Die Befürchtung, der weltweite Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft werde die Inflation langfristig in die Höhe treiben, ist überzogen. Für Anlageportfolios dürften sich die Folgen der geldpolitischen Straffung als deutlich gravierender erweisen.
20.06.2022 | 08:19 Uhr
Jeremy Lawson, Chief Economist, abrdn Research Institute and Ken Akintewe, Head of Asian Sovereign Debt
Manche Beobachter verweisen auf die Energiewende als naturgemäß inflationäre Kraft, da sich Unternehmen trotz der weiterhin erhöhten Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien genötigt sehen, weniger in fossile Energien zu investieren.
Am Markt bezeichnet man dies als grüne Inflation – der Einfluss der Umweltpolitik auf die Kosten der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die sich über die Lieferketten in den Verbraucherpreisen niederschlagen.
Tatsächlich haben die verschiedensten Vorschriften und Richtlinien einen Einfluss auf die Inflation. Zu den preistreibenden Kräften zählt auch der internationale Widerstand gegen die Globalisierung, zum Beispiel durch das fortgesetzte Erheben von Handelszöllen.
Die Pandemie hat zutage gebracht, wie anfällig die globalen Lieferketten und Logistiknetze sind, und nun zieht Russlands Einmarsch in die Ukraine die Wirkung der inflationären Kräfte in die Länge. Der Erholungsprozess kommt dadurch nur langsam voran und der Druck auf die Rohstoffpreise steigt, denn der Krieg beschränkt den Zugang zu Energie, Metallen und Getreide.
Ursache für das Inflationsproblem der USA ist jedoch nicht die Klimapolitik, sondern das Übermaß an Konjunkturmaßnahmen im Nachgang der Pandemie. Zu lange hat das Land an seiner entgegenkommenden Geld- und Haushaltspolitik festgehalten und jetzt herrscht auf dem US-Arbeitsmarkt Hochkonjunktur.
Im Bereich der erneuerbaren Energien, die an bestimmte Rohstoffe wie etwa Metalle der seltenen Erden gebunden sind, könnten die hohe Nachfrage und das begrenzte Angebot einen mehrjährigen Rohstoffboom nach sich ziehen. Dennoch hat die grüne Inflation unseres Erachtens auf lange Sicht keinen großen Einfluss auf die Verbraucherpreisinflation.
Klimapolitische Maßnahmen sind in der Regel auf mehrere Jahrzehnte ausgelegt und zählen damit zu den strukturellen Treibern der relativen Preisentwicklung. Insgesamt erleben Verbraucher jedoch nur dann eine anhaltend hohe Inflation, wenn die großen Notenbanken dies zulassen. Auch im Falle anhaltenden Aufwärtsdrucks bei den Rohstoffpreisen würden wir nicht damit rechnen, dass die Gesamtinflation längere Zeit über den Notenbankzielen bleibt.
Anlegern empfehlen wir, jenseits der kurzfristigen Entwicklungen die wahrscheinlich inflationsdämpfende Wirkung der sich abzeichnenden ausgedehnten Straffung der Geldpolitik weltweit im Auge zu behalten.
Die aktuelle Notenbankpolitik ist eine Reaktion auf die erhöhte Inflation und ihrer Bekämpfung dürfte auch künftig eine größere Bedeutung zukommen als dem Wirtschaftswachstum. In zwei Jahren wird die grüne Inflation unseres Erachtens kein Thema mehr sein. Die Debatte wird sich wohl eher um die Folgen einer Rezession drehen, die in den USA früher eingesetzt hat als erwartet.
Getrieben wird das Narrativ der grünen Inflation von den Entwicklungen im Westen. Insgesamt ist die Inflation in der Region Asien-Pazifik, wo die Umsetzung der Klimapolitik viel weniger weit fortgeschritten ist und der Sektor fossile Energie weniger stark beschränkt wird, erheblich niedriger. Darüber hinaus herrscht aufgrund der verzögerten Wiedereröffnung der Wirtschaft in asiatischen Ländern nach der Pandemie eine verhaltenere Wirtschaftsaktivität.
Ein zentrales, für Anleger interessantes Thema ist der Anteil der Region Asien-Pazifik an der technologischen Innovation, die eine globale Energiewende erfordert, und die Frage, ob dieser eine inflationsdämpfende Wirkung zeigen wird.
In gesamtwirtschaftlicher Hinsicht beweisen die Regierungen und Notenbanken der Region mehr Zurückhaltung und weniger Bereitschaft, die Wirtschaft künstlich zu stabilisieren. Asien-Pazifik ist deutlich weniger stark verschuldet und die Regierungen in der Region sind weniger eingeschränkt und äußerst handlungsfähig. Das Kapital, das Staat und Wirtschaft für die Energiewende zur Verfügung steht, ist enorm.
In den Anlageportfolios werden asiatische Unternehmen unseres Erachtens künftig eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Ohne Asien, wo die industrielle Umweltverschmutzung die Regierungen zum Handeln gezwungen hat, wird es keine Energiewende geben.
Infolge hoher Investitionen sind die Technologiekosten in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken. Seit 2015 ist Solarenergie in Indien günstiger als Kohleenergie, sodass das Land kräftig in erneuerbare Energien investieren kann.
Die technologischen Innovationen asiatischer Unternehmen, mit denen sich konkrete globale Probleme lösen lassen, sollten unseres Erachtens in den Anlageportfolios stärker berücksichtigt werden. Einige dieser Unternehmen arbeiten intensiv daran, die Kosten für grünen Wasserstoff zu senken.
Es gibt wenige Branchen, für die dies wichtiger wäre als für das stark umweltbelastende verarbeitende Gewerbe Chinas. Hier werden neue Energien gebraucht, um ganze Lieferketten sauberer zu machen.
Bei grünem Wasserstoff will China dieselbe Rolle spielen wie zuvor in der Solar- und in bestimmten Windkrafttechnologien.
Wir sind optimistisch, denn allein der Fortschritt in Ländern wie Indien und China wird bereits einen großen Beitrag zur Lösung einiger globaler Umweltprobleme leisten. Ziel ist es, die Macht von Kapitalismus und Innovation für die globale Energiewende einzusetzen.
Die reicheren Länder müssen ihren Verpflichtungen jedoch nachkommen und den ärmeren unter die Arme greifen, damit diese nicht ständig übergangen werden. Auch wenn China bei der Senkung der Technologiekosten auch künftig eine wichtige Rolle zukommt, wird dies einige Zeit dauern, und ärmere Länder werden bis dahin Unterstützung brauchen.
Natürlich müssen Vermögensverwalter innerhalb gewisser Parameter investieren. Arme Länder haben häufig schlechte Kreditratings, Governance-Probleme oder nicht vollständig ausgereifte Kapitalmärkte. Wir müssen einen Weg finden, Kapital zu mobilisieren, um diesen Ländern zu helfen. Dies ist ein Teil des Problems, das gelöst werden muss.
Auf kurze Sicht werden manche Lösungen einen inflationären Anschein erwecken. Elektroautos beispielsweise sind teurer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Dennoch sind es die Preise für Elektroautos, die relativ gesehen am stärksten fallen. Gleiches gilt für eine breite Palette erneuerbarer Technologien, einschließlich der Photovoltaik.
Was heute inflationstreibend erscheint, kann morgen eine dämpfende Wirkung entfalten. Zudem wird die Zeit kommen, da die Rohstoffpreise sinken und als großer Rohstoffexporteur wird Asien davon kräftig profitieren.
Aufgabe der Vermögensverwalter ist es, bei der Empfehlung nachhaltiger Anlagen klarzustellen, dass es sich um langfristige Entscheidungen handelt. Unternehmen mit hohem Bedarf an Rohstoffen und fossilen Energieträgern entwickeln sich gut, weil die Produktionskosten langsamer steigen als die Preise, was die Erträge und Bewertungen begünstigt.
Die Erneuerbaren dagegen waren im letzten Jahr zeitweise hoch bewertet, da es sich in vielen Fällen um Wachstumsunternehmen handelt. Das steigende Zinsniveau trieb auch den auf die Erträge angesetzten Abschlag in die Höhe und führte zu einer deutlichen Underperformance.
Damit wird deutlich, dass Anleger in diesem Bereich mit starken Varianzen rechnen müssen. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Notenbanken das Problem früher oder später in den Griff bekommen, sind Strategien, die Inflation und Volatilität aktiv angehen, auf kurze Sicht für das Anlageportfolio attraktiv.
Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.
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