Gerne und immer wieder wird der Bitcoin von seinen Kritikern als „Schneeballsystem“ bezeichnet. Aber wie genau ist die Definition eines Schneeballsystems zu verstehen und gibt es beim Bitcoin tatsächlich Eigenschaften, die dieser Definition entsprechen?
03.11.2023 | 07:28 Uhr
Ein Kommentar von Dr. Leif Richter, Vorstand, Dietrich & Richter Private Asset Management AG
Ein Schneeballsystem, auch als Pyramidensystem oder Ponzi-System bezeichnet, ist eine bewusst betrügerische Investmentstrategie, bei der die Renditen für frühe Investoren durch das Geld neuer Investoren finanziert werden, anstatt durch tatsächliche Gewinne aus einer legitimen Geschäftstätigkeit. Entworfen werden diese Investmentstrategien durch Individuen oder eigens dafür gegründete Unternehmen.
Diese Systeme sind nach dem Betrüger Charles Ponzi benannt, der in den 1920er Jahren berüchtigt wurde, weil er ein solches System betrieben hat.
Das Grundprinzip eines Schneeballsystems besteht darin, dass die Organisatoren oder Promotoren des Systems hohe Renditen versprechen, um neue Investoren anzulocken. Diese neuen Investoren zahlen Geld in das System ein, und ein Teil dieses Geldes wird dann an frühere Investoren weitergegeben, um den Anschein hoher Renditen zu erwecken. Die Investoren werden ermutigt, ihr Geld im System zu belassen und neue Investoren zu werben, um noch höhere Gewinne zu erzielen.
Das Problem bei Schneeballsystemen ist, dass sie von vornherein als nicht nachhaltig aufgebaut werden. Es gibt keine tatsächliche Geschäftstätigkeit oder Einnahmequelle, die die versprochenen Renditen generiert. Es müssen immer mehr neue Investoren rekrutiert werden, um die alten auszahlen zu können. Dies führt dazu, dass das System immer größer wird und schließlich zusammenbricht, wenn nicht genügend neue Investoren gefunden werden können, um die Auszahlungen an die bestehenden Investoren aufrechtzuerhalten. Die frühen Investoren bzw. die eigentlichen Initiatoren des bewusst betrügerischen Systems entnehmen ihre Gewinne und ihr eingezahltes Kapital. Alle anderen verlieren in der Regel ihren Einsatz, bis das System schließlich zusammenbricht.
Bitcoin wurde von einer Person oder einer Gruppe von Personen unter dem Pseudonym „Satoshi Nakamoto“ entworfen und erstmals im Jahr 2008 in einem Whitepaper mit dem Titel „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ vorgestellt. Das Whitepaper wurde auf einer Mailingliste veröffentlicht, woraufhin die Entwicklung und Umsetzung von Bitcoin als Kryptowährung startete.
Es gibt zahlreiche Spekulationen darüber, wer oder welche Gruppe von Personen sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, aber die Identität von Satoshi Nakamoto ist bis heute unbekannt.
Viel wichtiger ist aber der Einfluss, den die Initiatoren auf das Netzwerk ausüben können. Dieses wurde in der Grundstruktur als „dezentrales Netzwerk“ aufgesetzt.
Dabei gibt es keine zentrale Autorität, Institution oder Kontrollstelle, die volle Kontrolle über das Netzwerk hat. Stattdessen sind die Teilnehmer des Netzwerks gleichberechtigt und arbeiten zusammen, um die Funktionen und Prozesse des Netzwerks aufrechtzuerhalten.
Bitcoin als dezentrales Netzwerk nutzt die Möglichkeit, Daten und Ressourcen auf eine Weise zu organisieren, die eine höhere Unabhängigkeit, Sicherheit und Redundanz ermöglicht.
Die bedingungslose Umsetzung der oben genannten Kriterien für ein dezentrales Netzwerk führen in ihrer Konsequenz dazu, dass es keine zentrale Instanz gibt, die das Netzwerk steuern oder massiv beeinflussen kann.
An dieser Stelle unterscheidet sich Bitcoin in einzigartiger Weise von allen anderen Krypto-Projekten. Andere Kryptowährungen oder -projekte haben in der Regel einen zentralen Akteur, der Einfluss auf die Entwicklung nehmen kann. Das Bitcoin-Netzwerk hingegen basiert einzig auf der gegenseitigen Akzeptanz und Kontrolle der Teilnehmer.
Wenn es keine zentrale Stelle gibt, die das Bitcoin-Netzwerk kontrollieren kann, wird die Unterstellung einer betrügerischen Absicht – wie beim Ponzi-System – fragwürdig, weil es keine Person oder Institution gibt, der man diese Absicht unterstellen könnte. Es fehlt somit das „kriminelle Mastermind“ bzw. „Charles Ponzi 2.0“, welcher durch Betrug einen finanziellen Vorteil erlangen will. Und es fehlt insbesondere auch die Möglichkeit, eine solche Absicht umzusetzen. Auch ein Renditeversprechen ist kein Bestandteil des Bitcoin-Netzwerkes – es geht vielmehr um die sichere und dezentrale Verwahrung.
Suchen wir weiter kritisch nach Parallelen zwischen Bitcoin und einem Schneeballsystem und unterstellen wir einmal in einem Gedankenspiel, dass ein „modernes Ponzi-System“ eine höhere Evolutionsstufe erklommen hat.
Was wäre zum Beispiel, wenn die fehlende Person oder Institution zur Kontrolle des Projektes zur Realisierung der betrügerischen Absichten bewusst verschleiert werden soll?
Auf den ersten Blick würde Bitcoin als dezentrales Netzwerk dieses Kriterium erfüllen. Es gibt keinen Geschäftsführer oder Verantwortlichen, den man zur Rechenschaft ziehen könnte. Im nächsten Schritt wäre jetzt aber die Frage zu beantworten, wie das kriminelle Mastermind, welcher Bitcoin als modernes Schneeballsystem in diesem Gedankenspiel entworfen hat, Profit daraus schlagen könnte.
Dies könnte derzeit nur durch eine Beschaffung von Bitcoin ohne Aufwand oder durch die Beeinflussung des Wechselkurses zu anderen Währungen herbeigeführt werden.
Bitcoins werden durch einen Prozess namens „Mining“ erstellt. Das Mining ist ein wesentlicher Bestandteil des Bitcoin-Netzwerks und dient dazu, Transaktionen zu bestätigen und neue Bitcoins in Umlauf zu bringen. Mining von Bitcoins ist ein kryptografischer Wettbewerb, bei dem nur der Miner, der das sogenannte Proof-of-Work-Rätsel zuerst löst, den nächsten Block erstellen und die Belohnung erhalten kann. Dieses Rätsel ist nur mit einem enormen Aufwand an Computer-Rechenleistung zu lösen. Dafür wird wiederum Energie benötigt.
Unterstellen wir im Rahmen dieses Gedankenspiels, dass auch unser krimineller Mastermind keine Abkürzung zur Schürfung eines Bitcoins hat, da aufgrund des öffentlich einsehbaren Programmcodes diese Anomalie anderen Entwicklern des Bitcoin-Netzwerkes sicherlich schon aufgefallen sein dürfte.
Um Bitcoin zu erzeugen, müsste also Energie und somit Geld aufgewendet werden. Würde unser Mastermind so vorgehen, wäre dies aber keine kriminelle Handlung, sondern lediglich das oben beschriebene „klassische Bitcoin-Mining“.
Die Beeinflussung des Bitcoin-Wechselkurses zu anderen Währungen wäre damit die letzte Möglichkeit, Profit durch kriminelle Energie in Form von Kursbeeinflussung zu erzeugen. Der Wert von Bitcoin wird durch Angebot und Nachfrage auf verschiedenen Kryptowährungsbörsen bestimmt. Es gibt mehrere Faktoren, die den Preis von Bitcoin beeinflussen können:
Die Ermittlung des genauen Preises von Bitcoin zu einem gegebenen Zeitpunkt erfolgt durch den Durchschnitt der Preise auf den führenden Kryptowährungsbörsen, wobei einige Börsen mehr Gewicht haben als andere, basierend auf ihrer Handelsaktivität und Liquidität.
Die Vielzahl der genannten Einflussfaktoren und insbesondere die unterschiedlichen Handelsplattformen in Kombination mit einer Marktkapitalisierung im Bitcoin von derzeit rund 514 Milliarden US-Dollar (Stand Oktober 2023) weisen die Charakteristika von Wertpapiermärkten auf. Manipulation von Kursen an Wertpapier- oder Kryptobörsen ist grundsätzlich möglich, aber kein Bestandteil eines Ponzi-Systems.
Fazit: Bitcoin ist kein Schneeballsystem – auch kein Schneeballsystem in einem neuen Gewand. Je tiefer man in die Architektur von Bitcoin eindringt, um so deutlicher wird, dass Bitcoin Eigenschaften besitzt, die ein Ponzi-System vollkommen ineffektiv gestalten würden. Nachvollziehbare Gleichberechtigung, Sicherheit, Verteilung, Autonomie und Transparenz sind darüber hinaus Eigenschaften, die wir in unserer FIAT-Welt immer häufiger vermissen.
Dennoch gibt es in der Krypto-Welt betrügerische Aktivitäten, bei denen Vorsicht geboten ist. Daher gilt: Krypto ist nicht gleich Bitcoin und Bitcoin ist nicht gleich Krypto!
Zertifikat: Plan B Krypto Assets Strategies ETI
Gesellschaft: Dietrich & Richter Private Asset Management AG
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