Während sich viele Anleger auf eine scheinbar unvermeidliche Rezession in den USA und eine damit verbundene Marktschwäche einstellten, erholte sich der S&P 500 Index überraschend und legte in den sechs Monaten bis zum 30. Juni 2023 um 16,9 % zu.
03.08.2023 | 09:03 Uhr
Auch Europa und Japan konnten ihre starke Entwicklung fortsetzen und stiegen um 13,6 % bzw. 13,0 %, gemessen am MSCI Europe und MSCI Japan Index in US-Dollar.
Für viele Anleger waren diese guten Nachrichten jedoch nur ein gemischter Segen. Sie waren 2022 sowohl aus den Aktien- als auch aus den Anleihemärkten geflüchtet. Zum 30. Juni 2023 befanden sich auf Geldmarktkonten rekordhohe 5,43 Billionen US-Dollar.
Aktuell sind die Aktienkurse höher als vor sechs Monaten und eine Rezession in den USA noch immer nicht ausgeschlossen. Viele Anleger sind deshalb unsicher, ob sie wieder in den Markt einsteigen sollen. Caroline Randall, Equity Portfolio Manager bei Capital Group, plädiert klar für einen Einstieg.
„Langfristig orientierte Anleger sollten in Erwägung ziehen, die Seitenlinie zu verlassen und einen ausgewogenen Investitionsansatz zu verfolgen, der eine Mischung aus Aktien und Anleihen sowie Bargeld umfasst“, sagt die Portfoliomanagerin und nennt folgende Gründe:
1. Rekordbargeldbestände sind ein positives Zeichen
„Der Rekordbestand an Bargeld und alternativen Geldanlagen könnte ein Katalysator für weitere Marktgewinne sein“, erklärt Randall. Die Geschichte zeige, dass Geldmarktanlagen ihren Höchststand bei oder in der Nähe von früheren Markttiefs erreicht hätten. Während der Corona-Pandemie im Mai 2020 hätten die Geldmarktfondsbestände nur wenige Wochen nach dem Tiefpunkt des S&P 500 im März ihren Höchststand erreicht.
Einem ähnlichen Muster seien die Vermögensströme während der globalen Finanzkrise gefolgt, als das Geldmarktfondsvermögen zwei Monate vor dem Tiefstand des S&P 500 am 9. März 2009 seinen Höchststand erreichte habe. Der Aktienmarkt habe in den dann folgenden drei Monaten eine Rendite von 40 % und in weiteren sechs Monaten eine Rendite von 55 % erreicht.
„Wenn die Inflation ihren Höhepunkt erreicht und die US-Notenbank ihren Zinsstraffungszyklus beendet, wird Bargeld wahrscheinlich ein neues Zuhause suchen, was die Renditen von Aktien und Anleihen antreiben könnte“, so die Expertin. „Jetzt könnte der richtige Zeitpunkt für Anleger sein, die gesamte Vermögensaufteilung zu überprüfen. Für vorsichtige Anleger, die ihre Barmittel in den nächsten sechs Monaten oder länger schrittweise anlegen, kann das Renditepotenzial das Risiko eines zu frühen Wiedereinstiegs in den Markt überwiegen.“
2. Die bisherige Marktrallye könnte sich ausweiten
Die Erholung am US-Aktienmarkt sei bislang begrenzt gewesen. In den zwölf Monaten bis zum 5. Juni seien 90 % der Renditen des S&P 500 auf eine kleine Gruppe von Technologieunternehmen wie Microsoft, NVIDIA, Meta und Alphabet entfallen. „Die Bewertungen dieser Aktien sind in die Höhe geschossen. Aber andere Bereiche des US-Marktes – und zudem die Märkte in Europa und Asien – bieten möglicherweise überzeugendere Bewertungen“, meint Randall. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den S&P 500 Technologiesektor sei am 30. Juni beim 27,4fachen der Gewinne gelegen, verglichen mit dem 19,5fachen der Gewinne für den breiteren S&P 500. Die Bewertung für den breiteren MSCI Europe Index hätten mit dem 12,4fachen des Gewinns unter dessen 10-Jahres-Durchschnitt von 14,2 gelegen und dies selbst nach den jüngsten starken Renditen.
„Man muss die einzelnen Märkte und die einzelnen Unternehmen genau beobachten“, sagt Randall. „Da die Marktführerschaft am US-Aktienmarkt unglaublich eng war, gibt es meiner Meinung nach immer noch einige interessante Anlagemöglichkeiten in einer Reihe von Sektoren und Regionen.“ Historisch gesehen seien auf enge Markterholungen oft Gewinne für den breiteren Markt gefolgt.
3. Rückenwind auch außerhalb der US-Tech-Branche
Wo sollten vorsichtige Anleger nach Chancen Ausschau halten? Für Caroline Randall ist Innovation der Schlüssel zur Identifizierung von Anlagechancen, nicht nur im Technologiesektor, sondern in der gesamten Wirtschaft. „Innovation war schon immer ein Weg zu Wachstum und langfristigem Erfolg“, sagt die Portfoliomanagerin, die eine Welle von Fortschritten in der Medizingeräteindustrie und bei Konsumgüterunternehmen beobachtet hat.
Unternehmen wie Insulet und Dexcom würden Geräte für Diabetiker entwickeln, die mithilfe von Vorhersagealgorithmen eine Fernüberwachung und die Verabreichung von Medikamenten wie Insulin in kritischen Momenten ermöglichten. „Da sich während der Pandemie so viele chirurgische Eingriffe verzögert haben, erwarte ich zudem, dass der Nachholbedarf das Wachstum vieler dieser Medizintechnikunternehmen vorantreiben wird“, fügt Randall hinzu.
Auch einige japanische Unternehmen hätten sich gewandelt und seien dadurch global wettbewerbsfähiger geworden. Innerhalb der traditionellen Film- und Kamerabranche habe sich beispielsweise Olympus zum weltweit führenden Anbieter von Endoskopen entwickelt, medizinischen Instrumenten mit Bildsensoren, die zur Untersuchung innerer Organe eingesetzt werden, und Fujifilm habe sich als Akteur im Gesundheitswesen etabliert, der Arzneimittelentwicklungs- und -herstellungsdienste für Pharmaunternehmen anbietet.
In Deutschland sieht die Expertin ebenfalls Anlagegelegenheiten: „Die DHL Group zum Beispiel ist ein globales Logistikunternehmen mit einem hochwertigen E-Commerce-Lieferservice, das in ganz Europa, den USA und China tätig ist.“
Fazit: Es könnte aufwärts gehen
„Bei all der Unsicherheit, die uns umgibt – Ungewissheit über Inflation, Zinsen, Krieg und Rezession – ist es verständlich, dass die Menschen unschlüssig sind“, sagt Randall. „Wenn man jedoch mit dem Investieren wartet, bis man genug Daten vorliegen hat, um sich ganz sicher zu sein, ist es wahrscheinlich zu spät, weil der Rest des Marktes diese Informationen dann ebenfalls hat. Seien Sie deshalb mutig und bleiben Sie in Unternehmen investiert, die einem möglichen Sturm trotzen können.“
Sind Aktien nun in einen neuen Bullenmarkt eingetreten? „Ich denke, die Tiefststände des Marktes im Oktober 2022 könnten tatsächlich der Tiefpunkt des gesamten Zyklus gewesen sein“, so Randall. „Das bedeutet zwar nicht, dass wir schon wieder im Rennen sind, aber möglicherweise haben wir die Phase des größten Pessimismus hinter uns.“
Diesen Beitrag teilen: