Im Falle einer Eskalation des Ukraine-Konfliktes stünde wirtschaftlich einiges auf dem Spiel, kurzfristig vor allem für Europa, aber auch für Russland selbst. Der Ausfall russischer Öl- und Gasexporte würde eine erneute Preisexplosion am Energiemarkt bedeuten.
15.02.2022 | 08:03 Uhr
In
einem Umfeld eines global zu knappen Ölangebots wäre es kaum möglich,
die mit der erwarteten konjunkturellen Belebung steigende Nachfrage
anderweitig zu bedienen. Weder die OPEC-Staaten noch die USA könnten
ihre Produktion kurzfristig ausweiten. Anzunehmen wäre zudem, dass die
Inbetriebnahme der Gaspipeline Northstream II in noch weitere Ferne
rücken würde. Da etwa 45 Prozent der EU-Gasimporte aus Russland kommen,
wären möglicherweise sogar Produktionsrestriktionen für besonders
energieintensive Unternehmen denkbar.
Auch weitere Sanktionen gegen
Russland oder gar ein Abschneiden Russlands vom internationalen
Zahlungssystem SWIFT hätten massive Auswirkungen für viele europäische
Unternehmen. Es wäre mit Zahlungsausfällen russischer Schuldner zu
rechnen mit entsprechenden Rückschlägen für Banken und Exporteure.
Schließlich wären direkte Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB
wahrscheinlich.
Trotz eines weiter steigenden Inflationsdrucks durch
höhere Energiepreise dürfte die für März erwartete Darlegung eines
möglicherweise bereits in diesem Jahr beginnenden weniger expansiven
geldpolitischen Kurses verschoben werden. An den internationalen
Aktienbörsen wären kurzfristig größere Rücksetzer wahrscheinlich. Im
Gegenzug dürften sichere Häfen, wie Bundesanleihen und der US-Dollar,
gefragt sein. Wie lange die Verunsicherung an den Börsen anhält hängt
vom weiteren Verlauf des Konfliktes ab.
Sollte Russland militärisch neue
Fakten schaffen, bspw. durch die Besetzung des Dombas, und der Westen
unentschlossen reagieren, dürfte sich der Fokus an den Börsen schnell
wieder auf fundamentale Konjunkturdaten, die Corona-Pandemie, die
Lieferkettenengpässe und den weiteren Verlauf der Inflation bzw.
resultierender Zinssorgen richten. Im Falle eines weiteren Vordringens
russischer Truppen in Richtung Kiew dürften die Verunsicherung erheblich
länger anhalten. Da auch für Russland wirtschaftlich viel auf dem Spiel
steht, bleibt zu hoffen, dass eine totale Eskalation vermieden werden
kann.
Wirtschaftlich zeichnet sich immer deutlicher eine schleichende
Deglobalisierung ab. Nicht zuletzt wird Europa bemüht sein, die
Abhängigkeit des Energiesektors von Russland erheblich zu reduzieren. In
dieser Gemengelage ist es wichtiger denn je, das Systemmodell der
Marktwirtschaft und der Demokratie im internationalen Wettbewerb wieder
erfolgreicher zu gestalten. Dieser Weg geht vor allem über Innovation
und eine zielgerichtete Transformation der Volkswirtschaften in die
digitale, dekarbonisierte und menschenorientierte Zukunft.
Ihr Carsten Mumm
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