Donner & Reuschel: Mumm Briefing zum Wochenausklang – Die neue Zinswende

Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL
Volkswirtschaft

Die globale Umkehr von der Zinswende 2022 hatte sich schon lange angekündigt und schickte ihre Vorboten mit den Sommer-Leitzinssenkungen in der Schweiz, in Großbritannien sowie der Eurozone.

20.09.2024 | 13:30 Uhr

Mit dem Zinsentscheid der US-Notenbank Fed ist sie nun endgültig Gewissheit. Damit stellt sich die Frage nach dem weiteren Verlauf?

  • Sicher ist, dass die Zinsen weiter sinken werden. Null- und Negativniveaus sind hingegen in den kommenden Jahren unwahrscheinlich, denn die Inflationsraten dürften im Mittel der kommenden Jahre höher ausfallen als vor der Coronakrise. Strukturelle Preistreiber sind u.a. die demografische Entwicklung und der resultierende Arbeitskräftemangel, die nachlassende internationale Arbeitsteilung im Zuge um sich greifenden Protektionismus, die Diversifikation von Lieferketten zur Steigerung der Resilienz, die Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität, die Ausgaben zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels und zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit.
  • Kurzfristig sprechen allerdings die ausgesprochen schwache globale Investitionsgüternachfrage sowie sinkende Energiepreie für weiter nachgebende Teuerungsraten und damit tiefere Leitzinsen. Dabei betont die EZB die weiterhin bestehenden Inflationsrisiken, v.a. die lohninduziert stark steigenden Preise im Dienstleistungssektor.
  • Zudem achten die Notenbanker auf die wahrgenommene Inflation der Menschen in der Eurozone, die noch deutlich über dem tatsächlichen Niveau von derzeit knapp über 2 Prozent liegt. Bei einem neuen angebotsseitigen Preisschock – bspw. durch stark steigende Rohölpreise im Zuge geopolitischer Eskalationen – könnte die Inflationserwartung noch stärker steigen als beim letzten Inflationshoch und die gewünschte Verankerung nahe des 2-Prozentziels gefährden.
  • Die Fed scheint die Situation allerdings entspannter zu sehen. Anders lässt sich der initiale große Zinsschritt um 0,50 Prozentpunkte nach unten kaum erklären. Zwar ist die Inflationsdynamik in den USA insgesamt höher, allerdings entfällt ein wesentlicher Teil der derzeitigen Teuerung auf die Komponente Wohnen („Shelter“), die in den kommenden Monaten sukzessive sinken sollte. Wenn Fed-Präsident Jerome Powell es schafft, die Zinsen nach unten zu schleusen, ohne eine Rezession auszulösen, könnte ihm damit Einmaliges gelingen. Derzeit sieht es nach einer nur moderaten US-Konjunkturabkühlung („soft landing“) aus, allerdings sind Projektionen von Wachstum und Inflation weiterhin mit erhöhten Unsicherheiten behaftet. So scheinen bspw. Reaktionen an den Arbeitsmärkten langsamer zu verlaufen. Unternehmen halten an Ihrer Belegschaft auch in wirtschaftlich schwächeren Phasen länger fest. Zudem könnten schwer berechenbare politische Entscheidungen zu erratischen Preisbewegungen führen, etwa über höhere Zölle.

Daher sind sowohl die EZB als auch die Fed gut beraten, auch künftig datenabhängig vorzugehen, sich also von jeweils aktuellen volkswirtschaftlichen Daten in ihren Entscheidungen leiten zu lassen. Anzunehmen ist, dass auch im kommenden Jahr die Leitzinsen weiter sinken. Der neue Zinstiefpunkt bleibt allerdings vorerst ungewiss.

Diesen Beitrag teilen: