Das Bild für 2022 ist geprägt von der Angst vor Stagflation, Chinas Strategiewechsel, einer weniger expansiven Geldpolitik, negativen Realzinsen und der politischen Neuausrichtung in Deutschland.
10.11.2021 | 08:22 Uhr
Der Einfluss der Corona-Pandemie nimmt weiter ab, wird aber nicht ganz verschwinden. Die Industrienationen und China haben überwiegend hohe Impfquoten, laufen aber Gefahr weiterer Infektionswellen. Sollten hier erneute Shutdowns notwendig sein, dürften diese nur regional und/oder sehr selektiv vorgenommen werden. Viele Schwellenländer und v.a. Low-Income-Economies haben hingegen nur sehr geringe Impfquoten. Dort ist mit medizinischen und wirtschaftlichen Rückschlägen sowie der Gefahr weiterer Virusvarianten zu rechnen, die den bestehenden Impfschutz überspringen und auch in Staaten mit hohen Impfquoten zu weitergefassten neuen Shutdown-Maßnahmen führen könnten.
Beim BIP-Wachstum liegt eine differenzierte Ausgangslage vor. Während China und Europa, v.a. Deutschland Ende 2021 schwächeln, bilden die USA die globale Konjunkturlokomotive. Die Basisannahme ist, dass sich Lieferkettenprobleme und Energieengpässe durch fehlende Vorleistungen und Rohstoffe sowie knappe Transportkapazitäten im ersten Halbjahr 2022 sukzessive auflösen. Danach rechnen wir mit einer Fortsetzung des dynamischen globalen Nach-Corona-Aufschwungs. Die Wachstumserwartungen liegen global bei 4-6%, für die USA bei 4-6%, China 5-7%, die Eurozone 3-5% und Deutschland 4-6%. In den Schwellenländern rechnen wir mit differenzierten und von individuellen Faktoren abhängigen Wachstumsperspektiven (zwischen ca. 2-4% in Lateinamerika und 5-7% in Ostasien).
Die Inflationsspitze ist Ende dieses Jahres oder im ersten Quartal nächsten Jahres überschritten. Die Einmal- und Basiseffekte laufen aus bzw. lassen nach, wobei anhaltend erhöhte Inflationsraten
trotzdem wahrscheinlich sind. Ursachen hierfür sind die sich nur
langsam abbauenden Lieferkettenstörungen, anhaltend erhöhte Energie- und
Rohstoffpreise (bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung, den
weltweit verstärkten Fokus auf regenerative Energien und dadurch
bestimmte, notwendige Rohstoffe), der Umbau von Lieferketten, der Fokus
der Politik auf höhere Löhne und Mangel an ausreichend qualifizierten
Arbeitskräften sowie staatliche und private Investitionsoffensiven (u.a.
in Klimaneutralität und Resilienz). Die Unternehmen können die
steigenden Kosten jedoch nur noch teilweise an Endverbraucher
weitergeben. Es ist allerdings keine überbordende inflationäre Entwicklung zu erwarten. Die Inflationserwartungen liegen für die USA bei 3-4%, für die Eurozone bei 2-3% und für Deutschland bei 2,5-3,5%.
Die Geldpolitik bleibt weiter expansiv, aber mit nachlassender Dynamik. Die EZB und die Fed laufen der inflationären Entwicklung hinterher. Die Fed wird das Tapering im ersten Halbjahr 2022 fortsetzen, die EZB voraussichtlich ab April damit beginnen. Mit einer Leitzinserhöhung
in den USA und der Anhebung des Einlagenzinssatzes in Europa ist im
dritten Quartal nächsten Jahres zu rechnen. Ein harter
restriktiver Kurs zur Eindämmung der Inflation ist wegen der bestehenden
Abhängigkeiten von niedrigen Zinsen (Staatsschulden, Kapitalmärkte)
jedoch unwahrscheinlich.
Beim Welthandel ist die Erholung vom krisenbedingten Einbruch (aufgrund von Lieferengpässen) vorerst gestoppt. Doch wurden die Vorkrisenwachstumsraten des Welthandelsvolumens nur kurzfristig wieder erreicht. Protektionismus, der steigende Anteil immaterieller Wertschöpfung, die Umfokussierung Chinas und der Umbau von Lieferketten dämpfen.
