Aktienmärkte ignorieren potenzielle Negativfaktoren

Die Aktienmärkte konzentrieren sich auf die sich verbessernde makroökonomische Situation und sehen über weniger willkommene Entwicklungen hinweg. Das könnte ein Fehler sein, sagt Chief Economist Léon Cornelissen.

16.03.2011 | 13:44 Uhr

Obwohl die makroökonomischen Daten allgemein weiter steigen, haben die Risiken für das globale Wachstum zugenommen. Größtenteils ist dies auf die zunehmenden - und sich ausbreitenden - Spannungen in der arabischen Welt zurückzuführen, die auch den Ölpreis in die Höhe treiben.

Dies ist jedoch nicht der einzige Negativfaktor. Die Eurozone ist so weit wie noch nie davon entfernt, eine umfassende Lösung für ihre anhaltende Schuldenkrise zu finden. Das bedeutet, dass diese erneut aufflackern und dann sogar noch stärker als zuvor lodern könnte. Für den Moment scheint Portugal wahrscheinlich in das Sicherheitsnetz gezwungen zu werden. In diesem Falle wird sich die Aufmerksamkeit des Markts auf Spanien verschieben. Italien taucht am Horizont als mögliches nächstes Ziel auf.

Und dennoch spiegeln sich diese Faktoren allgemein in der Entwicklung der Märkte wieder: Aktien sind nur um bescheidene 1,8 % (in Dollar) gegenüber ihrem Spitzenwert gesunken. Es ist deutlich, dass der Markt selbstzufrieden auf eine andauernde politische Stabilität in Saudi-Arabien vertraut. „Die politische Stabilität in diesem Land kann jedoch nicht für selbstverständlich angenommen werden", betont Cornelissen.

Kurzum sagt er, dass „der Markt einige wichtige potenzielle Negativfaktoren ignoriert.“

Vor diesem Hintergrund, ist das Financial Marktes Research-Team weniger enthusiastisch was die Aktienaussichten anbelangt. „Wir erwarten kurzfristig keine neuen Höhen auf dem Aktienmarkt", sagt Cornelissen. Immobilien, Unternehmensanleihen und Rohstoffe bleiben die favorisierten Anlageklassen des Teams. Staatsanleihen beurteilt das Team negativ.

Wachstum zieht an, wie auch die Inflation
„Solange Saudi-Arabien stabil bleibt, glauben wir nicht, dass die weltweite Erholung gefährdet ist“, sagt Cornelissen. Tatsächlich hat die Erholung kürzlich an Geschwindigkeit zugenommen und die ökonomischen Zahlen der letzten Monate waren eine positive Überraschung.

Aber nicht nur die BIP-Schätzungen in den entwickelten Regionen steigen, sondern auch die Inflationsprognosen. „Nichtsdestotrotz erwarten wir, dass die lockere Finanzpolitik in den entwickelten Regionen im Allgemeinen beibehalten werden wird“, sagt Cornelissen.

Betrachtet man einzelne Regionen, ist festzustellen, dass die makroökonomischen Zahlen in den USA stabil bleiben. Tatsächlich schwebt der ISM-Index bei ungefähr 60 und das Produzentenvertrauen deutet eine sehr starke Erholung an. Die Beschäftigung nimmt zu, was wiederum die Einzelhandelsausgaben antreibt. Konsensprognosen sehen für die US-amerikanische Wirtschaft ein Wachstum von 3,2 % für das Jahr 2011 und 3,3 % für 2012. Cornelissen findet dies aufgrund der Pläne zur Haushaltsdefizitreduzierung jedoch ein wenig optimistisch.

Bei einem derart starken Wirtschaftswachstum in der Zukunft gibt es mit Sicherheit keinen Platz für eine dritte Tranche der quantitativen Lockerung. Wenn die Headline-Inflation sich 2 % annähert, wartet dann vielleicht eine erste Zinserhöhung der Federal Reserve hinter der nächsten Ecke?

Cornelissen glaubt nicht daran. „Wir denken, dass die lockere Finanzpolitik in den USA im gesamten Jahr 2011 beibehalten werden wird, vor allem jetzt, da sich die Steigung des Ölpreises wie ein Steuer auf das Wirtschaftwachstum verhält“, sagt er. „Der schwache Wohnungsmarkt und die hohe Arbeitslosigkeit sollten nicht vergessen werden. Letzteres reduziert das mögliche Risiko einer Arbeitskosteninflation.“

Zinserhöhung der EZB scheint wahrscheinlicher
Auch die Wirtschaft in der Eurozone gewinnt an Momentum. Während sich jedoch das größte Land der Region, Deutschland, gut macht, müssen die Randstaaten weiterhin kämpfen.

