Bei den diesjährigen olympischen Sommerspielen gab es rund 400 Wettkämpfe, das entspricht in etwa der Anzahl der im MSCI Europe vertretenen Unternehmen.
26.08.2021 | 07:10 Uhr
Roseanna Ivory, Investment Director, European Equities
Für die Athleten ist der potenzielle Lohn, ganz gleich ob sie beim 100-Meter-Lauf, Stabhochsprung oder der rhythmischen Sportgymnastik antreten, immer derselbe: eine Goldmedaille (wenngleich die internationale Anerkennung sehr unterschiedlich ausfallen kann). Dieses Phänomen ist mit der Anlagetätigkeit vergleichbar, bei der alle Unternehmen, die in ihren Branchen federführend sind, die Möglichkeit haben, den potenziellen Lohn in Form einer besseren Kursentwicklung zu erzielen, auch wenn sie nie große Bekanntheit erlangen.
In weniger spektakulären oder wettbewerbsärmeren Bereichen
anzutreten, kann von Vorteil sein. Dies ließe sich mit der Annahme
begründen, dass beim Diskuswerfen deutlich leichter eine Goldmedaille zu
gewinnen ist als beim 100-Meter-Lauf, weil der globale Pool trainierter
Athleten wesentlich kleiner ist. Gleichermaßen können Anlagen in
intransparentere und weniger wettbewerbsintensive Bereiche höhere
Erfolgschancen aufweisen. Im europäischen Industriesektor sind einige
globale Giganten in extrem profitablen, rasant wachsenden und gut zu
verteidigenden Nischensegmenten tätig. Dazu gehören Unternehmen, die
Bremssysteme für Schienenfahrzeuge, Flugzeugtriebwerke, Aufzüge und
Industriekompressoren herstellen. Durch dieses stark fachspezifische
Know-how ergeben sich hohe Eintrittsbarrieren.
Betrachten wir beispielsweise den schwedischen Hersteller von Vakuumkompressoren Atlas Copco. Das Unternehmen gilt als „großer Nischenplayer“ und verfügt über das Potenzial, ebenso erfolgreich oder sogar noch erfolgreicher zu werden als der weltweit führende Einzelhändler oder Mobiltelefonhersteller. Eigenen Angaben zufolge verfügt das Unternehmen in seinen beiden wichtigsten Endmärkten über einen beherrschenden Marktanteil: 30% bei Kompressoren (dreimal so groß wie die Nummer zwei der Branche) und 60% im Bereich Industrietechnologie. Das hat für nachhaltig hohe Anlagerenditen gesorgt, wodurch Atlas wesentlich mehr Kapital in die Forschung und Entwicklung investieren kann als seine Mitbewerber – dies hat einen positiven Kreislauf zur Folge. In diesem Zusammenhang kommt einem die Dominanz der südkoreanischen Frauen beim Bogenschießen in den Sinn. Das Land hat seit der Einführung dieser Wettkampfart im Jahr 1988 alle acht Goldmedaillen gewonnen. Für andere Nationen lohnt es sich kaum, Bogenschützen ins Rennen zu schicken – möglicherweise geht es den Mitbewerbern von Atlas genauso.
Es ist äußerst selten, dass Athleten erfolgreich die Sportart wechseln. Der Wechsel von Victoria Pendleton vom Rudern zum Radfahren ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Dies gilt auch für Anlagen. In einem bestimmten Bereich entwickelte Kompetenzen sind in der Regel Ertragstreiber. Der Versuch, in neue Märkte zu expandieren, bei denen die Überschneidungen oder das Know-how begrenzt sind, führt hingegen selten zum Erfolg. So hat sich der starke Fokus des italienischen Hörgeräte-Einzelhändlers Amplifon für das Unternehmen ausgezahlt. Das Unternehmen konnte seine Festkosten optimieren und seine Verhandlungsposition gegenüber den Herstellern stärken. Ein ähnlicher Fokus erwies sich beim italienischen Sportler Klaus Dibasi als erfolgreich. Er ist der einzige Taucher, der bei drei Olympiaden in Folge in dieser Wettkampfart als Sieger hervorging. Ein weiteres Beispiel ist Jamaica, das seine 22 Goldmedaillen ausnahmslos in Leichtathletikwettkämpfen gewonnen hat. Der alte Leitsatz „Repariere nichts, was nicht kaputt ist“ kann zutreffender nicht sein.
Und natürlich müssen wir noch einen Blick aufs Tennis werfen. Während
die USA bei den Frauen traditionell vorne liegen, dominieren bei den
Männern für gewöhnlich europäische Sportler. Man denke an Federer,
Djokovic und Nadal. Insofern gibt es Parallelen zu den FAANG-Titeln,
also den Technologieriesen Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Alphabet
(zuvor Google). Die USA sind bekanntermaßen bei den
Verbraucherplattformen führend. Oftmals wird jedoch vergessen, dass
Europa aufgrund seiner historischen Fertigungsexpertise über eine
wesentlich stärkere Position im Business-to-Business-Bereich verfügt.
Der Halbleiter-Ausrüster ASML, der in einem Markt tätig ist, der
technisches Know-how auf hohem Niveau erfordert, ist nur ein Beispiel.
Vielleicht ist dies eine niederländische Kompetenz. Schließlich haben
die Niederländer beim Eisschnelllauf, Radfahren und Reiten, also bei
Disziplinen, die starkes technisches Know-how und Präzision erfordern,
ihre größten Erfolge gefeiert.
Der europäische Markt ist also möglicherweise nicht so glamourös wie das FAANG-Segment, im Zuge der fortschreitenden industriellen Digitalisierung dürfte jedoch ein echter Wandel eintreten. Dies sollte dazu beitragen, dass europäische Unternehmen zu ihren US-Mitbewerbern aufschließen. Wichtig ist, dass viele europäische Unternehmen attraktiver bewertet sind als die im NASDAQ vertretenen Titel. Die USA haben zugegebenermaßen mehr Medaillen als jede andere Nation gewonnen. Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden zählen jedoch zur Gruppe der sechs besten Länder. Und wie im Anlagebereich schneiden sie besser ab als dies gemessen an ihrer relativen Bevölkerungsgröße zu erwarten gewesen wäre. Vorsicht USA, Die Europäer holen auf!
Abschließende Erwägungen ...
Anlagen bei Unternehmen, die am häufigsten zu den Gewinnern gezählt werden, können nach wie vor eine lukrative Strategie darstellen. Europa bietet jedoch unseres Erachtens viele hochwertige „große Nischenplayer“. Auf Anleger mit den notwendigen Ressourcen und Researchplattformen zur Bewertung dieses Marktes könnten die glänzenden Sterne der Zukunft warten.
Die Unternehmensauswahl soll lediglich den hier beschriebenen Anlageverwaltungsstil veranschaulichen und stellt weder eine Anlageempfehlung noch einen Hinweis auf die künftige Wertentwicklung dar..
© abrdn
Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.
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