Larissa Joubert, ESG-Analystin im Buy-side Credit Research der DPAM, verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Anti-ESG-Maßnahmen in den USA und möglichen Folgen für die EU-Politik:
04.04.2024 | 08:26 Uhr
Eine Gegenbewegung zur Nachhaltigkeit ist für die USA im wichtigen Wahljahr 2024 nichts Neues. Langsam hält dieses Phänomen auch in Europa Einzug, wo die Akzeptanz von ESG-Praktiken in den letzten Jahren stetig gestiegen ist.
USA machen Front gegen ESG
Der Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Abkommen im Jahr 2019 wurde zwar von Präsident Biden rückgängig gemacht. Es folgten jedoch immer wieder Maßnahmen gegen ESG. In Texas sollen sich Behörden von Investmentunternehmen trennen, die ESG-Praktiken fördern. In Florida wurde es dem Rentensystem des Staates verboten, in Strategien zu investieren, die ESG-Faktoren zu einem anderen Zweck als der Renditemaximierung berücksichtigen. Allein im Jahr 2023 wurden in den USA 49 neue Anti-ESG-Gesetze eingebracht.
US-Regulierungen entstehen auf dem Schlachtfeld der Machtspiele zwischen zwei Parteien, die nicht zusammenfinden. Erfolge der Demokraten würden die Fortsetzung und potenzielle Ausweitung wegweisender Klimaregelungen wie des Inflation Reduction Act, der Kraftstoff-Effizienz-Normen und der jüngsten SEC-Klimaoffenlegungsregeln bedeuten. Republikanische Erfolge drohen diese Regelungen abzuschwächen oder ganz zu Fall zu bringen. Die nächste Präsidentschaft wird darüber entscheiden, ob konkrete Beschlüsse für oder gegen die Gesetzesentwürfe gefasst werden.
Der US-Privatsektor agiert so ESG-feindlich, weil es am Verständnis für die Förderung nachhaltiger Geschäftspraktiken bei gleichzeitigem Schutz vor negativen Auswirkungen mangelt. Es fehlt an Verantwortlichkeit für die Auswirkungen von Entscheidungen auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Unternehmensführung, da sich schlechtes Verhalten nicht unbedingt auf die finanziellen Erträge auswirkt. Tatsächlich werden viele der profitabelsten amerikanischen Unternehmen von ESG-Anbietern als sehr umstritten eingestuft.
ESG-Skepsis steigt auch in der EU
Das Maß an ESG-Skepsis ist jedoch auch in der EU überraschend hoch. Die Verteidigungsausgaben der europäischen NATO-Verbündeten sollen auf 380 Mrd. USD steigen. Proteste der Landwirte in ganz Europa drängen die EU dazu, ihre Emissionsziele im Agrarsektor zurückzunehmen. Diese Phänomene werden von den bevorstehenden Wahlen nicht zu trennen sein. Jede in Washington getroffene Entscheidung wird Auswirkungen auf die EU haben. Inwieweit werden hier schon Präventivmaßnahmen getroffen, um auf mögliche Hindernisse am Ende des Jahres vorbereitet zu sein?
Rüstungsboom stellt ESG in Frage
Die zunehmende ESG-Gegnerschaft, die zu einer Schwächung der ehrgeizigen nachhaltigen Maßnahmen der EU führt, könnte die gesamte ESG-Landschaft in Frage stellen, die über Jahre aufgebaut wurde. Ein Abweichen von der kontinuierlichen Dekarbonisierungsstrategie des Green Deal wäre bis vor kurzem noch undenkbar gewesen; nun erleben wir den drohenden Zusammenbruch des EU-Naturschutzgesetzes. Noch wichtiger: Wenn die Rüstungsindustrie, die gemäß EU-Taxonomie seit jeher als „schmutzig“ oder nicht nachhaltig gilt, zur politischen Top-Priorität werden kann, ist dies ein Zeichen dafür, dass alle strengen Beschränkungen, mit denen Investoren im Laufe der Jahre konfrontiert wurden, in Frage gestellt werden könnten.
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