Der hohe Ölpreis treibt die Headline-Inflation auf ein unangenehmes Niveau (im Januar 2,3 % auf Jahresbasis). Da ein anhaltend hoher Ölpreis das wirtschaftliche Momentum jedoch ebenfalls bedrohen würde, erwartet Cornelissen, dass die EZB verhalten bleiben wird.

„Wir teilen den momentanen Marktglauben, dass die EZB bis Ende 2011 dreimal die Zinsen erhöhen wird, nicht", sagt er. „Außerdem ist eine Zinserhöhung aus Glaubwürdigkeitsgründen wahrscheinlich, jetzt, da die EZB ihre Rhetorik gesteigert hat.“ Er erwartet eine Erhöhung, es sei denn, es gibt einen Schock, der die Handlung verschiebt. Diese könnte bereits im April stattfinden, wonach die Zentralbank die Zinsen für den Rest des Jahres unverändert lassen würde.

Japan: ein bescheidenes Wachstumsbild
Japan erholt sich schrittweise. Natürlich ist die Industrieproduktion in drei Monaten in Folge gestiegen, nachdem sie fünf aufeinanderfolgende Monate lang gesunken war. Aber die Zahlen waren nicht so stark wie der Markt erwartet hatte. Der Konsum ist erstarrt und die Ausgaben privater Haushalte sinken um 1 % auf Jahresbasis, während der Einzelhandelsverkauf flach bleibt.

Das Einzige, das steigt, ist die Inflation. Aber die japanische Zentralbank wird es sich zweimal überlegen, bevor sie Sparmaßnahmen einleitet, so Cornelissen, da die Wirtschaft 2011 nur langsam wachsen wird.

Hohe Inflation ist zentrales Thema für die wichtigsten Schwellenmärkte
Die Inflation ist ein Kernproblem für die wichtigsten Schwellenmärkte: Nur wie gut können die Behörden damit umgehen? In China stieg die Inflation im Januar auf 4,9 %. Die chinesischen Behörden sehen in der hohen Inflation eine mögliche Bedrohung für die soziale Stabilität. Daher wollen sie aktiv abhelfen, indem sie die Haushaltseinkünfte erhöhen und die soziale Sicherheit verbessern.

In Indien verlangsamte sich der Großhandelspreisindex der Benchmark (WIP) im Januar weiter. Außerdem bleibt die Lebensmittelinflation nach einem dreimonatigen Tief unangenehm hoch. „Zusätzliche verhaltene Sparmaßnahmen der Reserve Bank of India sind wahrscheinlich“, sagt Cornelissen.

Einige bescheidene Sparmaßnahmen sind auch in Russland zu erwarten, wo die Inflation im Januar auf 9,6 % stieg. Auch Brasilien ist keine Ausnahme bei der Inflation. Die Zentralbank hat die Zinsen weiterhin erhöht, da die Inflation im Januar 6,0 % erreichte.

Aussichten für Aktien nach unten korrigiert
In diesem Umfeld bevorzugt das Financial Markets Research-Team Aktien nicht mehr. Aktien sind angesichts der wachsenden Spannungen in der arabischen Welt leicht gesunken. Dies führte zu einem Fünfpunktesprung im VIX-Volatilitätsindex und einem zehnprozentigen Anstieg des Ölpreises.

„Die positive Interpretation bestünde darin, dass diese relativ starke Performance aus der überall aktienfreundlichen Umgebung hervorgeht“, sagt Cornelissen. „Schließlich waren die makroökonomischen Zahlen in letzter Zeit positiv und die Erträge im vierten Quartal stabil.“

Dennoch warnt er: „Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass der Markt einige wichtige potenzielle Negativfaktoren ignoriert und politischen Risiken zu selbstgefällig gegenübersteht.“

Zum Einen denkt er, dass die Konsensansicht, dass Saudi-Arabien nicht in den Strudel gezogen wird, keinesfalls garantiert werden kann. Zum Anderen ist der EU-Gipfel zur Findung einer mutigen Lösung für die Schuldenkrise in der Eurozone gescheitert. Dies erhöht das Risiko, dass die Krise später und dann noch tückischer ausbrechen könnte. „Wenn wir alles zusammen betrachten, bleiben wir momentan lieber beim Abwarten und Beobachten“, sagt er.

Schwellenmärkte immer noch die bevorzugte Region bei Aktien
Trotz der Unruhen im Nahen Osten bleiben die Schwellenmärkte die bevorzugte Aktienregion des Teams. Cornelissen erwartet, dass sich die kürzliche Underperformance der Schwellenmärkte umkehren wird.

„Diese Region hat die besten Karten auf der Hand: Die Staatsdefizite sind gering, die Bewertung auf einer zwölfmonatigen Kurs-Gewinn-Basis für die Zukunft ist attraktiv und die demographischen Bedingungen sind besser als in irgendeiner anderen Region. Außerdem erwarten wir, dass man mit dem Inflationsproblem umgehen können wird", erklärt er.

Das Team hat seine Präferenzen in anderen Regionen verändert. Zuvor sahen sie keine große Auswahl zwischen den USA, Europa und der Pazifikregion. Dennoch bevorzugen sie jetzt die USA gegenüber den beiden anderen Regionen. „Die makroökonomischen Daten waren in den USA am stärksten. Gleichzeitig glauben wir, dass die kürzliche Schwäche des Dollars etwas übertrieben wird“, erklärt Cornelissen.

Noch immer werden zyklische Sektoren den defensiven vorgezogen. „Auf dem momentanen Niveau wird das Öl die Wirtschaftserholung nicht zu sehr bremsen“, sagt er. Gleichzeitig warnt er, dass ein weiterer Anstieg des Ölpreises eine Veränderung dieser Sicht auslösen könnte.

Immobilien gegenüber Aktien bevorzugt
Das Team zieht derzeit Immobilien gegenüber Aktien vor. Als Regel gilt, dass diese Anlageklasse defensiver ist als Aktien. Dabei gibt es so lange keine direkte Verbindung mit dem Ölpreis, wie die Staatsanleihen nicht von den Inflationsängsten hochgetrieben werden. Die Renditen sind tatsächlich gesunken (aufgrund des hohen Ölpreises) und sollen derzeit auf diesem Niveau bleiben. Dies ist eine Folge der zurückhaltenden Haltung der Zentralbank gegenüber einer möglichen Zinssteigerung.

Gleichzeitig ist der negative Übergriff des höheren Ölpreises auf Cash Earnings im Immobiliensektor beschränkt und wird sich nur mit deutlich zeitlicher Verschiebung zeigen.

Staatsanleihen unbeliebt
Staatsanleihen finden bei Cornelissen und seinen Kollegen derzeit keinen Gefallen. Dennoch ist nicht mit größeren Verkäufen zu rechnen. „Wir erwarten, dass Anleihezinsen derzeit auf ihrem Niveau bleiben werden“, sagt er. Diese Erwartung geht aus der Vermutung hervor, dass weder die Fed noch die EZB eine nachhaltige Erhöhungskampagne vorsieht.

Unternehmensanleihen immer noch bevorzugt
Das Team gibt Unternehmensanleihen – Investment-Grade-Anleihen und Hochzinsanleihen – den Vorzug vor Staatsanleihen. Spreads von Unternehmensanleihen ziehen immer noch an. Sie profitieren von dem guten wirtschaftlichen Umfeld, extrem niedrigen Ausfallraten und einer sich generell verbessernden Kreditqualität.

„Angesichts des konstruktiven makroökonomischen Rückgangs und der relativ hohen Qualität ausstehender Schulden müssen Spreads von Unternehmensanleihen und Hochzinsanleihen noch einen weiten Weg zurücklegen, bevor sie Marktwert erreichen“, sagt Cornelissen. Das Team erwartet daher nicht, dass die Bewertung eine weitere Outperformance von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen oder Hochzinsanleihen gegenüber Bargeldpositionen behindern wird.

Weitere Gewinne für Rohstoffpreise wahrscheinlich
Das Team ist daneben optimistisch gegenüber den Aussichten für Rohstoffe. Obwohl das Risiko besteht, dass der Anstieg des Ölpreise vorübergehend ist, stellt Cornelissen fest, dass es seit Mitte letzten Jahres einen Aufwärtstrend beim Ölpreis gibt. „Wir erwarten, dass weiteres wirtschaftliches Wachstum, in Kombination mit einem generell knappen Angebot, die Rohstoffpreise in die Höhe treiben werden“, sagt er.

Lesen Sie den aktuellen Bericht des Financial Market Research Teams im pdf-Dokument

Diesen Beitrag teilen: