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Wirtschaftsweise Schnitzer: „Wir brauchen einen Staatsfonds“

Monika Schnitzer: Quelle:Sachverständigenrat Wirtschaft
Interview

Monika Schnitzer führt den Vorsitz im „Sachverständigenrat für Wirtschaft“, der auch die Bundesregierung berät. Im Interview spricht die Ökonomin über die Konjunkturprobleme Deutschlands, notwendige Reformen und die kapitalgedeckte Altersvorsorge.

28.03.2024 | 12:15 Uhr von «Tobias Aigner»

Frau Schnitzer, Deutschland ist beim Wirtschaftswachstum das Schlusslicht der Eurozone. Und in Ihrem Jahresgutachten ist von „trüben Aussichten“ die Rede. Was kommt da auf uns zu?

Monika Schnitzer: Aktuell sind die Aussichten wirklich nicht toll. 2023 gab es eine Rezession. Und wenn sich alles so weiterentwickelt, gehen wir in den nächsten fünf Jahren von einem Wachstumspotenzial von nur 0,4 Prozent pro Jahr aus. Da stehen andere Länder deutlich besser da.

Sind wir wieder „der kranke Mann Europas“? So nannte das britische Magazin „The Economist“ Deutschland 1999, als die Wirtschaft ebenfalls schwächelte.

So würde ich das nicht sagen. Wir sind eher der alternde Mann Europas.

Sie meinen, die Demografie ist schuld an unserer Wachstumsmisere?

Zumindest zum Teil. Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt ab, da kann das Brutto­inlandsprodukt nicht so stark zulegen. Auch pro Kopf steigt unsere Wirtschaftsleistung kaum. Denn wir sind noch viele Köpfe, weil die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt, die von den Erwerbstätigen mit ernährt werden müssen. Diese Alterung ist kaum zu beeinflussen und ein echtes Problem.

In vielen Industriestaaten altert die Bevölkerung. Trotzdem schaffen sie mehr Wachstum.

Bei uns wird aber nicht nur die Bevölkerung immer älter. Unsere Wirtschaft hat außerdem einen Kapitalstock – also Fabriken, Anlagen, Maschinen und so weiter –, der älter ist als in anderen Ländern. Und wir investieren zu wenig, um ihn zu modernisieren. Dabei müsste er aufgrund des Klimawandels ohnehin stark erneuert werden. Wir haben im Vergleich zu an­deren Ländern auch zu wenig junge, innovative Start-ups.

Arbeitskräfte, Investitionen, Start-ups: Scheint, als hätten wir von allem zu wenig. Gibt es keine Hoffnung?

Doch. Wir könnten zum Beispiel Technologien wie künstliche Intelligenz nutzen. Das könnte ein echter Gamechanger sein. Denn damit ließen sich viele Tätigkeiten automatisieren. Aber bisher haben wir es noch nicht mal geschafft, die Digitalisierung richtig umzusetzen. Weder in der öffentlichen Verwaltung noch in der Breite bei den Unternehmen.

Müssen wir uns also auf harte Zeiten einstellen, auf Wohlstandsverluste?

Wir sind ja schon ärmer geworden. Wir haben eine wirkliche Krise, schon im vierten Jahr. Zuerst durch die Pandemie. Und dann durch die Energiekrise.

Wer kommt dafür auf?

Wir können das nicht alles über Schulden finanzieren und den nächsten Generationen aufbürden. Das müssen die tragen, die jetzt Steuern zahlen und das tragen können. Als der Staat im vergangenen Jahr Energiepreisbremsen für alle ausgezahlt hat, haben wir im Sachverständigenrat deshalb vorgeschlagen, eine zeitlich begrenzte Abgabe – einen Energie-Soli – für die Besserverdienenden einzuführen, die diese Hilfen gar nicht brauchen.

Sie meinen, wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern finanziell mehr zumuten?

Ja. Zumindest denen, die es sich leisten können. Denn der Staat muss noch weitere große Herausforderungen schultern. Punkt eins ist der Wegfall der Friedensdividende. Wir haben uns 30 Jahre darauf ausgeruht, dass wir in Europa keine militärischen Konflikte mehr erwartet haben. Jetzt müssen wir unsere Militärausgaben wieder hochfahren, weil es eine ernsthafte Bedrohung gibt. Und wir müssen die Ukraine unterstützen, um eine weitere Bedrohung Europas zu verhindern. All das kostet Geld, auch da könnte man über eine zeitlich begrenzte Abgabe nachdenken.

Und Punkt zwei?

... ist, dass wir uns unabhängiger von einzelnen Ländern und Regionen wie China machen wollen. Auch das kostet was. Und ja, das alles wird nicht spurlos an unserem Wohlstand vorübergehen.

Haben Sie nicht einen großen Kostenblock vergessen: die Umstellung auf eine CO₂-neutrale Wirtschaft?

Die wird uns im Aufbau auch Geld kosten. Aber am Ende kann sie uns auch Geld sparen. Etwa wenn alle Gebäude gedämmt sind und weniger geheizt werden muss. Oder auf allen Dächern Sonnenstrom gewonnen wird.

Haben Sie keine Angst, dass Deutschland das alles gar nicht stemmen kann?

All diese Probleme sind lösbar. Was mich am meisten umtreibt, ist die Frage: Geht die Bevölkerung da mit oder lässt sie sich aufwiegeln von Leuten, die ihnen weismachen, dass es ohne Veränderung, ohne Anpassung geht.

Eine Mammutaufgabe ist auch die ­Stabilisierung des Rentensystems. Ist es noch zu retten?

Dazu braucht es ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Fest steht: Wir haben ein demografisches Problem. Erstens weil die Leute immer älter werden. Und zweitens weil sie zu wenig Kinder bekommen haben. Das Immer-älter-Werden ist ja eigentlich eine gute Nachricht. Die erste Maßnahme wäre, einfach das Renteneintrittsalter zu erhöhen.

Einfach? Das gibt doch sofort einen Aufschrei.

Ich weiß. Da denken viele: Meine Güte, jetzt müssen wir alle sofort bis 70 arbeiten. Tatsächlich erhöht sich die Lebenserwartung aber gar nicht so dramatisch. Aktuell lebt man im Schnitt alle zehn Jahre ungefähr neun Monate länger. Wenn wir sagen würden: Für ein Jahr mehr Lebenszeit müssen wir acht Monate mehr arbeiten und bekommen vier Monate mehr Rentenzeit. Dann würde das bedeuten: Wir müssten alle zehn Jahre ein halbes Jahr länger arbeiten. 2031 sind wir bei einem Renteneintrittsalter von 67, also wären wir 2051 bei 68, 2071 bei 69 und 2091 bei 70. Das ist nicht so dramatisch.

Stimmt, das hilft aber nur gegen die steigende Lebenserwartung. Es ändert nichts daran, dass die Deutschen zu wenig Kinder bekommen, wir also zu wenig Beitragszahler haben.

Auch da gibt es Lösungen. Unser Vorschlag ist: Alle sollten zusätzlich in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge einzahlen. Schweden macht das schon seit 20 Jahren. Wenn wir zusätzlich zu den Beiträgen zur gesetzlichen Rente zum Beispiel vier Prozent des Monatseinkommens über die Kapitalmärkte ansparen, dann würde das bei den hohen Renditen auf den Kapitalmärkten viel bringen. Damit könnte man ausgleichen, wenn das Rentenniveau in Zukunft weniger stark ansteigen kann, denn dann hätten alle Ruheständler noch ein zweites Standbein. Wichtig ist aber: Die Ansprüche aus dieser Anlage müssten wirklich individuell sein, je nachdem, was die betreffende Person eingezahlt hat.

Dann muss die kapitalgedeckte Vorsorge verpflichtend sein …

Ja, es sollten erst mal alle mitmachen. Aber man kann sich aus dem System raus optieren. Wer sagt: Ich finanziere schon eine Immobilie oder sorge selbst am Kapitalmarkt vor, kann rausgehen.

Wer soll das Geld verwalten?

Wir schlagen vor: der Staat.

Wie kommen Sie darauf, dass der Staat ein guter Portfolioverwalter ist? Können die privaten Investmenthäuser das nicht besser?

Wir haben bei Riester ja gesehen, dass das nicht funktioniert. Das ist ein rein privates Angebot, aber mit viel zu hohen Gebühren und undurchsichtigen Anlagestrategien. Da steht oft eher der Gewinn des Anbieters im Vordergrund als der des Sparers. Wir brauchen einen Staatsfonds, weltweit diversifiziert, ohne aktives Management. Solche Fonds verwaltet auch die Bundesbank. Etwa für die Pensionskassen der Bundesländer. Das funktioniert sehr gut. Es kann zusätzlich private Anbieter geben. Aber die wären dann gezwungen, deutlich niedrigere Gebühren zu verlangen, um eine attraktive Alternative zu sein.


Das vollständige Interview mit Monika Schnitzer finden Sie im Frauen & Finanzen-Magazin Courage (Ausgabe 2/2024), das Sie am Kiosk oder online erwerben können. 

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