Columbia Threadneedle: Rekordwahljahr 2024 – die Märkte zwischen Volatilität und Konstanz

Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments
Marktkommentar

2024 ist ein Rekordwahlwahljahr, in dem mehr Menschen ihre Stimme abgeben als je zuvor. Obwohl Regierungswechsel immer Unsicherheiten auf den Märkten mit sich bringen, sind diese in manchen Ländern – wie den Vereinigten Staaten – deutlich stärker als in anderen.

19.06.2024 | 07:10 Uhr

Steven Bell gibt in seinem Marktkommentar einen Ausblick und erklärt, worauf sich Anleger in den einzelnen Regionen einstellen sollten.

  • 2024 ist ein Rekordwahljahr und es werden mehr Menschen an die Wahlurnen gehen als je zuvor – dementsprechend nervös sind viele Märkte.
  • Vereinigte Staaten: Was wären die Auswirkungen, wenn jeweils Trump oder Biden als Sieger bei den US-Wahlen im November hervorgehen?
  • Europa: Bei der Europawahl haben vor allem die rechten Parteien Stimmenzuwächse verzeichnet, eine Finanzkrise scheint jedoch unwahrscheinlich.
  • Vereinigtes Königreich: Die Umfragen deuten auf einen überzeugenden Sieg der Labour-Partei bei den bevorstehenden Wahlen hin. Die Auswirkungen auf die britischen Märkte oder die Geldpolitik dürften vernachlässigbar gering sein.

2024 ist ein Rekordwahljahr, in dem mehr Menschen als je zuvor an die Urnen gehen. Sie haben auch zu einer Rekordvolatilität an den Märkten geführt, vor allem in Mexiko, Indien und Südafrika und zuletzt auch in Frankreich. Dort hat Macrons Entscheidung, eine vorgezogene Wahl zur Nationalversammlung abzuhalten, die Kurse französischer Anleihen und Aktien in den Keller gestürzt und den Euro geschwächt. Im Gegensatz dazu nahmen die britischen Märkte die ebenso unerwartete Entscheidung von Rishi Sunak, vorgezogene Neuwahlen anzusetzen, gelassen hin. Doch wie sollten Anleger die Auswirkungen der Wahlen in Europa, im Vereinigten Königreich und vor allem auch in den USA einschätzen?

Vereinigte Staaten: Protektionismus, Kontinuität oder Reform?

Einige befürchten, dass eine weitere Amtszeit Trumps eine Liz Truss-Situation mit steigenden Anleiherenditen schaffen könnte – das ist jedoch relativ unwahrscheinlich. Es ist zwar zu erwarten, dass Trump die Steuern senken wird, aber er wird wahrscheinlich auch die Zölle auf US-Importe erhöhen, und zwar pauschal um die 10 Prozent. Der Nettoeffekt auf das Haushaltsdefizit sollte daher bescheiden ausfallen. Was die Geldpolitik angeht, so ist die US-Notenbank vom Ergebnis der Wahl unabhängig. Donald Trump hat zwar angekündigt, Jay Powell zu entlassen, doch es ist unwahrscheinlich, dass ein solcher Schritt die tatsächliche Politik ändern würde. Es besteht ein breiter Konsens zugunsten der bestehenden Regelungen und die kurzzeitige britische Premierministerin Liz Truss ist noch im Gedächtnis der Akteure verankert. Das lässt die Stimmen derjenigen verstummen, die eine stärkere Kontrolle der Federal Reserve durch das Weiße Haus fordern. Darüber hinaus gibt es erhebliche rechtliche sowie anderweitige Hindernisse, die einem solchen Schritt entgegenstünden.

Und wenn Biden gewinnen sollte? Er ist der Kandidat, der für Kontinuität steht – doch die Zusammensetzung des Kongresses wird hier ausschlaggebend sein. Bidens Bemühungen um Steuererhöhungen wurden von den gemäßigten Demokraten im Senat vereitelt, was angesichts ihrer hauchdünnen Mehrheit sehr effektiv war. Doch viele von ihnen gehen jetzt in den Ruhestand, und ihre Nachfolger sind politisch deutlich weiter links positioniert. Auf einer kürzlichen Konferenz von Goldman Sachs wurde angedeutet, dass ein klarer Sieg der Demokraten bei den diesjährigen Wahlen bedeutende politische Veränderungen einleiten könnte, einschließlich einer Anhebung des Unternehmenssteuersatzes auf 25 Prozent. Doch wie wahrscheinlich ist dieses Ergebnis? Von den 34 Senatssitzen, die in diesem Jahr zur Wahl stehen, werden wahrscheinlich nur fünf den Besitzer wechseln, und vier davon sind in der Hand der Demokraten. Zusätzlich müssen sie die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zurückgewinnen. Ein klarer Sieg der Demokraten mit einer radikalen Politik ist also möglich, aber sicher nicht das Hauptszenario.

Europa: Wirtschaftlich robust trotz Rechtsruck

Bei den jüngsten Europawahlen konnten die Rechtsextremen die stärksten Stimmenzuflüsse verzeichnen. Daraus werden Versuche resultieren, die Macht Brüssels einzuschränken, die Klimapolitik zurückzufahren und die Einwanderung stärker zu begrenzen. Auf nationaler Ebene ist zu erwarten, dass die rechten Parteien dem Beispiel der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni folgen und sich der Mitte annähern werden. Insbesondere haben fast alle rechtsgerichteten Parteien in Europa ihre Pläne für einen EU-Austritt aufgegeben – den Präzedenzfall Brexit möchten auch sie nicht wiederholen. Und natürlich ist die EZB unabhängig, mehr noch als die US-Notenbank. Die Panikkäufe von deutschen Bundesanleihen sind übertrieben und eine europäische Finanzkrise ist sehr unwahrscheinlich.

UK: Wirtschaftsentwicklung besser als erwartet

Im Vereinigten Königreich deuten die Meinungsumfragen darauf hin, dass die Labour-Partei einen überzeugenden Sieg erringen wird. Die Kanzlerin von Labour-Chef Keir Starmer ist moderat und vorsichtig. Sie hat ehrgeizige Ausgabenpläne, vor allem für Investitionen, und wird nicht an den unrealistisch niedrigen Plänen der derzeitigen Regierung in ungeschützten Bereichen festhalten wollen. Die Steuern werden mit ziemlicher Sicherheit steigen, aber die Regierung hat versprochen, die wichtigsten Einkommenssteuersätze – Sozialversicherung und Mehrwertsteuer – unverändert zu lassen. Eine Verbesserung des Haushaltsdefizits ist jedoch ohnehin zu erwarten. Die britische Wirtschaft erholt sich besser als von den meisten Experten erwartet. Des Weiteren könnte eine Änderung der Art und Weise, wie die Bank of England ihre aufgeblähte Bilanz abwickelt, dem Finanzministerium viele Milliarden einbringen. Die Auswirkungen der Wahlen auf die britischen Märkte oder die Geldpolitik sind also sehr gering, und die Staatsanleihen dürften sogar eine Erholung erleben.

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