Columbia Threadneedle: Abschwung in den USA, Aufschwung in Europa

Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments
Marktkommentar

Das Wachstum in den USA lässt nach, Europa dagegen startet gerade erst durch. Was das für die geldpolitische Entscheidungsfindung der Zentralbanken bedeutet und worauf sich Anleger in Europa, dem Vereinigten Königreich und den USA nun einstellen müssen, erklärt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments, in seinem Marktkommentar:

05.06.2024 | 08:34 Uhr

Abschwung in den USA, Aufschwung in Europa

  • Die Wachstumsraten in den USA und in Europa nähern sich einander an: In den Vereinigten Staaten verlangsamt sich das Wachstum, während Europa und das Vereinigte Königreich aufholen.
  • Die Märkte haben die Einpreisung der Zinssenkungen in den USA weitgehend zurückgenommen. Das bietet für den Fall einer überraschenden Entwicklung Spielraum für eine Rallye.
  • In Europa hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine Zinssenkung für diese Woche im Grunde genommen bereits versprochen. Beobachter werden sich daher auf die Rhetorik bezüglich der zukünftigen Ausrichtung fokussieren.
  • Im Vereinigten Königreich fielen die jüngsten Wirtschaftsdaten viel besser aus als erwartet.  Die Inflation ist ebenfalls gesunken, aber die Bank of England (BoE) wird die Zinsen wahrscheinlich nicht mitten im Wahlkampf senken wollen.

Es ist viel passiert: Eine ganze Reihe an Wahlen, die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Trump und jede Menge neuer Wirtschaftsdaten. Doch was bedeutet das für die Wirtschaftsaussichten, die Zinssätze und die Finanzmärkte? Sicher ist auf jeden Fall, dass die EZB diese Woche die Zinsen senken wird.

USA: Wachstum verlangsamt sich – und die Zinsen werden allmählich sinken

Beim Wirtschaftswachstum ist das Muster klar: Abschwächung in den USA, Aufschwung in Europa und im Vereinigten Königreich. Da die USA im vergangenen Jahr deutlich stärker abgeschnitten hatten, dürfte sich das Wachstum damit angleichen. Die Verlangsamung in den USA ist eine gute Nachricht, denn Zinssenkungen durch die Federal Reserve (Fed) werden so wahrscheinlicher.

Diese Abschwächung des US-Wachstums wird von den Verbrauchern verursacht, die sich zuvor übernommen haben und nun mit einer Verlangsamung des realen Einkommenswachstums konfrontiert sind. Kurzfristig gibt es keine Rezessionsgefahr und die schwächere Nachfrage dürfte die Inflation mildern. Wir werden sehen, wie die Beschäftigungsdaten Ende dieser Woche ausfallen werden, sie dürften jedoch mit der Verlangsamungsthese übereinstimmen. Da die Märkte viel Optimismus in Bezug auf Zinssenkungen in den USA bereits wieder zurückgenommen haben und lediglich eine Zinssenkung bis Ende des Jahres einpreisen, gibt es reichlich Spielraum für eine Rally. Denn der Grund für die hartnäckige Inflation sind vor allem die Mieten und deren absurd hohe Gewichtung in den US-Inflationsindizes. Die US-Zinsen werden langsam, aber sicher sinken.

Europa: Wachstum zieht an, erste Zinssenkung sicher

In Europa hat die EZB im Grunde genommen bereits versprochen, die Zinsen diese Woche zu senken. Die Aufmerksamkeit der Märkte wird sich darauf richten, was Christine Lagarde während der Pressekonferenz sagen wird – und ein neutraler Ausblick ist dabei wahrscheinlich. Im nächsten Jahr erwarten wir, dass die EZB die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte pro Quartal senken wird. Obwohl die Märkte dies bereits vollständig eingepreist haben, ist es dennoch ein positives Umfeld, vor allem in Kombination mit dem anziehenden Wachstum – auch wenn das Ausgangsniveau sehr niedrig ist. Die Deutsche Bank zum Beispiel hat ihre Prognose für das Bruttoinlandsprodukt für 2024 gerade um ein halbes Prozent angehoben. Das ist eine große Veränderung. Ein Großteil dieser Verbesserung geht auf die Verbraucher zurück, die von einer hohen Sparquote und einem steigenden Realeinkommen profitieren – das genaue Gegenteil zur Situation in den USA.

Vereinigtes Königreich: Wahlkampf und Lohninflation verzögern Zinssenkungen

Ähnlich, aber sogar noch stärker ausgeprägt, ist die Situation im Vereinigten Königreich: Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind viel besser ausgefallen als erwartet, und auch die Inflation ist gesunken. Das Problem ist die Lohninflation, die zwar zurückgeht, aber immer noch zu hoch ist. Die Daten dieser Woche werden das wahrscheinlich bestätigen. Hauptgrund dafür ist die Erhöhung des Mindestlohns um 10 Prozent, aber die Lohninflation dürfte sich in Zukunft deutlich verlangsamen. Ein weiterer negativer Faktor sind die Energierechnungen der Haushalte: Sie sind zwar stark gesunken und dieser Trend wird sich im Juli weiter fortsetzen, die Preisobergrenze für Oktober wird sich jedoch voraussichtlich auf 1.762 £ belaufen – das ist ein Anstieg von 12 Prozent gegenüber dem Juli-Wert. Dies wiederum ist Folge eines Anstiegs der Erdgaspreise. Angesichts dieser Faktoren dürfte es der Bank of England nicht schwerfallen, bei ihrer Sitzung Ende des Monats die Zinssätze unverändert zu lassen, vor allem da sie mitten im Wahlkampf keine Senkungen vornehmen möchte. Wir rechnen allerdings damit, dass die BoE die Zinsen auf der nächsten Sitzung im August senken wird. Das ist früher, als der Markt aktuell eingepreist hat.

Der wirtschaftliche Aufschwung, die sinkende Inflation und die niedrigeren Zinssätze bilden meines Erachtens einen günstigen Hintergrund sowohl für Anleihen als auch für Aktien.

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