Anleger, die defensive Aktienportfolios in Erwägung ziehen, denken vielleicht, dass sie auf langfristige Erträge verzichten müssen, um die Volatilität zu verringern. Aber eine Strategie, die auf Aktien abzielt, die in einem Abschwung weniger verlieren, kann den Markt im Laufe der Zeit tatsächlich schlagen.
04.08.2023 | 07:10 Uhr
Die meisten Anleger verstehen das Konzept des Risikos intuitiv. Im Grunde beruht es auf einem einfachen Konzept: Anleger erwarten eine Entschädigung für das Eingehen von mehr Risiko. Wenn sich Risiko nicht lohnen würde, würden wir alle unser Vermögen in bar halten und Feierabend machen.
Allzu oft sind Anlageverwalter mit dem relativen Risiko beschäftigt,
also mit der Überwachung ihrer Performance im Vergleich zu einem nach
Marktkapitalisierung gewichteten Index. Das kann im Widerspruch zu dem
stehen, was den Anlegern wirklich wichtig ist – die absolute Performance
und die Frage, wie gut eine Anlage die langfristigen finanziellen Ziele
erreicht.
Besonders heikel wird das Thema in Phasen der Marktvolatilität, wie dem
Abschwung von 2022. Angesichts der hartnäckigen Inflation und der
Konjunkturabschwächung im vergangenen Jahr gab der MSCI World um 16,0 %
in Landeswährung nach. Obwohl sich die Börsen im Jahr 2023 deutlich
erholt haben, besteht angesichts der konjunkturellen Ungewissheit und
der anhaltenden Besorgnis über Inflation und hohe Zinsen die Gefahr
einer weiteren Volatilität.
Wenn die Märkte steigen, bereiten sich die Anleger nicht immer auf
Turbulenzen vor. Wir sind jedoch der Meinung, dass der beste Zeitpunkt
für die Entwicklung eines defensiven Plans für eine Aktienallokation
ist, bevor die Volatilität einsetzt.
Und wenn es eine Möglichkeit gäbe, langfristig wettbewerbsfähige
Erträge zu erzielen, ohne extreme Volatilitätsschwankungen in Kauf
nehmen zu müssen?
Eine wachsende Zahl von Studien deutet darauf hin, dass Anleger mit
einem sorgfältig zusammengestellten Portfolio in der Tat weniger Risiko
eingehen und dennoch den Markt langfristig schlagen können, indem sie in
Aktien mit geringer Volatilität investieren. Auf diese Weise können
Anleger das Vertrauen gewinnen, auch in turbulenten Zeiten in Aktien
investiert zu bleiben.
Low-Volatility-Strategien können in verschiedenen Formen auftreten. Wir
sind der Meinung, dass eine wirksame defensive Strategie auf den
Fundamentaldaten der Unternehmen beruhen und sich auf Unternehmen
konzentrieren sollte, die Qualitätsmerkmale (beständige Cashflows und
Messgrößen für die Profitabilität wie die Rentabilität des investierten
Kapitals), Stabilität (geringe Volatilität der Erträge im Vergleich zum
Markt) und eine attraktive Preisgestaltung aufweisen, die sie weniger
anfällig für starke Marktschwankungen machen. Wir bezeichnen das als das
QSP-Universum. Während Unternehmen in traditionell defensiven Sektoren
wie Basiskonsumgüter und Versorger gute Beispiele sind, umfasst das
QSP-Universum Unternehmen mit herausragenden Geschäftsmodellen in jedem
Wirtschaftssektor, die durch fundamentales Research und eine durchdachte
Aktienauswahl aufgedeckt werden können.
Unternehmen, die wir als „Quality Compounders“ bezeichnen, haben
beispielsweise erfolgreiche Geschäftsmodelle und beständige Gewinne, die
durch gute Kapitalverwaltung und positives ESG-Verhalten unterstützt
werden.
Unternehmen wie diese können dazu beitragen, dass
Low-Volatility-Strategien die Abwärtspartizipation – das heißt die
Exposition gegenüber fallenden Märkten – begrenzen, während sie
gleichzeitig an den Marktgewinnen partizipieren, allerdings nicht in
vollem Umfang. Genauso wie es leichter ist, einen Berg zu erklimmen,
wenn man auf halber Höhe beginnt, müssen Aktien, die bei
Marktabschwüngen weniger verlieren, weniger Boden gutmachen, wenn sich
der Markt erholt.
Dieses Konzept lässt sich veranschaulichen, indem man ein sogenanntes
90/70-Portfolio gegen einen globalen Index von Investment-Grade-Aktien
stellt – in diesem Fall den MSCI World Index (Abbildung).
Dieses theoretische 90/70-Portfolio wird so genannt, weil es 90 % der
Marktgewinne in Aufschwungphasen mitnehmen würde, während es in
Abschwungphasen nur 70 % der Marktverluste hinnehmen müsste.
Anhand der Daten vom 31. März 1986 (Indexeinführung) bis zum 30. Juni
2023 haben wir festgestellt, dass unser hypothetisches 90 %/70
%-Portfolio in diesem Zeitraum jährliche Erträge erzielen würde, die um
3,1 % über denen des MSCI World Index liegen – bei geringerer
Volatilität (Abbildung).
Der Haken an der Sache: Um diese langfristigen Mehrerträge zu
erzielen, müssten die Anleger akzeptieren, dass sich ein 90 %/70
%-Portfolio nicht so verhält wie der breite Markt.
Das ist eine leicht zu schluckende Pille, wenn der Markt so stark
schwankt wie in diesem Jahr. Schließlich würde die
Low-Volatility-Strategie die Anleger in Abschwungphasen nur 70 % des
Marktrisikos aussetzen. Die eigentliche Bewährungsprobe kommt in
Aufschwungphasen, wenn die 90 %/70 %-Strategie schlechter abschneiden
würde als der Markt. Das ist der Preis, den man für langfristige Erträge
zahlen muss, die den Markt übertreffen.
Wie würde sich also eine QSP-Strategie mit geringer Volatilität in Rezessionen schlagen?
Unsere Recherchen deuten darauf hin, dass S&P-500-Aktien, die in das
oberste Quintil der QSP-Merkmale eingeteilt wurden, in Abschwungphasen
relativ gut abschnitten. So sank beispielsweise das oberste Quintil des
S&P 500 auf der Grundlage von Qualität, Stabilität und Preis während
der durch das OPEC-Ölembargo ausgelösten Rezession von 1973 bis 1974 um
36,9 % – weniger als der Rückgang des S&P 500 um 42,6 % (Abbildung). Und während der Rezession von 1980 bis 1982 legten die QSP-Aktien sogar um 8,5 % zu, während der Markt um 16,5 % fiel.
Andererseits könnten Anleger in defensiven Aktien besorgt sein, bei
steigenden Märkten, wie der diesjährigen technologiegetriebenen Rallye,
ins Hintertreffen zu geraten. Wir glauben jedoch, dass Technologieaktien
eine wichtige Rolle in einer Allokation mit geringer Volatilität
spielen können.
Viele der qualitativ hochwertigen, profitablen Technologieunternehmen,
die im Verborgenen agieren, sind nicht mit den gleichen Risiken
konfrontiert wie die allseits bekannten Tech-Titanen. Dazu gehören
weniger sichtbare Technologieanbieter und Zahlungsdienstleister, die
über nachhaltige Geschäftsmodelle und erhebliche, regelmäßig
wiederkehrende Einnahmequellen verfügen. Auch wenn es kontraintuitiv
klingen mag, sind wir der Meinung, dass ausgewählte Technologiewerte mit
diesen Attributen defensive Eigenschaften aufweisen und gleichzeitig
eine stärkere Partizipation am Marktaufschwung bieten. Mit anderen
Worten: Die traditionellen Rollen von Offensive und Defensive in der
Aktienallokation werden unserer Meinung nach neu definiert.
In jedem Markt oder makroökonomischen Umfeld kann eine
Low-Volatility-Strategie mit anderen aktiven Strategien kombiniert
werden, um die individuelle Risikotoleranz, den Zeithorizont und die
Anlageziele eines Anlegers zu berücksichtigen. Und obwohl es nicht
einfach ist, ein perfektes 90/70-Portfolio zu konstruieren, besteht die
Hauptidee darin, die Anfälligkeit für Marktschwankungen zu verringern,
die die langfristigen Erträge schmälern können.
Wir sind davon überzeugt, dass es durch fundamentales Research möglich
ist, ein Portfolio aus attraktiv bewerteten Unternehmen mit wichtigen
Qualitäts- und Stabilitätsindikatoren zusammenzustellen, das in
Aufschwüngen gedeihen und gleichzeitig periodischen Volatilitätsschüben
standhalten kann. In Zeiten wie diesen kann ein ruhigeres Fahrwasser
genau das sein, was die Anleger brauchen.
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