abrdn: Zentralbanken – Should I stay or should I go?

In Anlehnung an den Kulthit der britischen Band The Clash aus den 80er Jahren über das Hin-und-her einer spannungsreichen Beziehung, blicken wir darauf, wer im Wettstreit der westlichen Zentralbanken die Zinsen zuerst senken wird und wann?

27.05.2024 | 07:25 Uhr

Der Soundcheck ist abgeschlossen, die Vorband ist fertig, die Bühne ist bereit.

Auf unserer Seite des Atlantiks ist die Gesamtinflation nach ihrem Höchststand zurückgegangen. Der Lohnanstieg fällt weniger stark aus als befürchtet. Die Zinssätze liegen etwa 2 % über dem neutralen Satz. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England (BoE) sind bereit, die Zinsen zu senken. Showtime wird (wahrscheinlich) im Juni 2024 sein.

Die Leitgitarre ist jedoch verstimmt - die USA. Angesichts der robusten Arbeitsmärkte, der unerwartet starken Verbrauchernachfrage und der hartnäckigen Inflation schwinden die Argumente für aggressive Zinssenkungen. Wir sind immer noch der Meinung, dass die US-Notenbank (Fed) in diesem Jahr Zinssenkungen vornehmen wird, aber wenn sich das erste Quartal als Norm und nicht als Ausreißer erweist, wird das Ausmaß dieser Senkungen begrenzt sein.

Damit ist der Fokus der Märkte für den Rest des Jahres vorgezeichnet: der Wettstreit der Zentralbanken.

Wenn die Fed zurückhaltend bleibt, können die EZB und die BoE vorangehen?

Oder genauer gesagt: Wenn der Zinssenkungszyklus der Fed begrenzt ist, bedeutet dies auch eine Begrenzung der europäischen Zinssenkungen?

If I go there will be trouble

Europa und das Vereinigte Königreich sind zwei eigenständige Volkswirtschaften und ihre Zentralbanken sind völlig unabhängig von der Fed. Ist es wichtig, dass sie einen anderen Kurs als die USA verfolgen?

Frage 1 für die europäischen Zentralbanken: Verläuft die Geschichte der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit der USA in einem Vakuum? Oder wird Europa (und das Vereinigte Königreich) aufholen? Wir glauben, dass die USA auf sich allein gestellt sind. Die Struktur der US-Hypothekenbranche bedeutet, dass es lange dauert, bis sich eine Zinserhöhung auf den Normalbürger auswirkt - länger als in Europa. Hinzu kommt, dass das Inflationsbekämpfungsgesetz von Präsident Biden in Wirklichkeit ein fiskalischer Kraftakt ist. Die USA haben ein Haushaltsdefizit von über 6 %.

Frage 2: Können sie beide vor der Fed aktiv werden? Ja, natürlich. Sie haben es schon einmal getan, und sie können es wieder tun.

Die EZB wird die Zinsen im Juni senken, unabhängig davon, was in den USA passiert. Die BoE scheint etwas verwirrt zu sein, aber angesichts der sinkenden Inflation und des sich entspannenden Arbeitsmarktes sind auch hier die Voraussetzungen für eine Zinssenkung im Frühsommer gegeben.

Frage 3: Die europäischen Zentralbanken werden den Anfang machen, aber wie weit können sie ohne die Fed gehen? Das ist die große Frage, die sich die Märkte stellen.

Die unterschiedliche Zinspolitik in den einzelnen Ländern wirkt sich auf die Wechselkursunterschiede aus. Wenn eine Zentralbank die Zinssätze stärker senkt als eine andere, sinkt der Wert der Währung der senkenden Zentralbank, wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben. Sowohl Europa als auch das Vereinigte Königreich sind importorientierte Volkswirtschaften, so dass ein schwächerer Euro oder ein schwächeres Pfund zu einer importierten Inflation führen würde.

Für Europa bedeuten die geografische Größe, die wirtschaftliche Vielfalt und die gesunden Gewinnmargen der Unternehmen, dass importierte Inflation weniger ein Problem sein dürfte. Das Vereinigte Königreich könnte sich angesichts der strukturellen Herausforderungen bei der Bereitstellung von Arbeitskräften und der Produktivität jedoch als inflationsanfälliger erweisen.

If I stay it will be double

Was passiert, wenn die europäischen Zentralbanken ihre Zinssenkungszyklen begrenzen?

Die Gefahr besteht darin, zu lange zu straff zu bleiben. Die Volkswirtschaften des Vereinigten Königreichs und der Eurozone bieten Raum für einen gewissen Optimismus. Wenn man die Zinsen jedoch zu hoch hält, wird das Wachstum gedämpft. Eine hohe Inflation ist für niemanden gut, aber ebenso wenig ist es ein gedämpftes Wachstum aufgrund einer zu straffen Geldpolitik.

Beide Zentralbanken haben das Mandat, ein bestimmtes Inflationsziel anzustreben. Aus Angst vor einer zu starken Straffung haben sie die Zinsen 2021-23 zu langsam angehoben. Auf dem Weg nach unten sollten sie nicht denselben Fehler machen. Wenn die internen Bedingungen Senkungen rechtfertigen, sollten sie diese vornehmen.

Alles in allem glauben wir, dass das Risiko einer Verzögerung der Zinssenkungen durch die BoE und die EZB (in Einklang mit der Fed)größer ist als das eines Alleingangs.

Well, come on and let me know

Was preisen die Märkte ein? Unentschlossenheit!

Die Anleger glauben nicht, dass die europäischen Zentralbanken einen wirklichen Alleingang wagen können.

Bis Ende 2025 rechnen die Märkte mit fünf Zinssenkungen bei der EZB und vier bei der BoE, ebenso wie bei der Fed. Dies ist eine massive Reduzierung der prognostizierten Kürzungen im Vergleich zum Jahresbeginn. Wie wir in unserem Artikel "Festverzinsliche Anlagen: Die Angst, etwas zu verpassen, und der FOMC" im Februar feststellten, ging die Jahresendrallye zu weit. Wir glauben nun, dass die Preisbildung in der EU und insbesondere im Vereinigten Königreich zu weit in die andere Richtung gegangen ist.

Die EU kann mehr Zinssenkungen vornehmen als die Fed. Das Vereinigte Königreich sollte nicht die gleiche Anzahl an geplanten Zinssenkungen haben wie die USA.

Warum glauben die Märkte, dass das Vereinigte Königreich den US-Kürzungszyklus nachahmen wird?

In erster Linie, weil die jüngsten Arbeitsmarkt- und Inflationsdaten aus dem Vereinigten Königreich nicht den Erwartungen entsprachen. Obwohl die Gesamtinflation zurückgeht, sind die Inflation bei Dienstleistungen und das Lohnwachstum immer noch hartnäckig hoch.

Der britische Arbeitsmarkt wird immer schwächer. Wir gehen davon aus, dass die Löhne sinken und die Dienstleistungsinflation mit ihnen zurückgehen wird.

Schließlich bekleckern sich unsere Freunde von der BoE nicht gerade mit Ruhm, wenn es um die Kommunikation geht. Als Marktteilnehmer erwarten wir keine fortlaufende Kommentierung, denn Verwirrung beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit. Und die BoE scheint verwirrt zu sein.

The indecision’s bugging me

Wie geht es mit den Märkten weiter?

Die nächsten Monate sollten die dringend benötigte Klarheit bringen.

In den USA werden wir herausfinden, ob es sich bei der wirtschaftlichen Stärke des ersten Quartals um einen Ausreißer handelt. Dann werden wir eine bessere Vorstellung davon haben, wie viel und wann die Fed die Zinsen senkt.

In der EU sind wir zuversichtlich, dass die EZB die Zinsen im Juni senken wird...

Im Vereinigten Königreich schließlich dürften die Daten die Märkte und die BoE in ihrer Zuversicht bestärken, dass die Inflationsbekämpfung kurz vor dem Abschluss steht.

So you gotta let me know – should I stay or should I go

Wir sehen keinen Grund, warum die europäischen Zentralbanken der Fed nicht zuvorkommen können. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die USA in diesem Jahr die Zinsen senken werden, aber die Inflationsdynamik in den USA ist anders als auf dieser Seite des Atlantiks. Daher sollten die europäischen Zentralbanken kein Problem damit haben, den unsterblichen Worten von Joe Strummer zu folgen: Sie sollten gehen!


Risikohinweis

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