Anleger, die ihre weltweiten Portfolios diversifizieren wollen, würden etwas verpassen, wenn sie sich China nicht anschauen. Denn dort verfolgen die geldpolitisch Verantwortlichen im vor uns liegenden Jahr einen etwas anderen Kurs als ihre westlichen Pendants.
09.02.2022 | 07:11 Uhr
Nach der stärksten Erholung infolge einer Rezession wird sich das Wachstum im Westen in diesem Jahr abschwächen, aber dennoch über der Trendrate bleiben angesichts der Nachwirkungen der geldpolitischen Stimuli und der Impfkampagnen.
Zwar dürfte dies die Konsumnachfrage stützen, jedoch erwarten wir eine Neuausrichtung von Gütern auf Dienstleistungen. Angesichts der hohen Inflationsraten wird die US-Notenbank wohl die Zinsen anheben und ihre aufgeblähte Bilanz verkleinern.
Indes hat sich die chinesische Wirtschaft bereits im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres gegenüber den sechs Monaten zuvor abgeschwächt, kommt jedoch auf ein Gesamtjahreswachstum von 8,1%.1 Die fiskalische Straffung, die veränderte Regulierung und die anhaltenden Auswirkungen von Covid-19 auf den Konsum hatten daran wesentlichen Anteil. Infolgedessen dürfte China einen stärker konjunkturfördernden Kurs einschlagen.
Genau diese makroökonomischen und geldpolitischen Gegenströmungen bestimmen die Asset Alllocation-Einschätzungen unseres Teams für China für 2022.
Der chinesische Renminbi gehörte im vergangenen Jahr zu den Schwellenländerwährungen mit der besten Entwicklung, mit +2,7% gegenüber dem US-Dollar und +8,1% gegenüber dem handelsgewichteten Korb des China Foreign Exchange Trade System (CFETS).2 Diese Stärke mag eine Überraschung für Beobachter darstellen, die den Fokus auf die schwache Binnenwirtschaft Chinas legen. Vor dem Hintergrund der makroökonomischen und geldpolitischen Unterschiede zwischen China und dem Westen ist sie aber durchaus nachvollziehbar.
Im Reich der Mitte erholte sich die Industrieproduktion schneller und stärker als die Binnennachfrage. In den Industrieländern war es genau umgekehrt, dort zog der Konsum dank fiskalischer Unterstützung wieder an, während Lieferengpässe die dortige Produktion bremsten. Dies beflügelte die Exporte aus China, sodass der Leistungsbilanzüberschuss des Landes kräftig stieg und der Renminbi Auftrieb erhielt.
Gleichzeitig straffte die chinesische Notenbank (PBoC) die Interbanken-Liquidität, als die Konjunkturerholung im zweiten Quartal 2020 an Fahrt gewann – auch wenn die westlichen Zentralbanken ihre Finanzsysteme über die Aktivakäufe mit Liquidität fluteten.
Dank dieser Faktoren verharrte Chinas 7-Tage-Reverse-Repo-Satz bei 2,1%3 und damit auf einem historisch niedrigen Niveau, jedoch deutlich über den Null- oder Negativzinsen in den Industrieländern, was Währungstradern einen attraktiven Carry verschaffte.
Wir erwarten, dass sich die makroökonomischen und geldpolitischen Unterschiede zwischen China und dem Westen 2022 verringern werden, da sich die weltweite Nachfrage von Gütern auf Dienstleistungen neu ausrichtet, die Lieferengpässe nachlassen und die Zinsdifferenzen abnehmen. Die PBoC dürfte lockern, die Fed hingegen eine geldpolitische Straffung einleiten. Die Senkung des Mindestreservesatzes (RRR) und des Leitzinses für Kredite in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres war lediglich der Beginn des Lockerungsprozesses im Reich der Mitte.
Wir gehen zwar davon aus, dass diese Kehrtwende schrittweise erfolgt, sodass sich der Renminbi vorerst weiter stark entwickeln wird. Der beste Zeitpunkt, um sich für eine Aufwertung des CNY gegenüber dem US-Dollar zu positionieren, liegt damit in diesem Zyklus wahrscheinlich bereits hinter uns.
Für den chinesischen Offshore-Anleihemarkt war 2021 ein herausforderndes Jahr angesichts des Schuldenabbaus auf der Angebotsseite im Immobiliensektor. Die Kreditspreads des JACI China Index weiteten sich bis Ende letzten Jahres auf 400 Basispunkte, denn der Index weist einen hohen Anteil an Anleihen von Immobilienentwicklern auf.
Dies ist der höchste Stand seit der Eurokrise 2011 und übertrifft die Niveaus, die infolge der Angst vor einer RMB-Abwertung im Jahr 2015 und während des Covid-19-Schocks im Jahr 2020 erreicht wurden. Auch ohne Berücksichtigung von Evergrande stieg die Ausfallquote am chinesischen Markt für hochverzinsliche Anleihen aus dem Immobiliensektor sprunghaft auf 11% an.
Trotz der Sorge über einen möglicherweise heiß gelaufenen Immobiliensektor lockerten die Währungshüter im vierten Quartal 2021 die Kreditbedingungen für Hauskäufer und Bauherren. Wir erwarten in diesem Jahr weitere geldpolitische Unterstützung zur Stabilisierung des Immobilienmarktes.
Darüber hinaus preisen die Kreditspreads ein ungünstiges Ereignis ein. Wir glauben jedoch nicht, dass dies auf lange Sicht so bleiben wird. Daher sind wir der Ansicht, dass der Offshore-Unternehmensanleihemarkt eine taktische Anlagechance bietet. Dabei sind wie immer die richtige Titelauswahl und der richtige Zeitpunkt für einen Einstieg von entscheidender Bedeutung.
Unterdessen gehörte der Markt für chinesische Staatsanleihen (CGB) zu den Performance-Spitzenreitern im Jahr 2021 (+5,6% gegenüber -6,6% beim Bloomberg Global Aggregate Treasury Index vor Währungseffekten).4 Eine Wachstumsabschwächung, die Senkung des Mindestreservesatzes und die Aufnahme in den weltweiten Bondindex haben dazu beigetragen. Die kaum steigenden Verbraucherpreise im Vergleich zum rasanten Preisauftrieb im Westen machten chinesische, mit A+-benotete Staatsanleihen mit ihren positiven Realrenditen zu einer Rarität.
Wir sehen für chinesische Staatsanleihen ein zweistufiges Szenario für 2022. Die Anleger dürften zunächst die Aussichten für den Markt positiv einschätzen, solange das Wachstum schwach bleibt und die geldpolitische Unterstützung noch nicht greift. Sobald das Wachstum offensichtlicher wird und die PBoC ihre Unterstützung zurückfährt, sollten Anleger sich des Durationsrisikos bewusst sein und in das kürzere Ende der Renditekurve umschichten. Denn mit 2,86% weisen zehnjährige chinesische Staatsanleihen nach wie vor eine im historischen Vergleich niedrige Rendite auf.5
Um zu verstehen, warum chinesische Aktien sich im vergangenen Jahr trotz zweistelligem Gewinnwachstum nicht besser entwickelt haben, verweisen wir darauf, dass der Markt und die Bewertungen tendenziell vom Kreditzyklus getrieben sind. Der von Bloomberg berechnete Kreditimpuls über 12 Monate schlug 2021 rasant von extrem positiv in extrem negativ um.
Zusätzlich verkompliziert wurde die Lage durch unerwartete Kursänderungen seitens der chinesischen Regulierer. Neue Beschränkungen für den Internet- und den Bildungssektor wirkten sich stark auf Offshore-Aktien aus. Gut behaupteten sich indes Onshore-Aktien aus Bereichen wie grüne Technologien, Halbleiter und Zulieferer für Elektrofahrzeuge, die zu den Nutznießern der Regierungspolitik gehören. Der Offshore-Aktienindex HSCEI büßte 2021 22% ein, während der MSCI China A Onshore Index am Jahresende wenig verändert war.6
Aber die Anleger sollten im Hinterkopf behalten, dass die politischen Entscheidungsträger diese regulatorischen Reformen eingeführt haben, um langfristiges, qualitatives Wachstum zu fördern. Eine stützende Auslandsnachfrage hat ihnen eine Chance zum Handeln geboten.
Unseres Erachtens wird sich die chinesische Regierung in Zukunft wieder auf kurzfristigere Wachstumsziele konzentrieren. Wir erwarten daher Maßnahmen zur Stabilisierung des Wachstums wie höhere Infrastrukturausgaben, Investitionen in das verarbeitende Gewerbe, eine Steuersenkung und Anreize zur Förderung der Konsumausgaben. Gleichzeitig dürfte es zu einer Wende im Kreditzyklus kommen.
Wir schätzen die Aussichten für chinesische A-Aktien in diesem Jahr positiv ein, da sie von weiterem Gewinnwachstum und Neubewertungen profitieren. Wir bevorzugen ein ausgewogenes Engagement zwischen Aktien aus neuen Wirtschaftssektoren mit starkem Wachstumsausblick und Titeln der „Old Economy“ mit Bewertungspuffer.
Mittlerweile schätzen wir chinesische H-Aktien differenzierter ein. Trotz des rückläufigen Gewinnwachstums und der zurückhaltenden Positionierung der Anleger, die bereits in Offshore-Aktien eingepreist sind, sollten Anleger lieber Maßnahmen der Regulierer oder positive Gewinnkorrekturen abwarten, bevor sie sich wieder am Markt engagieren.
Insgesamt sind wir der Ansicht, dass aufgrund der divergierenden wirtschaftlichen und geldpolitischen Aussichten chinesische Vermögenswerte als Quelle unkorrelierter Erträge in globalen Portfolios an Bedeutung gewinnen werden. Diversifizierung wird wohl 2022 für globale Anleger eine wichtige Rolle spielen.
1 Chinesisches Statistikamt, Januar 2022
2 Bloomberg, Januar 2022
3 Bloomberg, Januar 2022
4 Bloomberg, Januar 2022
5 Bloomberg, Januar 2022
6 Bloomberg, Januar 2022
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