Derivate. Allein das Wort lässt vielen Anlegern und Investoren einen Schauer über den Rücken laufen. Derivate werden häufig mit einer Erhöhung des Risikos und kurzfristigem Denken assoziiert.
24.05.2019 | 13:55 Uhr
Für viele Investoren passt der Einsatz von Derivaten außerdem nicht mit Value Investing zusammen. Aus unserer Sicht greift dies aber zu kurz: Der intelligente Einsatz von Derivaten kann eine Value-Strategie sinnvoll ergänzen und das Risiko sogar reduzieren. Für uns von besonderer Bedeutung sind Put-Optionen, durch deren Verkauf der Erwerb von Aktien vorbereitet und vergünstigt werden kann.
Eine Put-Option
gibt dem Halter das Recht, eine Aktie innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu
einem vordefinierten Preis, dem Bezugspreis, zu verkaufen – unabhängig davon,
wie hoch oder tief die Aktie letztendlich notiert. Der Käufer einer Put-Option
sucht also Schutz vor einem Wertrückgang in der zugrundeliegenden Aktie, dem
Basiswert.
Jedoch muss es für jeden Käufer einer Put-Option auch einen Verkäufer geben: Dieser erhält eine Prämie und nimmt eine Stillhalter-Position ein. Notiert der Basiswert zum Ende der Laufzeit unterhalb des Bezugspreises, muss er die Aktie zum festgelegten Bezugspreis erwerben.
Stellen wir
uns vor, dass nach ausführlichem Research der faire Wert einer gegebenen Aktie
auf rund 150 € geschätzt wird und wir eine Sicherheitsmarge von 30 % fordern.
Die Aktie wäre also um Kurse von 100 € ein Kauf. Der Titel notiert heute jedoch
zu 110 €, wodurch Warten angesagt ist.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, für
das Warten bezahlt zu werden: Zum Beispiel könnten wir Put-Optionen mit einer
dreimonatigen Laufzeit und einem Bezugspreis von 105 € verkaufen. Dafür würden
wir bei einer impliziten Volatilität von 35 % eine Prämie von etwa 5 €
erhalten.1 Notiert die Aktie zum Laufzeitende oberhalb der 105
€, vereinnahmen wir die 5 € Prämie und die Option verfällt zu unseren Gunsten
wertlos.
Notiert die Aktie allerdings unterhalb der 105 €, sind wir
verpflichtet, sie der Gegenseite zu den vereinbarten 105 € abzukaufen.
Attraktiv ist dabei, dass sich durch die Prämie in Höhe von 5 € der effektive
Kaufpreis auf 100 € reduziert, ein Niveau, auf dem wir auf Basis unserer
Fundamentalbewertung ohnehin Anteile an dem Unternehmen kaufen möchten. Im
Vergleich zu einem direkten Kauf der Aktie zu 110 €, erreicht der Investor
durch den Einsatz der Put-Optionen also ein defensiveres Auszahlungsprofil.
Zwar ist durch den Verkauf der Put-Option der unmittelbare Ertrag auch auf die Prämie begrenzt, jedoch würde die Aktie aufgrund der geforderten Sicherheitsmarge ohnehin nicht oberhalb von 100 € gekauft werden, wodurch der „entgangene“ Gewinn nur von theoretischer Bedeutung ist. Die untenstehende Grafik vergleicht das Auszahlungsprofil der verkauften Put-Option mit einer Direktinvestition in die Aktie.
Wir kennen
das Problem: Eine attraktive Aktie wird identifiziert, notiert aber noch nicht
auf einem ausreichend attraktiven Niveau – man wartet diszipliniert auf einen
weiteren Rutsch um beispielsweise -10 %. Tritt dieser ein, beginnen jedoch die
Zweifel: „Haben sich die Fundamentaldaten geändert?“ oder „Weiß hier jemand
mehr?“. Fallende Kurse können den Investor verunsichern, und Entscheidungen werden
nicht mehr gänzlich rational und zu zögerlich getroffen.
Dabei ist es, um es mit den Worten von Warren Buffett zu sagen, gerade in unsicheren Zeiten wertvoll, sich nicht von der Angst und Verunsicherung der anderen Marktteilnehmer anstecken zu lassen. Der Verkauf von Put-Optionen löst dieses Problem, denn nun muss die zugrundeliegende Aktie erworben werden, sobald sie am Verfallstag unterhalb des Bezugspreises notiert. Stillhaltergeschäfte helfen also, sich rationaler zu verhalten und disziplinierter an die Ergebnisse der Fundamentalanalyse zu binden.
Drei Faktoren sind für uns bei der Eingehung von Stillhaltergeschäften besonders relevant:
1. Das Bewertungsniveau des Bezugswerts
2. Die Höhe der Volatilität, also die Bewertung der Option
3. Die Liquiditätssituation, also die Opportunitätskosten
Wie bereits beschrieben, gehen wir Stillhaltergeschäfte in dieser Form nur ein, wenn wir die Aktien des Basiswerts nach tiefgründigem Research grundsätzlich erwerben würden. Die Stillhaltergeschäfte dienen also der Kaufvorbereitung zu einem im Vorhinein festgelegten Kurs. Im Idealfall werden Put-Optionen auf fundamental besonders risikoarme Unternehmen verkauft, die allerdings eine hohe implizite Volatilität aufweisen und damit hohe Prämieneinnahmen ermöglichen. Für uns sind Derivate kein Hexenwerk: Stillhaltergeschäfte können eine nützliche Ergänzung zu einer konsequenten Value-Strategie darstellen.
Wir setzen
Stillhaltergeschäfte im Portfolio antizyklisch ein: Je höher die implizite
Volatilität der Bezugswerte, umso attraktiver fallen die Prämien für den
Verkauf von Put-Optionen aus. Und der Einfluss der Volatilität auf den Preis
einer Option ist beträchtlich: Die Zahlen im obigen Beispiel passen zurzeit gut
auf die Aktien von Alphabet, dem Mutterunternehmen von Google. Eine Put-Option
auf Alphabet mit 70 Tagen Restlaufzeit und einem Ausübungspreis bei
1.050 USD je Aktie kostet bei einem Aktienkurs von 1.100 USD und einer
Volatilität von 40 % etwa 51 USD. Die gleiche Option bringt bei einer Volatilität
von 20 % nur etwa 16 USD Prämie.1
Noch im Dezember 2018 konnte bei Alphabet in der Spitze eine implizite Volatilität von annähernd 40 % realisiert werden, was angesichts des qualitativ hochwertigen Geschäftsmodells und der großen Nettokasseposition des Unternehmens sehr hoch erscheint. Eine hohe implizite Volatilität spiegelt also nicht immer das fundamentale Risiko eines Unternehmens wider – dies nutzen wir aus. In der Regel gehen turbulente Zeiten an den Märkten mit sinkenden Aktienkursen und einer steigenden Volatilität einher. In diesen Zeiten kaufen wir typischerweise Aktien – oder schreiben Put-Optionen zur Kaufvorbereitung. Die nachfolgende Grafik zeigt hierzu den Verlauf des amerikanischen Volatilitätsindex VIX (schwarz) und das Aktienexposure über Stillhaltergeschäfte im ProfitlichSchmidlin Fonds (grau):
Das dargestellte Exposure aus Stillhaltergeschäften
entspricht dem Wert, um den sich die Aktienallokation des Fonds erhöhen würde,
sollten die geschriebenen Optionen nach Kursverlusten alle „im Geld“ notieren
und damit ausgeübt werden. Es ist erkennbar, dass der Fonds in Zeiten höherer
impliziter Volatilität diesen Portfoliobaustein eher einsetzt – und in diesen
Zeiten werden besonders hohe Prämien aus Stillhaltergeschäften erzielt.
Nachdem es zwischen Dezember 2018 und März 2019 beim Volatilitätsindex VIX etwa zu einer Drittelung von über 36 % auf zeitweise unter 13 % gekommen war, wurde das Exposure aus Stillhaltergeschäften von rund 7 % auf etwa 2 % zum Ende des ersten Quartals 2019 reduziert.
