AB: Chinas Staatsunternehmen sind der Schlüssel zur CO2-Neutralität
China hat sich verpflichtet, bis 2060 klimaneutral zu werden, und Staatsunternehmen sind für die Hälfte der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich. Doch sie sind auch wichtige Akteure in Chinas Branchen für erneuerbare Energien und andere CO2-arme Energieträger.05.10.2022 | 09:09 Uhr
Für Anleger ist es wichtig, das Umfeld zu verstehen, in dem Staatsunternehmen tätig sind, um einen Einblick in die makro- und mikroökonomischen Herausforderungen zu erhalten, die für den Erfolg von Chinas langfristigen Plänen zur CO2-Neutralität entscheidend sind.
Autor(en)
John Lin| Portfolio Manager—China Equities
Philippe Benoit| Adjunct Senior Research Scholar—Columbia University's SIPA Center on Global Energy Policy
Chinas Staatsunternehmen sind enorme CO2-Emittenten. Aber sie sind auch ein wesentlicher Bestandteil der Bemühungen zur Reduzierung der Treibhausgase im größten Emittenten und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Anleger müssen die Rolle der Staatsunternehmen in der Wirtschaft verstehen und wissen, was diese Unternehmen antreibt, um einen Einblick in die Chancen zu erhalten, die sich durch Chinas Pläne zur Klimaneutralität ergeben.
Die weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels werden ohne China nicht erfolgreich sein. Im Laufe des 21. Jahrhunderts hat Chinas rasante wirtschaftliche Entwicklung zu einem stetigen Anstieg des Energieverbrauchs geführt – im Gegensatz zu den USA und der Europäischen Union, wo er sich auf einem Plateau eingependelt hat und sogar zu sinken beginnt (Abbildung). Staatsunternehmen verursachten etwa sechs Gigatonnen CO2 pro Jahr, was etwa der Hälfte der chinesischen Emissionen entspricht – viel mehr als alle Emissionen der USA oder der Europäischen Union.
Für unser Beispiel hat das Center on Global Energy Policy der Columbia
University die Strom- und Kapitalkosten modelliert, wobei ein
Verschuldungsgrad von 80 % und ein Eigenkapitalanteil von 20 % sowie
Kapital- und Betriebskosten angenommen wurden, die dem chinesischen
Markt entsprechen. Bei der Bewertung des Risikos gestrandeter
Vermögenswerte lautet die Schlüsselfrage: Wie lange dauert es, bis das
Unternehmen insgesamt einen positiven Ertrag erzielt?
Bei einem privaten Kraftwerk kann das mehr als 20 Jahre dauern. Wenn
also ein Kohlekraftwerk 12 oder 15 Jahre nach seiner Errichtung
stillgelegt werden muss, würden die Anleger auf gestrandeten
Vermögenswerten und einem negativen Ertrag ihrer Investition sitzen
bleiben (Abbildung). Das ist ein reales Risiko in dem sich schnell entwickelnden regulatorischen Umfeld.
Der Kontext in China ist völlig anders. Das liegt daran, dass der
Anteilseigner des Energieversorgungsunternehmens der Staat ist, der auch
mehrere mit dem Kraftwerk verbundene Unternehmen besitzt – und das
Kraftwerk nicht nur gebaut hat, um Gewinne für das
Versorgungsunternehmen zu erzielen. Das übergeordnete Ziel besteht
darin, Haushalte, Unternehmen und Verbraucher kostengünstig mit Strom zu
versorgen.
In diesem Szenario handelt es sich bei den Zahlungen zwischen den
staatlichen Stellen im Wesentlichen um „interne Transfers“ zwischen
verbundenen Unternehmen. Steuern sind keine echten Kosten, da sie an den
staatlichen Eigentümer gezahlt werden. Die chinesischen Stromtarife
sind streng reguliert, und sogar die Kosten für Kredite werden von der
Regierung festgelegt. Die Regulierung steuert die Interaktionen zwischen
den verschiedenen staatlichen Tochtergesellschaften. Und der wichtigste
wirtschaftliche Nutzen entsteht in China für die Verbraucher und nicht
in Form von finanziellen Erträgen für das Energieunternehmen.
So gesehen erzielt das chinesische Staatsunternehmen mit seinem
Kraftwerk einen viel höheren Ertrag als ein privates Unternehmen. In der
oben dargestellten (wenn auch vereinfachten) Modellrechnung
erwirtschaftet es bis zum Jahr acht einen wirtschaftlichen Gewinn für
den staatlichen Anteilseigner. Folglich würden Vermögenswerte nur dann
verloren gehen, wenn das Kraftwerk vor dem achten Jahr stillgelegt wird –
ein höchst unwahrscheinliches Szenario. Das erklärt, warum die
chinesische Regierung mit diesen Anlagen kein Geld verliert, auch wenn
einige westliche Analysten sagen, dass viele chinesische Anlagen
unrentabel sind.
Auf der Grundlage dieser Simulation argumentieren die Forscher Alex Clark, Philippe Benoit und Jonathan Walters in einem kürzlich in der Zeitschrift Climate Policy veröffentlichten Artikel,
dass die standardmäßige Kennzahl für die Analyse der Kosten der
Stromerzeugung für die chinesische Realität zu eng gefasst ist. Die
nivellierten Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Electricity, LCOE)
sind ein bekanntes Maß, um durch eine standardisierte Vergleichsanalyse
zu ermitteln, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, in Kohle-, Solar- oder
Windenergie zu investieren. Für China schlug die Studie jedoch die
nivellierten volkswirtschaftlichen Stromgestehungskosten (Levelized
Economic Cost of Electricity, LECOE) als ergänzende und in gewisser
Weise geeignetere Methode vor. Diese Stromgestehungskosten (LECOE)
beziehen wichtige Faktoren (wie inländische und ausländische
Finanzierungskosten, Importbrennstoffpreise und inländische
Produktionskosten sowie Steuern) in die Bewertung ein, wobei
wirtschaftliche Methoden auf Länderebene und nicht die traditionellen
Finanzinstrumente verwendet werden (Abbildung).
Integration von ESG-Aspekten in Chinas Volkswirtschaft
Warum ist diese Unterscheidung für Anleger wichtig? Sobald wir den
systemischen Unterschied zwischen einem chinesischen Kraftwerk in
Staatsbesitz und einem privaten Kraftwerk erkennen, können wir die
richtigen Fragen dazu stellen, wie Unternehmen in Chinas Pläne zur
Klimaneutralität eingebunden sind. Über das obige Beispiel hinaus findet
sich der Rahmen für Staatsunternehmen auch in vielen anderen Bereichen
und Branchen, die an Chinas grünen Reformen teilnehmen werden.
Anleger müssen sich darüber im Klaren sein, dass ein Großteil der
Impulse für die Umweltbemühungen in China von der politischen Führung
ausgeht. Daher erfordert die Analyse der Umweltfreundlichkeit
chinesischer Unternehmen einen anderen ESG-Ansatz als den, den Anleger
normalerweise bei westlichen Unternehmen anwenden.
Nehmen wir zum Beispiel die Unternehmensführung. In den üblichen
ESG-Ratings erhalten chinesische Staatsunternehmen in Bezug auf die
Unternehmensführung (Governance) eher schlechte Noten. Die meisten
Aufsichtsräte bestehen nicht zu 50 % aus unabhängigen Direktoren. Die
Vergütungen werden in der Regel nicht offengelegt. Transaktionen mit
nahestehenden Personen sind an der Tagesordnung.
Die Kontrolle der Unternehmen durch die Regierung bedeutet auch, dass
Änderungen der Umweltpolitik von der Spitze aus einen tiefgreifenden
Einfluss auf Unternehmensentscheidungen haben können. Wir glauben, dass
China es mit der langfristigen Notwendigkeit, den Klimawandel zu
bekämpfen, ernst meint, weil seine eigene Wirtschaft und Bevölkerung
davon profitieren werden.
Anleger können herausfinden, wie sich das auswirkt, indem sie mit den
Managementteams der Unternehmen in Kontakt treten. Das
China-Equities-Team von AllianceBernstein (AB) hat festgestellt, dass
Staatsunternehmen oft eher bereit sind, über Klimaziele zu sprechen als
Privatunternehmen. Privatunternehmen in China unterliegen ebenfalls
einem gewissen Einfluss der Regierung (ein Verhältnis, das im Laufe der
Zeit schwankte), werden jedoch von ähnlichen Gewinnmotiven angetrieben
wie ihre westlichen Konkurrenten. Einige haben sich noch nicht mit dem
Gedanken anfreunden können, dass umweltbewusstes Handeln gut für die
Aktionäre ist.
Das Management fordern: Staatsunternehmen hören zu
Als aktiver Manager steht das China-Equities-Team von
AllianceBernstein (AB) regelmäßig in Kontakt mit den
Unternehmensleitungen. Diese Bemühungen helfen uns, Einblicke in das
ESG-Engagement und die Auswirkungen auf das Geschäft eines Unternehmens
zu gewinnen. Aufgrund des Gewichts des staatlichen Anteilseigners ist es
zum Teil schwieriger, das Management chinesischer Staatsunternehmen zu
beeinflussen als das von börsennotierten westlichen Unternehmen. Private
Anleger (sowohl Aktionäre als auch Fremdkapitalgeber) können jedoch
eine Rolle spielen.
Erstens sind chinesische Staatsunternehmen – und ihre staatlichen
Anteilseigner – in der Regel sehr daran interessiert, ausländische
Investitionen anzulocken und ihre Aktienkurse zu steigern; sie wollen
hören, was die Aktionäre zu sagen haben. Zweitens sind Staatsunternehmen
im chinesischen Unternehmens- und Finanzsystem dazu angehalten, nach
Möglichkeit auf die Kapitalmärkte zuzugehen; dazu gehört auch,
internationales Privatkapital als mögliche Finanzierungsquelle in
Betracht zu ziehen. Drittens können Anleger durch die Zusammenarbeit mit
der Unternehmensleitung erfahren, welche Unternehmen bei ihrer
Tätigkeit stärker auf ESG-Themen achten und wie sie zwischen guten und
schlechten ESG-Akteuren unterscheiden können.
Dabei hat AllianceBernstein (AB) festgestellt, dass
verantwortungsbewusste Unternehmen sowohl im staatlichen als auch im
privaten Sektor angesiedelt sind und nicht dem Vorurteil entsprechen,
dass Staatsunternehmen in ESG-Fragen nachlässig sind. So haben wir uns
kürzlich mit einem sehr großen Technologieunternehmen in Privatbesitz
befasst und festgestellt, dass es weit hinter der Entwicklung
zurückliegt und nur wenige Ressourcen für ESG-Themen bereitstellt.
Im Gegensatz dazu ist China Yangtze Power, ein großes Staatsunternehmen,
in Sachen Nachhaltigkeit recht proaktiv. Das Unternehmen ist vor allem
für den Drei-Schluchten-Damm bekannt, die größte Wasserkraftanlage der
Welt. In unseren Gesprächen mit dem Management erfuhren wir, dass das
Unternehmen, obwohl es Wasserkraft erzeugt, CO2-Emissionen
produziert und an Plänen zur Verbesserung der Transparenz und
Offenlegung von Umweltfragen arbeitet. Das Unternehmen hat auch
bedeutende Initiativen zum Schutz der biologischen Vielfalt ergriffen,
darunter die Gründung eines Instituts zum Schutz des chinesischen
Flussstörs. Obwohl es sich bei China Yangtze Power um ein
Staatsunternehmen handelt, ist es auf die ESG-Bedenken der Anleger und
natürlich auf die Reputation des Unternehmens und seines Aktionärs, der
Regierung, eingestellt.
Unternehmen wie diese sind für Chinas Dekarbonisierungsbemühungen von
entscheidender Bedeutung. Sie bieten Anlegern auch einen Einblick in die
Art und Weise, wie die Regierung die Herausforderungen der
Dekarbonisierung im Laufe der Zeit bewältigen wird. Die Regierung hat
sich zwar verpflichtet, den Klimawandel zu bekämpfen, muss aber
gleichzeitig ein Gleichgewicht zwischen einer unsicheren
makroökonomischen Agenda und der Notwendigkeit, das inländische
BIP-Wachstum zu fördern, finden, sodass es bei der Umsetzung der Politik
zu Schwankungen kommen wird.
Kann die Klimaagenda Erfolg haben?
Der Erfolg, insbesondere im breiteren internationalen
Kapitalmarktkontext, wird von mehreren Faktoren abhängen. Erstens müssen
Anleger und energiepolitische Entscheidungsträger anerkennen, dass
Chinas Wirtschaftsstruktur einen anderen Ansatz rechtfertigt. Anreize
des freien Marktes wie Emissionshandelssysteme und CO2-Steuern sind unserer Ansicht nach in China weniger effektiv.
Zweitens braucht China ein klimapolitisches Instrumentarium, das seiner
Realität gerecht wird. Schattenkohlenstoffpreise beispielsweise, die die
Umweltkosten in die Analyse von Energie- und Industrieprojekten
einbeziehen, eignen sich gut für Staatsunternehmen, die die allgemeinen
wirtschaftlichen Ziele ihres staatlichen Anteilseigners mit ihren
eigenen finanziellen Zielen auf Unternehmensebene in Einklang bringen
müssen, und könnten dazu beitragen, Entscheidungsträger davon zu
überzeugen, sich für grüne Projekte zu entscheiden.
Drittens sind weitere Forschungsarbeiten in Bereichen wie den
Auswirkungen des wachsenden Wohlstands auf Energie und Emissionen und
damit auch auf Staatsunternehmen erforderlich, die nach wie vor wichtige
strategische Akteure in der wirtschaftlichen Wachstumsstrategie der
Regierung sind. Das wiederum hat Auswirkungen darauf, wie
Staatsunternehmen ihren CO2-armen Übergang finanzieren
können. Die Ermittlung der tatsächlichen Kosten der Energieversorgung
und des Risikos gestrandeter Vermögenswerte kann auch eine solide
ökologische Entscheidungsfindung der staatlichen Eigentümer
unterstützen.
Wir glauben, dass Staatsunternehmen mit den richtigen politischen Vorgaben und Finanzierungen China auf dem Weg zur CO2-Neutralität
voranbringen können. Anleger, die eine ESG-Mentalität und unabhängiges
Research auf die besonderen Gegebenheiten Chinas anwenden, werden in der
Lage sein, Unternehmen zu identifizieren, die den Wandel vorantreiben
und davon profitieren werden, wenn die Bemühungen zur Bekämpfung des
Klimawandels an Fahrt gewinnen.
1 Philippe Benoit and Kevin Tu, Is
China Still a Developing Country? And Why It Matters for Energy and
Climate, Columbia University Center on Global Energy Policy, 2020.
1 Alex Clark, Philippe Benoit and Jonathan Walters,
Government shareholders, wasted resources and climate ambitions: why is
China still building new coal-fired power plants? Climate Policy, April
2022.
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