US-Aktien bleiben teuer, Zentralbanken könnten enttäuschen, Selektion entscheidend.
27.11.2024 | 14:15 Uhr
2025 werden Anleger mit einer Vielzahl an Risiken konfrontiert sein. Die geopolitischen Konflikte und der zunehmende wirtschaftliche Nationalismus hängen wie Damokles' Schwert über der Weltwirtschaft. „Die Zentralbanken der einzelnen Länder verfolgen unterschiedliche Taktiken zur Bekämpfung der Inflation, die USA könnten zu teuer werden, während Europas Wachstum nach wie vor schwächelt. Und in China hängt vieles von der Reaktion Pekings auf den sich verschärfenden Handelskrieg ab“, sagt William Davies, Global Chief Investment Officer bei Columbia Threadneedle Investments. In seinem Ausblick erklärt er, worauf sich Anleger angesichts dessen einstellen sollten.
Die Aktienmärkte haben 2023 mit einem Plus von 25 Prozent abgeschlossen. Anfang 2024 rechnete wohl kaum jemand damit, dass die Kurse im Laufe des Jahres um weitere 20 Prozent steigen würden1. Vor allem die USA überraschten positiv und stützen die Märkte, mit solider Wirtschaftsdynamik, einer jährlichen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund 3 Prozent sowie einer kontinuierlich sinkenden Inflation (zuletzt rund 2,5 Prozent2). Auch die Prognosen für das Gewinnwachstum der US-Unternehmen für das Jahr 2025 sind mit rund 15 Prozent weiterhin optimistisch. Diese Widerstandsfähigkeit ist etwas überraschend, denn zur Jahreswende 2024/25 gibt es eine Vielzahl von Risiken für die Weltwirtschaft.
Damoklesschwert: Geopolitische Konflikte und wirtschaftlicher Nationalismus
Die geopolitischen Risiken des vergangenen Jahres konnten die Wirtschaft bislang nicht ausbremsen. Dennoch sollten Anleger auf eine weitere Zuspitzung vorbereitet sein: Im Ukraine-Krieg konnten beide Seiten Gebietsgewinne verzeichnen, und es ist kein Ende in Sicht. Auch im Nahen Osten scheint sich die Lage trotz zahlreicher Aufrufe zum Waffenstillstand weiter zu verschärfen. Die Konflikte fordern nicht nur Menschenleben, sondern haben auch wirtschaftliche Folgen. Auf kurze Sicht ist die erhöhte Volatilität ein Sorgenfaktor, auf lange Sicht das mögliche Wiederaufleben der Inflation. Beide Faktoren wirken sich direkt auf Unternehmen aus.
In den USA wurde Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt, und die Republikaner konnten die Kontrolle über den Senat und das Repräsentantenhaus erringen. Für die Trump-Regierung ist es daher im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit sehr viel einfacher, ihre politischen Vorhaben umzusetzen. Mit Blick auf 2025 bedeutet dies möglicherweise niedrigere Steuern und weniger Regulierung, aber auch Maßnahmen, die für den internationalen Handel dramatische Folgen haben. Der wirtschaftliche Nationalismus wird also immer stärker. Zölle und Sanktionen haben in der Regel Vergeltungsmaßnahmen zur Folge, wodurch es zu einer Negativspirale kommen kann. Dieses Thema wird Anleger in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen.
Zentralbanken verfolgen unterschiedliche Taktiken
Viele Volkswirtschaften weltweit haben seit 2023 mit Inflationsschocks zu kämpfen, doch die Herangehensweisen bei der Bekämpfung der Inflation und Wachstumsförderung weichen nun stärker voneinander ab. Der klare Außenseiter ist die Bank of Japan, die ihren Leitzins im Juli um 25 Basispunkte (Bps) angehoben hat. Unter den Zentralbanken, die ihre Geldpolitik wieder lockern, hat die Europäische Zentralbank mit zwei aufeinanderfolgenden Zinssenkungen um jeweils 25 Bps den Anfang gemacht. Angesichts des anhaltend starken Lohnwachstums in Großbritannien ist die Bank of England vorsichtiger vorgegangen und hat zwischen ihren beiden Zinssenkungen eine Pause eingelegt. Die US-Notenbank (Fed) dagegen hat die Zinswende etwas später eingeläutet, dafür aber mit einer aggressiven Senkung um 50 Bps, auf die im November eine weitere Lockerung um 25 Bps folgte. Derzeit sieht es so aus, als sei der Fed eine „weiche Landung“ der US-Wirtschaft gelungen. Allerdings gilt die Aufmerksamkeit jetzt dem Arbeitsmarkt und der Frage, ob die jüngste Schwäche anhält.
Die Gesamtinflation ist in den USA auf 2,5 Prozent und die Kerninflation auf gut 3,0 Prozent gesunken und bewegt sich auch anderswo auf einem ähnlichen Niveau. Angesichts dessen ist es unwahrscheinlich, dass die Zinsen so stark sinken werden, wie viele meinen. So oder so bleiben sie mit Sicherheit höher als in den 2010er Jahren. Das hat Auswirkungen auf die Portfoliopositionierung der Investoren.
USA sind teuer, Europas Wachstum schwächelt, China bleibt riskant, Klimaziele werden aufgeweicht
Ein neuer Endzinssatz schafft ein verändertes Umfeld, auf das sich Unternehmen einstellen müssen. Der Zinssenkungszyklus sollte für ein günstiges Umfeld für qualitativ hochwertige Anleihen sorgen. Bei höher verzinslichen Anleihen rechnen wir 2025 jedoch mit einer zunehmenden Performancestreuung. Die Bilanzqualität ist nicht in allen Branchen einheitlich, und vor allem hoch verschuldete Unternehmen insbesondere im High-Yield-Bereich könnten unter Druck geraten.
Sinkende Zinsen sind positiv für Aktien. Da die Zinsen jedoch wohl kaum auf frühere Tiefstände fallen werden, wird ein umsichtiger Kapitaleinsatz in diesem neuen Umfeld entscheidend für den Unternehmenserfolg sein. Mit einem Forward-Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 25 ist der US-Markt weiterhin der teuerste Aktienmarkt der Welt. Das Forward-KGV des MSCI All-Country World Index ex-US beträgt dagegen lediglich 16,3. So groß war dieser Abstand seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr. Die USA sind im Hinblick auf die Unternehmensvielfalt jedoch weiterhin der dynamischste Markt. Neben führenden Halbleiterausrüstern finden sich hier auch einige der fortschrittlichsten Unternehmen in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI) und generative KI.
Früher oder später werden US-Aktien zu teuer werden. Mit einer Underperformance ist jedoch wahrscheinlich erst dann zu rechnen, wenn andere Märkte schneller wachsen. Sollte beispielsweise Europa eine größere Wachstumsdynamik entwickeln, werden europäische Aktien attraktiv sein, weil sie so viel günstiger sind – das ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Unterdessen haben chinesische Aktien im Jahr 2024 enttäuscht, und auch wenn die Konjunkturmaßnahmen jetzt zum Tragen kommen, könnten sie für ein nachhaltig höheres Wirtschaftswachstum zu kurz kommen. Hinzu kommen Risiken wie die demografischen Herausforderungen sowie die Unsicherheiten bei den Zöllen und im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Welthandels.
Aufweichung der Klimaziele und ausufernde Haushaltsdefizite
All diese Faktoren verpassen der Nachhaltigkeitsagenda einen Dämpfer. Auch wenn die Energiewende voranschreitet und die Investitionen in alternative Energien steigen, sollten Anleger damit rechnen, dass die Dekarbonisierungsziele immer weiter aufgeweicht werden, je näher das Zieljahr 2030 rückt. Die Dekarbonisierungsverhandlungen werden politischer und pragmatischer, und auch hier dürften Exportzölle eine wichtigere Rolle einnehmen.
Hinzu kommt: Große Volkswirtschaften weltweit – von den USA, Großbritannien und Japan bis hin zu vielen europäischen Volkswirtschaften – haben Haushaltsdefizite von 5 bis 6 Prozent des BIP, und das, obwohl sich Europa eigentlich eine 3-Prozent-Grenze gesteckt hat. Haushaltsdefizite sind per se kein Grund zur Sorge, vor allem bei niedrigen Zinssätzen. Sollten die Defizite jedoch weiter steigen und die Zinsen nicht so stark sinken wie erwartet, wird die Finanzierung immer mehr zum Problem. Diese Dynamik könnte zu einem marktbewegenden Faktor werden.
Wachstum bei geringeren Kursgewinnen
Die derzeitige außergewöhnliche Aktienrally braucht eine ganze Reihe an Faktoren, um sich fortzusetzen: Die geopolitische Lage muss sich stabilisieren, das Wachstum muss gut, aber nicht zu stark ausfallen und die Inflation stabil auf einem niedrigen Niveau verbleiben, damit die Zinsen sinken können. Anleger dürfen zwar mit Zugewinnen rechnen, doch das Kurswachstum von 20 bis 25 Prozent am US-Aktienmarkt dürfte sich nicht fortsetzen. Festverzinsliche Anlagen sollten von einem guten Ausgangspunkt aus in das Jahr 2025 starten: Die Renditen sind attraktiv und die Zentralbanken senken die Zinsen. Allerdings wird es deutliche Performanceunterschiede geben. Bei Aktien, genauso wie bei Anleihen, wird die Wertpapierauswahl entscheidend für den Anlageerfolg sein.
1S&P, Stand September 2024
2US Federal Reserve, Stand 16. Oktober 2024
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