Die Energie- und Lebensmittelpreise beschäftigen die Menschen sehr und der Krieg in der Ukraine verschlimmert die zugrunde liegenden strukturellen Probleme. Noch dazu sind die Lebenshaltungskosten extrem gestiegen, was in vielen Ländern schmerzhaft zu spüren ist.
21.07.2022 | 06:54 Uhr
Sree Kochugovindan,Senior Research Economist und Robert Minter, Director of ETF investment Strategy
Die Inflation belastet nicht nur den Geldbeutel der Menschen, sondern treibt auch die Anleihenmärkte sowie einige Sektoren der Aktienmärkte an.
Die Zentralbanken stehen unter Handlungsdruck, auch wenn die erforderliche Lösung häufig das Risiko birgt, die labile Konjunkturerholung nach Corona abzuwürgen.
Doch wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen? Dies ist eine komplexe Frage, und wir haben versucht, sie zu entwirren und in mehrere einfachere Themen zu gliedern:
Die Nachfrage nach Öl steigt um 1,0% bis 1,5% pro Jahr. Dies liegt am Bevölkerungswachstum und dem Anstieg des Lebensstandards. Die einzigen Ausnahmen waren Jahre, in denen die Wirtschaft stark eingebrochen ist.
Bislang haben die Investitionen in erneuerbare Energien das Nachfragewachstum nur in einigen abgegrenzten Bereichen verlangsamt. Selbst in Norwegen, wo im letzten Jahr 72% der verkauften Autos Elektroautos waren, ist die Ölnachfrage in den letzten zehn Jahren praktisch unverändert. Sie liegt damit sehr deutlich über den Prognosen der International Energy Agency, die unter diesen Bedingungen von einem Rückgang um 30% ausgegangen war.1Allerdings ist die Nachfrage nach Ethan (für Kunststoffe) um 31% und nach Diesel (für den Lieferverkehr) um 15% gestiegen, was einen etwaigen Rückgang der Nachfrage nach Autokraftstoffen ausglich.
Quelle: US-Notenbank, Mai 2022
Die Politik von Regierungen und Investoren, die auf einer drastisch geringeren Rohölnachfrage basierte, hat dazu geführt, dass das Ölangebot lange vor einem Nachfragerückgang begrenzt wurde. Weltweit müssen jedes Jahr mehr als 500 Mrd. USD investiert werden, um die Ölförderung auf dem Niveau der letzten Jahre zu halten. In den vergangenen acht Jahren waren die tatsächlichen Investitionen meist nur halb so hoch, was einen Rückgang der Angebotskapazitäten zur Folge hatte. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn die Maßnahmen zur Begrenzung der Ölnachfrage so effektiv gewesen wären wie jene zur Begrenzung des Angebots – doch das waren sie nicht.
Angesichts der strukturellen Angebotsengpässe dürfte es außerordentlich schwierig sein, russisches Öl wie geplant in nennenswerter Höhe vom Markt fernzuhalten, denn das kostbare Rohöl findet Abnehmer in China und Indien.
Diesem sehr positiven Ausblick für das Öl steht eine schwache Nachfrage aus China gegenüber. China hält beharrlich an seiner Null-Covid-Politik fest, was die wirtschaftliche Aktivität im Land und die Nachfrage nach Waren wie Industriemetallen und Öl gedämpft hat. Zuvor hatte sich allmählich ein recht starker Anstieg von Chinas Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur für erneuerbare Energien abgezeichnet, vor allem im Bereich der Windenergie. Doch aufgrund der Pandemie liegen viele dieser Projekte vorläufig auf Eis, sodass die Nachfrage nach traditionellen Energieträgern bei einem Anstieg der Aktivität wachsen dürfte.
Quelle: Haver, CEC, abrdn Research Institute, Dezember 2021.
Die derzeit geringere Nachfrage aus China hilft in gewisser Hinsicht, den anderswo zu beobachtenden Inflationsdruck zu mindern, der durch die Lieferkettenstörungen wiederum erhöht wird.
Der Abfertigungsstau in den Häfen in China (und anderen Ländern) ist ein ernstes Problem und wir gehen davon aus, dass dies für Preisdruck sowie für Störungen in allen Teilen der Lieferkette sorgen wird.