Mit Blick auf China, treibt die Biden-Administration die „Allianz gegen China“ voran. China fokussiert sich auf eine 2-Circle-Strategie (d.h. ein stärkerer Binnenmarkt und Handel verstärkt im ostasiatischen Raum) und eigene Interessen (sozialer Friede, Management von Preisblasen, breiter sozialer Wohlstandszuwachs anstatt privatwirtschaftlicher Vermögensmaximierung). Bei zu schwachem Wachstumsmomentum ist eine erneute fiskalische Stützung wahrscheinlich. Die Abhängigkeit des Westens gegenüber China (Vorprodukte, Rohstoffe, US-Staatsanleihe-Holdings …) wird eher abnehmen, aber weiterhin wesentlich bleiben und eine totale Eskalation des US-China-Konflikts vermeiden.
Die Politik wird weltweit nach der Coronakrise mit verstärkten staatlichen Investitionen (digitale und Gesundheits-Infrastruktur, Digitalisierung, Innovation) und daraus resultierend weiter steigenden Staatsschulden agieren. Zudem ist weltweit ein Wechsel zu eher links- bzw. nachfrageorientierter Politik erkennbar (mehr Staat und Regulierung, höhere Steuern, mehr Umverteilung, weniger Markt). In den letzten Jahren aufgebaute Ungleichgewichte (Einkommen, Vermögen) sollen nicht weiter steigen. Deutschlands neue Regierung dürfte hier mitziehen, aber gleichzeitig einen zu starken Umverteilungskurs und ein Abwürgen privatwirtschaftlicher Produktionsanreize vermeiden. In Frankreich finden im Frühjahr Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (derzeit hat Macron gute Chancen auf eine Wiederwahl mangels ausreichend starker Konkurrenz), in Italien im Frühjahr 2023. Denkbar ist daher die Möglichkeit einer gemeinsamen pro-europäischen Reformoffensive im kommenden Jahr, mit der Tendenz zu höheren gemeinschaftlichen Ausgaben. Die Auszahlungen des EU-Wiederaufbaufonds unterstützen dabei und sind gegebenenfalls ein Druckmittel (bspw. ggü. Polen). Aufgrund der US-Midterm-Elections Ende 2022 dürfte die Biden-Regierung Schwierigkeiten haben, weitere große Fiskalprogramme durchzubekommen. In den Fokus rückt daher wohl eher die Außenpolitik (insb. China).
Bei den Megatrends bleibt die Digitalisierung (inkl. KI und Blockchain) maßgebliches Thema und sorgt für Sonderkonjunkturen in einzelnen Branchen bzw. Unternehmen. Der Klimawandel gewinnt international weiteren Stellenwert; hinzu kommen verstärkte staatliche – und private – Investitionen u.a. in Infrastruktur.
Kapitalmarkterwartungen:
Zinsen:
Währungen:
Rohstoffe:
Aktien:
Krypto-Assets:
Nebenszenarien
Chancen: Corona-Fortschritte (Impfquoten); Nachkrisen-Investitionen/wirtschaftliche Aufholung; Produktivitätsschub bspw. im Zuge der Digitalisierung; deutlich nachlassender Inflationsdruck; Wiederbelebung transatlantischer Beziehungen (mit Sonderfokus China).
Risiken: Corona-Rückschläge (resistentere Varianten); plötzlicher, noch stärkerer Inflationsschub; zu langanhaltende Lieferkettenstörungen; Eskalation geopolitischer Krisenherde; Fehler der Politik (angesichts hoher Abhängigkeit von fiskalischen und monetären Unterstützungen sowie politisch forcierter Neuausrichtungen); genereller Vertrauensverlust der Notenbanken (Akzeptanz- und Vertrauenskrise).
Aus diesem Szenario lassen sich die folgenden Kapitalmarktprognosen für den Jahresultimo 2022 ableiten:
Ihr Carsten Mumm
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