Bei der ESG-Regulierung im Finanzbereich sind die USA so gespalten wie bei vielen anderen Themen. RI Specialist Lina Arrifi und François Antomarchi, Fundamental Equity Fund Manager bei DPAM kommentieren den aktuellen Stand:
05.11.2024 | 09:13 Uhr
Die Anti-ESG-Bewegung in den USA hat deutlich an Fahrt aufgenommen,
insbesondere während der Hauptversammlungen 2023 und 2024. ESG-Gegner
opponieren gegen Aktionärsanträge, die sich mit ESG-Themen befassen.
Gegen ESG mit Gesetzen und Kampagnen
Auch in öffentlichen Kampagnen und gegen gesetzgeberische Maßnahmen formiert sich Widerstand. Die Republikaner in New Hampshire haben beispielsweise extreme Maßnahmen vorgeschlagen, darunter die Möglichkeit von Haftstrafen bis zu 20 Jahren für Vermögensverwalter, die ESG-Faktoren bei ihren Investments Vorrang einräumen. Mit derlei Maßnahmen sollen ESG-orientierte Investments eingeschränkt oder geahndet werden. Einflussreiche politische Persönlichkeiten und Organisationen arbeiten auch abseits von Gesetzesvorschlägen daran, ESG-Praktiken zu diskreditieren. Die Gegenreaktion gegen ESG hat bereits zu Boykotten gegen Vermögensverwalter geführt, häufig initiiert von politischen Aktivisten und Organisationen, die gegen ESG-Richtlinien sind. So mobilisieren Gruppen gegen Unternehmen, die sich von fossilen Brennstoffen getrennt oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Investitionsstrategien eingeführt haben. Argumentiert wird gegen die Nähe solcher Praktiken zu politischen Agenden oder mit Verweis auf Nachteile für bestimmte Branchen.
Reduzierte SEC-Regelung
Im März 2024 legte die US-Börsenaufsicht SEC Regeln für
klimabezogene Offenlegungen börsennotierter Unternehmen fest, klammerte
die umstrittene Berichterstattung über Scope-3-Treibhausgasemissionen
aber aus. Stattdessen sind Scope-1- und Scope-2-Emissionen nur dann
schrittweise offenzulegen, wenn sie wesentlich sind. Diese Regelung
enttäuschte sowohl Befürworter als auch Gegner von ESG. Ersteren fehlte
die Anforderung für Scope-3-Emissionen, Letztere kritisierten die bloße
Existenz einer klimabezogenen Regel.
DPAM bezieht Stellung
Nach der Verabschiedung der Regeln reichten ESG-Gegner mehrere Klagen ein. Daraufhin setzte die SEC die Durchsetzung bis zur gerichtlichen Überprüfung aus. Einer der Anti-ESG-Petenten ist das umstrittene „National Center for Public Policy Research“ (NCPPR), das uns bereits 2023 als Befürworter von ausschließlich Anti-ESG-Vorschlägen auffiel. Im Fall von Visa Inc. zielte ein Vorschlag des NCPPR darauf ab, die Rollen von CEO und Vorsitzendem zu trennen, was den bewährten Marktpraktiken – und unserer Abstimmungspolitik – entspricht. Dennoch versagten wir dem Vorschlag unsere Unterstützung, als sich herausstellte, dass der Antragsteller eine breitere Kampagne mit antisozialen Motiven inszenierte. Unter anderen sollte Visa seine Unterstützung für „Black Lives Matter“ und den Krankenversicherungsschutz für Transgender-Mitarbeitende einstellen.
Austausch der Argumente
Petenten wie das NCPPR behaupten, die SEC etabliere mit ihren Vorschriften ein neues, auf den Klimawandel konzentriertes Regulierungssystem und verstoße damit gegen den ersten Verfassungszusatz. Sie argumentieren, dass sich die SEC übermäßig auf nichtfinanzielle Klimaangaben konzentriert, die in keinem Zusammenhang mit dem Anlegerschutz stehe. Die SEC sieht sich mit ihren Vorschriften zur Offenlegung wesentlicher Risiken, einschließlich Klimarisiken, im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse im Interesse des Anlegerschutzes. Sie vertritt die Ansicht, dass sich klimabedingte Risiken auf die finanzielle Leistung auswirken können, weshalb die Vorschriften für eine transparente und konsistente Berichterstattung unerlässlich sind. Der heftige Aufschwung der Anti-ESG-Bewegung scheint die USA in einen Konflikt über die Rolle der Ethik im Finanzwesen zu stürzen. Da die abgespeckten Regeln der SEC zur Offenlegung von Klimadaten keine der beiden Seiten zufriedenstellen, könnten die anstehenden Wahlen den zukünftigen Verlauf der ESG-Debatte in Amerika prägen.
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