Die chinesische Regierung ist wegen des Parteikongresses, der später in diesem Jahr stattfinden wird, in hohem Maße motiviert, etwas an der Lage zu verbessern. Außerdem kann China seine Geschicke sehr viel besser lenken als die meisten anderen Länder der Welt, daher wäre es in den nächsten Monaten möglicherweise nicht klug, darauf zu wetten, dass China seine Lage nicht verbessern wird. Bessert sich die Konjunktur in China, werden höhere Preise für Energie und Industriemetalle umso wahrscheinlicher.
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie die daraus resultierenden Sanktionen führen dazu, dass bestenfalls 500.000 bis 1 Mio. Barrel Rohöl vom Markt ferngehalten werden. Dies ist nur ein kleiner Teil der mehr als 7 Mio. Barrel, die exportiert werden. Wenn die globale Ölknappheit nicht so massiv wäre, hätten wir sie möglicherweise nicht einmal bemerkt.
Aber die Lagerbestände sind auf das durchschnittliche Niveau der Jahre 2010-2014 gesunken und die Preise auf das hohe Niveau dieser Zeit gestiegen.
Die Kapazitätsreserven belaufen sich auf 2 Mio. Barrel pro Tag, das sind rund 2%, was sehr wenig Spielraum für Fehler lässt.
Seit Februar 2020 wurde immer wieder irgendwo in der Welt die wirtschaftliche Aktivität heruntergefahren oder ein regionaler Lockdown verhängt. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass die Nachfrage in Zukunft überraschend ansteigen könnte.
Ein weiteres Problem ist der Arbeitskräftemangel – es gibt schlicht nicht genug erfahrene, qualifizierte Arbeitskräfte, um alle Bohranlagen zu betreiben, die nötig sind, um die Nachfrage zu bedienen. Gleichzeitig sind auch die Materialkosten inflationsbedingt gestiegen, mitunter um rund 15% bis 20%. Und auch die Kosten für Dienstleistungen haben sich wegen der Inflation drastisch erhöht.
Die Energiepolitik der USA und ihre Haltung gegenüber fossilen Brennstoffen verwirren die Ölgesellschaften. Die Regierung Biden hat widersprüchliche Botschaften an die Öl- und Gasgesellschaften gesendet, manchmal sogar am selben Tag. Bedingt durch diese widersprüchlichen Signale der Regierung haben die Ölproduzenten ihre Expansionspläne eingefroren – trotz der drastisch höheren Ölpreise. Aufgrund dieser Unsicherheit halten sich die Unternehmen natürlich mit notwendigen langfristigen Investitionen zurück. Einfach ausgedrückt, gingen die Maßnahmen zur Senkung des Angebots nicht mit wirksamen Maßnahmen zur Verringerung der Nachfrage durch Wachstum im Bereich der erneuerbaren Energien einher. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Die Folge: höhere Preise. Und es wird schlimmer werden.
Das schlechte Wetter schlägt sich auf die Preise von Agrarerzeugnissen nieder. Beispielsweise hatten Dürren in verschiedenen Teilen der USA Auswirkungen auf die Weizenpreise, während La Niña das südamerikanische Angebot traf, was sich insbesondere in den Preisen für Sojabohnen und Kaffee bemerkbar machte.
Welche Bedeutung das Getreideangebot aus der Ukraine und Russland hat, wissen wir alle nur zu gut. Doch die Suche nach alternativen Angebotsquellen wirft Protektionismusfragen im Zusammenhang mit der nationalen Ernährungssicherheit auf. Außerdem entstehen dadurch logistische Probleme sowie Kosten durch längere Lieferketten.
Auch das Angebot an Düngemitteln ist durch den Krieg beeinträchtigt. Der aktuelle Mangel könnte zu niedrigeren Ernteerträgen in diesem Jahr führen. Die Schätzungen gehen hierbei recht weit auseinander. Doch schon vor dem Krieg hatten höhere Energiekosten die Preise für Düngemittel in die Höhe getrieben.
In der neuesten Folge der Podcast-Reihe „Investment IQ" können Sie sich hier anhören, wie Sree und Bob mit Richard Dunbar über diese Fragen diskutieren.
Ausländische Wertpapiere sind volatiler, schwieriger zu bewerten und weniger liquide als US-Wertpapiere. Sie unterliegen anderen Rechnungslegungs- sowie regulatorischen Standards und sind anderen politischen und wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt. Diese Risiken sind in Schwellenländern höher.
Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.
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