Am Anfang war das Verb
Die Rede eines Zentralbankers ist für gewöhnlich ein langer Text, in dem abschwächende Adverbien, Konditionalformen und lange Relativsätze die bisweilen schwer zu entschlüsselnde eigentliche Botschaft in einen diffusen Nebel hüllen.07.02.2013 | 10:56 Uhr
„Within our mandate the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.“ (1) Dieses Versprechen, das Mario Draghi im letzten Sommer gab, markierte einen wichtigen Wendepunkt für das Finanzmarktgeschehen 2012. Waren die Tage des Euro zuvor gezählt gewesen, so war nach Draghis Worten die angekündigte Katastrophe nicht mehr unvermeidlich.
Hinter diesen Worten steckte in Wirklichkeit das „OMT“-Programm (Outright Monetary Transaction). In aller Kürze zusammengefasst sieht das Programm vor, dass die Länder der Eurozone sich auf Antrag bei der Europäischen Zentralbank in unbegrenzter Höhe refinanzieren können. Im Gegenzug verlangt die EZB Garantien für die in den betroffenen Staaten umzusetzende Haushaltspolitik. Mario Draghi hat in nur wenigen Worten die größte Garantie gegeben, die jemals ein Markt bekommen hat. In der Sprache der Börse ausgedrückt: Er hat die größte Put-Option (Verkaufsoption) der Geschichte verkauft.
„Wenn Sie mich verstanden haben, dann habe ich mich wohl falsch ausgedrückt“, sagte Alan Greenspan, ein Experte für umständliche Ausdrucksweisen und verquerte Formulierungen. Am 26. Juli 2012 wandte sich Mario Draghi von einer langen Tradition für offizielle Reden ab: Nach den „Norpois“-Jahren (2) befinden wir uns nun im Zeitalter der Reden ohne Schnörkel: „Believe me, it will be enough …“ »
Sechs Monate später sind die erzielten Fortschritte spektakulär: Italien, das seine zehnjährigen Staatsanleihen mit 6 % verzinste, tut dies fortan mit 4,2 %, Spanien gelang der Schritt von über 7,5 % zu 5,1 %. Besser noch: Der spanische Ministerpräsident Rajoy erklärte letzte Woche, dass er, ohne erneute Verschlechterung der Schulden, nicht einmal das OMT-Programm in Anspruch nehmen werde. Es ist sicherlich zu früh, um in Jubel auszubrechen, doch Mario Draghis berühmte Garantie wird vielleicht niemals in Anspruch genommen werden. Wenn die Stabilisierung der europäischen Staatsschulden anhält, wird die Geschichte zweifelsohne in einigen gut gewählten Worten festhalten, dass ein Zentralbanker die negative Dynamik der Schulden der Eurozone (laut Eurostat immerhin insgesamt 8.524 Milliarden Euro!) „umgekehrt“ hat.
Dies wird natürlich eine vereinfachte Sicht der Dinge sein: Draghis Erklärung erforderte im Hintergrund intensive Arbeit, um die europäischen Partner (insbesondere die Deutschen) zu überzeugen, dass man bei Bedarf bereit sein müsse, die berühmten unbegrenzten Summen zu mobilisieren. Die Abschreckungsmaßnahme der EZB benötigte, um glaubhaft zu sein, die Blankovollmacht Deutschlands, und Draghi hat großes Talent bewiesen, indem er diese erhalten hat.
Die Geschichte wird die Politik wie auch das Börsenrauschen vergessen und sich nur an die Worte erinnern. Als pragmatische Anleger werden wir uns an diesen besonderen Moment erinnern, in dem die Eurozone wieder ins Lot kam. Als überzeugte Europäer halten wir als Lektion vor allem fest, dass in einer Eurozone, die durch ihre erste große Finanzkrise geschwächt war, die Entschlossenheit die besten Ergebnisse erzielte. Wie einst Jean Monnet (3), einer der Väter Europas, sagte: „Es ist nicht wichtig, optimistisch oder pessimistisch zu sein, wichtig ist es, entschlossen zu sein.“
(1) Die Übersetzung finden Sie auf unserer Website: www.fin-echiquier.fr
(2) Figur aus dem Roman La recherche du temps perdu
(3) Französischer Politiker (1888–1979)