Indiens Fähigkeit, ausländische Investitionen anzuziehen, wurde lange Zeit durch schlechte Infrastruktur und übermäßige Bürokratie beeinträchtigt. Inzwischen hat sich jedoch vieles verändert.
02.06.2023 | 07:20 Uhr
Als wir Indien im Rahmen von Researchaktivitäten vor Kurzem einen Besuch
abstatteten, stellten wir fest, dass das Land Autobahnen und U-Bahnen
baut und Effizienzmaßnahmen ergreift, die Investoren anlocken und
gleichzeitig die Wirtschaft und den Aktienmarkt ankurbeln könnten.
Indien profitiert nur langsam davon, dass globale Unternehmen ihre
Lieferketten diversifizieren, um unabhängiger von China zu werden.
Obwohl Indien China gerade als bevölkerungsreichstes Land der Welt
abgelöst hat und über einen boomenden Technologiesektor verfügt, hatten
bisher nur wenige Indien als mögliches nächstes Produktionszentrum der
Welt auf dem Schirm. Grund hierfür sind die fehlende
Produktionsexpertise und Lieferkettenprobleme im Land.
Mittlerweile zeigen jedoch multinationale Unternehmen wachsendes
Interesse an dem Land. Firmen wie Samsung, Siemens und Pegatron haben in
den letzten Jahren angekündigt, Produktionsstätten in Indien zu
errichten. Letzten Monat gab der taiwanesische Apple-Zulieferer Foxconn
ein Vertrauensvotum für Indien ab, indem er erklärte, 200 Millionen
US-Dollar in die erste AirPod-Fabrik außerhalb Chinas investieren zu
wollen. Infolgedessen sind die indischen Elektronikexporte seit 2020
stark gestiegen (Abbildung).
Anleger in Schwellenländeraktien sollten diese Entwicklungen im Auge behalten. Um uns ein Bild von den Veränderungen in Indien zu machen, statteten wir dem Land Anfang dieses Jahres einen Besuch ab. Wir wollten mehr über die Erfahrungen von Verbrauchern und Unternehmen herausfinden.
Die Fortbewegung war für Besucher in Indien schon immer eine
Herausforderung. Mumbai etwa ist ein dicht besiedelter Ballungsraum, der
unter massiven Verkehrsproblemen leidet. Die Stadt mit 21 Millionen
Einwohnern hat nur drei U-Bahnlinien. Doch während unseres Aufenthalts
sahen wir überall U-Bahn-Baustellen. Fünf neue U-Bahn-Linien sind im
Bau. Eine davon soll noch in diesem Jahr fertiggestellt werden, die
übrigen bis 2025. Ein erweitertes Verkehrsnetz wird Mumbai dringend
benötigte Verbesserungen bringen, die Einwohnern, Touristen und
Geschäftsleuten zugutekommen.
Die Verkehrsverbindungen zwischen den Städten werden ebenfalls
modernisiert. Die Technologiezentren Bangalore und Mysore liegen
beispielsweise nur 140 Kilometer voneinander entfernt. Aufgrund der
schlechten Straßenverhältnisse benötigten die Pendler jedoch bisher drei
Stunden für die Strecke. Während unserer Reise befuhren wir die teils
im Bau befindliche moderne Schnellstraße, die noch in diesem Jahr
fertiggestellt werden soll. Nach ihrer Fertigstellung soll sich die
Fahrzeit auf 90 Minuten halbieren.
Neben der Verbesserung der Verkehrsbedingungen gibt es Bemühungen,
die Effizienz in vielen Lebensbereichen zu steigern. Mehrere
Kleinunternehmer berichteten uns, dass die berüchtigte indische
Bürokratie allmählich vereinfacht werde und es für Unternehmen in einer
Reihe von Branchen nunmehr staatliche Anreize gebe, zu denen diese auch
tatsächlich Zugang hätten.
In Bangalore äußerte sich Suhasini, die Gründerin eines
Snack-Unternehmens, positiv über die Unterstützung, die sie in Form von
Krediten und Beratung bei der Gründung ihres Unternehmens von der
Regierung erhielt. Der Prozess sei so reibungslos verlaufen, dass sie
bei künftigen Unternehmensgründungen staatliche Zuschüsse und Darlehen
einer Risikokapitalbeteiligung vorziehen würde.
In Mysore erzählte uns ein Stahlhändler namens Sandeep, dass sein Umsatz
in den letzten zehn Jahren geradezu explodiert sei. Der wichtigste
Grund für seinen Erfolg? Weniger Ärger mit der Regierung. Unternehmer
können nach Erhalt einer Genehmigung nun sofort mit der Arbeit beginnen.
Vor dem Bürokratieabbau, so Sandeep, habe ein Unternehmer Genehmigungen
von mehr als 30 Beamten in einem oft monatelangen Verfahren einholen
müssen.
Inzwischen hat die Regierung des Bundesstaates Industrieparks
geschaffen, die Unternehmen wie dem Stahlhändler weiteren Auftrieb
geben. In den letzten Jahren sind immer mehr Industrieparks in
Tier-1-Städten wie Bangalore und Tier-2-Städten wie Mysore entstanden.
Viele von ihnen werden in der Nähe von Flughäfen gebaut. Das macht es
für Unternehmen und Investoren attraktiver, sich in diesen Städten
niederzulassen.
Beispiele wie diese verdeutlichen die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit Indiens. Laut dem World Competitiveness Center des IMD
hat sich die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Indiens von Platz 44
im Jahr 2018 auf Platz 37 im Jahr 2022 unter 63 untersuchten
Industrieländern und Emerging Markets verbessert.
Auch die digitale Infrastruktur wird rasch ausgebaut. Bei unseren
Gesprächen mit Verbrauchern stellten wir fest, dass sich hochmoderne
Smartphones und Apps für den Aktienhandel großer Beliebtheit erfreuen.
Digitale Zahlungen sind weit verbreitet. Dies gilt für Marktstände und
kleine Familienbetriebe ebenso wie für Energieversorger.
Auf digitale Geldbörsen entfallen 35 % der Einzelhandelsumsätze in Indien, und die Zahl der digitalen Zahlungen steigt rasant (Abbildung).
Die Verbreitung von Mobiltelefonen in der Bevölkerung ist mit 66 % noch
relativ gering, was viel Raum für Wachstum lässt. Die zunehmende
Digitalisierung in Indien dürfte es dem Land ermöglichen, in eine neue
Ära einzutreten und Investitionen anzuziehen.
Werden also mehr internationale Unternehmen ihre Produktion nach
Indien verlagern, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern? Für die
Beantwortung dieser Frage ist es noch zu früh. Im Moment hat Indien aus
unserer Sicht jedoch die einmalige Chance, einer der Hauptnutznießer der
umfassenden Verlagerungsaktivitäten zu werden, da einige Emerging
Markets versuchen, an die Stelle Chinas zu treten.
Verbesserungen der Infrastruktur und effizientere Prozesse dürften sich
auf die gesamte Wirtschaft auswirken und die Geschäfte einer Vielzahl
von Unternehmen in Indien beflügeln. Zu den möglichen Profiteuren
gehören inländische Banken und infrastrukturbezogene Unternehmen in den
Bereichen Bau, Nutzfahrzeuge, Zement, Stahl und Immobilien. Um
attraktive Anlagemöglichkeiten zu identifizieren, bedarf es einer
gründlichen Analyse der Geschäftsmodelle der jeweiligen Unternehmen.
Die sich nur langsam verändernden Konjunkturdaten geben diesbezüglich
wenig Aufschluss. Erkenntnisse aus dem Research vor Ort können Anlegern
helfen, überraschende Anlagechancen bei indischen Aktien zu erkennen, da
sich das Land neu erfindet, um von dem sich rasch wandelnden
Wirtschaftsumfeld in Asien zu profitieren.
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