausgewählte innovative Unternehmen, die die
Revolution der synthetischen Biologie ermöglichen, bieten unserer
Meinung nach ein attraktives Wachstumspotenzial. Und Unternehmen aus
verschiedenen Branchen, die sich die Technologie zunutze machen, um
Herausforderungen in der Lieferkette zu bewältigen, können strategische
Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten nutzen, die ein vielversprechendes
langfristiges Ertragspotenzial freisetzen können.
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. AllianceBernstein Limited ist von der Financial Conduct Authority in Großbritannien zugelassen und wird durch diese Behörde reguliert.
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider.
Diesen Beitrag teilen: