In dem Urteil einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Bundesverband hat ein Gericht erstmals festgelegt, wie Prämiensparverträge korrekt berechnet werden müssen. Betroffene können mit Nachzahlungen rechnen. Was Finanzberater ihren Kunden raten können.
28.02.2023 | 07:30 Uhr von «Ulrich Lohrer»
In ihrem Urteil vom 8. Februar 2023 legten die Richter des Oberlandgericht Naumburg (Az.: 5 MK 1/20 OLG Naumburg) erstmals in einem Massenverfahren konkret fest, wie eine Bank die Zinsen in einem Prämiensparvertrag zu berechnen hat. Geklagt hatten in einer im Juli 2020 von dem Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv) eingereichten Musterfeststellungsklage über 800 Sparerinnen und Sparer gegen die Saalesparkasse in Halle. In den 1990-er und 2000er-Jahre bot die Sparkasse Prämiensparverträge an, in denen viele Kunden zehntausende Euros einzahlten. Nach Auffassung der vzbv hatte die Saalesparkasse den Sparern zu wenig Zinsen bezahlt. Das Urteil gab nun den Klägern weitgehend Recht. „Verbraucherinnen und Verbraucher können teilweise Nachzahlungen von mehreren tausend Euro erwarten,“ sagt Henning Fischer, Referent im Team Musterfeststellungsklagen des vzbv. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da sowohl die Saalesparkasse als auch der vzbv noch in Revision gehen können. Die Verbraucherorganisation sieht aber bereits schon jetzt eine Signalwirkung aus dem Urteil, da zum ersten mal ein deutsches Gericht in einem Massenverfahren festgelegt hat, wie eine Sparkasse die Zinsen richtigerweise hätte berechnen müssen. Da es sich um eine Musterfeststellungsklage handelt, könnte ein Urteil auch für andere Gerichtsverfahren herangezogen werden. Dies ist nach Ansicht des vzbv durchaus möglich, aber nicht zwingend. Bei einer Revision wäre dann der Bundesgerichtshof für den Fall zuständig. Dieser hatte bereits 2021 frühere Urteile bestätigt, wonach viele alte Prämiensparverträge vor allem der Sparkassen unzulässige Klauseln enthalten.
Wie die Zinsen laut dem Urteil berechnet werden müssen
Prämiensparverträge setzen sich in der Regel aus zwei Zinskomponenten zusammen: Einer flexiblen Grundverzinsung sowie einer Prämie (Bonus) am Ende der Laufzeit. In ihrem Urteil haben die Richter des OLG Naumburg der Saalesparkasse vorgegeben, wie sie die Zinsen für ihre Kunden korrekt berechnen müssen. Grundlage müsste die Entwicklung der Monatswerte für die Umlaufrendite von börsennotierten Bundeswertpapieren mit acht bis 15 Jahren Restlaufzeit sein. Die Vornahme dieser Zinsanpassung hat unter Wahrung des relativen Zinsabstandes monatlich und ohne Berücksichtigung einer Zinsschwelle durchgeführt zu werden. Stattdessen hatten es sich viele Banken wie die Saalesparkasse in den 1990er und 2000er Jahren vorbehalten, die Zinssatz weitgehend frei anzupassen und entsprechende Klauseln in die Prämiensparverträge geschrieben.
Bedeutung der Prämiensparverträge bei Banken
Den größten Teil ihres Geldvermögens halten deutsche Privathaushalte als Einlagen bei Banken. Nach der Statistik der Bundesbank hielten sie Ende 2022 knapp 40 Prozent ihres Geldvermögens in Bargeld und Einlagen und 34 Prozent in ihrer privaten Altersvorsorge wie Lebensversicherungen. Nur jeweils zwölf Prozent wurden in Fonds sowie in Aktien gehalten (siehe Grafik 1).
Grafik1 Quelle: © Deutsche Bundesbank
Vor allem Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken, Marktführer bei den traditionellen Sparbuchanlagen, konnten aufgrund ihres dichten Filialnetzes enorme Beträge in Prämiensparverträge mit variablen Grundzins und einer vereinbarten Prämie (Bonus) ansammeln. Als langfristige Sparvariante war Prämiensparen jahrelang ein beliebtes Anlagemodell. In Deutschland gibt es das Bonussparen bereits seit 1950 – die Volksbanken haben es erfunden, die Sparkassen haben es übernommen.
Mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank wurden im vergangenen Jahrzehnt allerdings gutverzinsliche Altverträge mit steigenden Zinsen und Prämien den Banken zunehmend zur Last, weshalb einige von ihnen die Zinslast mit oft nicht nachvollziehbaren Berechnungsmethoden auf Grundlage von zum Teil rechtswidrigen Vertragsklauseln zu begrenzen. Betroffen sind tausende verschiedener Prämiensparverträgen von mehreren hunderten Kreditinstitute, die auf den Internetseite der Verbrauchzentrale (Unter: „Zinsklauseln in Sparverträgen rechtswidrig: So kommen Sie zu ihrem Geld) namentlich aufgeführt sind. Der Streit ist daher ein Dauerbrenner vor deutschen Gerichten. Auch in anderen Bundesländern gab es bereits Gerichtsverfahren zu ähnlichen Fällen - immer wieder ging es um den flexiblen Zinsanteil. Wiederholt hatten Richter entschieden: Diese Zinssätze müssen nach nachvollziehbaren Kriterien festgelegt werden. Auch die vermehrten Kündigungen der für die Banken teuren Alt-Prämiensparverträge beschäftigt die Gerichte. Am 14. Mai 2019 entschied der Bundesgerichtshof (Urteil, Az. XI ZR 345/18), dass Sparkassen Prämienverträge diese zwar kündigen dürfen, aber nur, wenn die höchste Prämienstufe erreicht ist. Daraufhin kündigten mehrere Sparkassen etwa 280.000 Verträge, die aus ihrer Sicht nicht länger wirtschaftlich waren. Sparerinnen und Sparer, die sich bei Vertragsabschluss auf die vereinbarten Konditionen verließen, sahen sich nun getäuscht. Am 21. Juni 2021 reagierte auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf die Rechtssprechung mit einer Allgemeinverfügung an die Kreditinstitute, ihre Prämiensparkunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln zu informieren.
Steigende Bankgewinne durch verzögerte Zinsanpassung
Mit dem Zinsanstieg steigen nun auch die Margen aus dem Zinsdifferenzgeschäft für die Banken wieder an. Obwohl sich die Leitzinsen bis Ende 2022 schon deutlich erhöht hatten, reagierten die meisten Banken bei den Einlagen für ihre Kunden nur zögerlich mit Zinserhöhungen. Wie eine Auswertung von Tagesgeldvergleich zeigt, werden vor allem Sparbücher und andere Einlagen gering verzinst (siehe Grafik 2).
Grafik2 Quelle: © Tagesgeldvergleich.net
Weil auch die Verzinsung neuer Sparanlagen von den Banken langsamer als die Zinsen für Kredite an das Zinsniveau angepasst werden, prognostiziert beispielsweise der „Global Banking Annual Review 2022“ der Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey dass die Erträge aus Einlagen bei europäischen Banken von 2021 bis 2025 um 23 Milliarden Dollar ansteigen, während diese im Zeitraum von 2017 bis 2021 noch um elf Milliarden Dollar zurückgingen. „Auch wenn die europäischen Banken in Sachen Profitabilität weiter deutlich hinter Instituten in den USA und Asien zurückbleiben, verzeichnet die Branche 2022 in der Breite einen deutlichen Anstieg der Eigenkapitalrenditen“, sagt Max Flötotto, Leiter der Banken-Beratung bei McKinsey in Deutschland und Österreich.
Die von ihren Kreditinstituten enttäuschten Sparer werden sich allerdings verstärkt nach Anbietern mit deutlich besseren Zinsangeboten umschauen. Dabei werden sich auf Zinsplattformen sowie auf Broker, Autobanken und einigen Direktbanken stoßen, die in der Regel auch für Festgelder und Sparverträge deutlich bessere Konditionen als die meisten Filialbanken bieten. Auch für bankunabhängige Finanzberater und Finanzanlagenvermittler bietet der Frust vieler Bankkunden die Möglichkeit neue Kunden über lukrative Zinsangebote von Portalen mit Kooperationen zu gewinnen.
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