Neben der Bewertung der Einzeltitel und der Volatilität
spielt noch ein dritter Faktor eine Rolle: die Liquiditätssituation des Fonds
und damit die Opportunitätskosten. Verfügt der Fonds über eine große
Kasseposition oder werden Zuflüsse zum Beispiel durch Fälligkeiten
von Anleihen oder einen Squeeze-out bei Aktien erwartet, stellt sich die Frage,
wie die freien Mittel am sinnvollsten allokiert werden. Dabei kann es attraktiv
sein, die Liquidität durch Stillhaltergeschäfte zu bewirtschaften. Wir
vereinnahmen dadurch Prämienerlöse, welche nicht direkt mit Aktien korreliert
sind, und bereiten im Falle von fallenden Kursen Käufe vor und vergünstigen so
unseren Einstand. Die Prämienerlöse verzinsen also die für die
Stillhaltergeschäfte vorgehaltene Kasseposition.
Wie hoch liegt dieser „Zins“
aus Prämienerlösen? Im obigen Alphabet-Beispiel erhalten wir also 16 USD Prämie
für den Verkauf von Put-Optionen mit einer Laufzeit von 70 Tagen bei einer
Volatilität von 20 % beziehungswiese 51 USD Prämie bei einer Volatilität von 40
%. Um zur Fälligkeit der Option im Falle sinkender Aktienkurse wirklich die
Aktie kaufen zu können, muss zur Fälligkeit die entsprechende Liquidität
vorhalten werden. Im Alphabet-Beispiel müssen also 1.050 USD vorgehalten
werden, für die je nach Volatilität 16 USD beziehungsweise 51 USD eingenommen
werden. Dies entspricht einem Ertrag von 1,5 % (8,2 % p.a.) beziehungsweise 4,9
% (28,1 % p.a.) auf das vorgehaltene Kapital über 70 Tage.
Es wird klar:
Besonders profitabel wird diese Strategie bei Titeln mit einer hohen impliziten
Volatilität und in seitwärts tendierenden Märkten, weil mit Fälligkeit alle 70
Tage erneut Prämien vereinnahmt werden können und sich so hohe und
aktienähnliche annualisierte Renditen auf das vorgehaltene Kapital ergeben
können. Das Risiko dieses Ansatzes ist zugegebenermaßen, dass der Basiswert
stark steigt und lediglich Prämien vereinnahmt statt möglicherweise höherer
Kursgewinne realisiert werden. Andererseits ist diese Strategie nicht direkt
mit dem zugrundeliegenden Aktienwert korreliert und bei einer attraktiven
Volatilität ist eine hohe Verzinsung der Kasseposition bei gleichzeitig
defensiver Positionierung möglich.
Daneben passt dieser Ansatz ideal zum Value Investing: Wir bauen auf diese Weise diszipliniert Aktienpositionen auf, wenn sich die Bewertungen verringern und allokieren dadurch systematisch antizyklisch. So bauten wir beispielsweise zwei der aktuellen Top 10 Aktienpositionen nahezu vollständig über Stillhaltergeschäfte auf und vereinnahmten dabei hohe Prämien, welche den Einstandskurs in nennenswerter Höhe verringerten.
1 Bei einem Zins von etwa 2,5 % in USD.
Der Autor Marc Profitlich ist Vorstand und Mitgründer der ProfitlichSchmidlin AG und ist Co-Autor des Buchs Renditeperlen aus dem Scherbenhaufen: Bankhybridkapital in der Finanzkrise.
Im Rahmen dieser Gesellschaft berät er mit seinem Partner Nicolas Schmidlin den ProfitlichSchmidlin Fonds UI (DE000A1W9A28 (R), DE000A1W9A36 (I)).
Der Schwerpunkt der Anlagestrategie liegt auf der Aufdeckung von Unterbewertungen, Identifizierung von spezifischen Werttreibern sowie opportunistischen Sondersituationen in allen europäischen Assetklassen.
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