Die Luftfahrtindustrie ist aktuell für etwa 2,1 Prozent aller vom Menschen verursachten CO2-Emissionen weltweit verantwortlich", so Cheryl Wilson, Senior ESG Manager bei Capital Group.
25.05.2022 | 12:07 Uhr
„Das klingt nach nicht viel, aber da die Nachfrage nach Passagierflügen weiter ansteigt, dürfte die Branche in der nächsten Dekade Verursacher der am schnellsten zunehmenden CO2-Verschmutzung sein.“
Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Länder eine Netto-Nullbilanz anstreben, stünden die Unternehmen in der gesamten Wertschöpfungskette des Luftverkehrs unter dem Druck, schnell kohlenstoffärmere Optionen zu verfolgen. Die Entwicklung und Einführung nachhaltiger Flugkraftstoffe stecke jedoch noch in den Kinderschuhen, und die Kommerzialisierung neuer Flugzeugtechnologien lasse noch ein Jahrzehnt oder länger auf sich warten.
Reichen die derzeitigen Vorschriften aus, um die
Dekarbonisierung voranzutreiben?
„Derzeit sind die Vorschriften unwirksam“, sagt Wilson. „Das
Kohlenstoffkompensations- und Reduktionsprogramm für die internationale zivile
Luftfahrt der International Civil Aviation Organization (ICAO) zielt auf
Emissionen aus internationalen Flügen ab, strebt jedoch nur eine Stagnation der
Emissionen gegenüber dem Niveau von 2019 an.“ Es sei eine Reihe von Prognosen
bzw. Szenarien aus Beratungs- und Branchengruppen untersucht worden, um die
potenziellen Wege der Branche zur Senkung von Emissionen zu bewerten. „Die
Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Emissionskürzungen voraussichtlich aus
neuen Kraftstoffen und Flugzeugtechnologien stammen wird", so Wilson. Etwa
80 Prozent oder mehr der für 2050 prognostizierten CO2-Emissionsreduktionen
würden sich durch eine Kombination aus nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAFs) und
fortschrittlichen Flugzeugtechnologien, vor allem durch den Einsatz von
flüssigem Wasserstoffbrennstoff, erreichen lassen.
Allerdings gäbe es ein entscheidendes Hindernis beim Wechsel zu SAFs: die Kosten. SAF sei etwa zwei- bis dreimal so teuer wie traditioneller Kraftstoff, außerdem sei wenig Spielraum für Verbesserungen vorhanden, da begrenzte Rohstoffe den größten Beitrag zu den Gesamtkosten leisten würden.
Nachhaltige Flugkraftstoffe mit enormen
Wachstumspotenzial
SAFs werden aus Pflanzenölen oder Biomasse hergestellt. „Das ist eine bewährte
Technologie und kann herkömmlichen Kraftstoff problemlos ersetzen", so
Wilson. „Allerdings haben SAFs 2019 weniger als 0,1 Prozent des
Flugkraftstoffbedarfs gedeckt.“ Diese Dekade könne jedoch zu einem erheblichen
Angebotswachstum führen. Angekündigte Projekte würden das Angebot bis zum Jahr
2025 jedoch nur auf 1,7 Prozent des weltweiten Flugkraftstoffbedarfs erhöhen.
Allerdings würden sie ein enormes Nachfragepotenzial bieten, was den
SAF-Produzenten und -Raffinerien zugutekommen könnte.
„Einige europäische Länder wie Schweden, Norwegen und Frankreich haben SAF-Mischungsvorschriften eingeführt, die von Fluggesellschaften verlangen, SAF anteilig zum Betanken von Flugzeugen in ihren Gebieten zu verwenden", erläutert Wilson. „Die Kosten solcher Vorschriften werden größtenteils von den Fluggesellschaften getragen.“ Positiv sei, dass sie dazu beitragen könnten, das Angebot an kohlenstoffarmen Brennstoffen zu steigern. Eine weit verbreitete Einführung würde jedoch eine Politik zur Senkung der Treibstoffkosten erfordern, da der Treibstoff bereits 20 bis 25 Prozent der Betriebskosten der Fluggesellschaften ausmachen würde.
Was bedeutet das für Investoren?
Es sei unwahrscheinlich, dass die Branche ihre Auswirkungen auf den Klimawandel
freiwillig allein durch Technologie beseitigen wird. „Der Regulierungsdruck auf
die Fluggesellschaften wird zunehmen“, resümiert Wilson. „Dies führt zu einer
wachsenden Nachfrage nach kohlenstoffarmen oder kohlenstofffreien Kraftstoffen
und Technologien, die durch die Regulierungen verpflichtend werden.“
Gerätehersteller würden bereits jetzt von der anhaltenden Nachfrage nach
kraftstoffeffizienteren Flugzeugen profitieren, und diejenigen, die in dieser
Dekade neue kohlenstoffarme Flugzeugtechnologien entwickeln, könnte ab Mitte
der 2030er Jahre eine hohe Nachfrage erleben.
„SAFs bieten eine attraktive Gelegenheit, in diesem Jahrzehnt mit der Reduzierung der Emissionen zu beginnen“, so Wilson. „Es handelt sich jedoch nicht um eine eindeutige Lösung, nicht zuletzt aufgrund der Probleme bei der Skalierung des SAF-Angebots, der höheren Kosten und der langfristigen Herausforderungen bei den Rohstoffen.“
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