Anleger gewinnen rund ein Jahr nach dem arabischen Frühling wieder Vertrauen in die Aktienmärkte des Nahen Ostens

Rund ein Jahr nach dem Arabischen Frühling stehen die Länder im Nahen Osten sowohl politisch als auch wirtschaftlich an einem Scheideweg.

31.10.2012 | 11:40 Uhr

Virginie Maisonneuve, Leiterin für globale und internationale Aktien beim britischen Vermögensverwalter Schroders, analysiert, welche Folgen der Arabische Frühling für global orientierte Anleger hat. Wegen des aktuellen politischen Kurses ist es unter anderem wahrscheinlich, dass die Ölpreise langfristig deutlich anziehen.

Nachdem viele Investoren 2011 aus der Region geflüchtet waren, zeigt die Wertentwicklung an den Aktienmärkten nun ein zurückgewonnenes Vertrauen an. Die meisten Direktanlagen fließen in Länder wie Ägypten, Saudi-Arabien und Algerien. „Für Fondsanleger gibt es jedoch ein Problem: Es gibt nur wenige börsennotierte Unternehmen in der Region“, sagt Virginie Maisonneuve. Und viele Aktienmärkte – darunter auch Saudi-Arabien als der größte – bleiben Ausländern verschlossen. „Wir sehen erste Zeichen, dass Saudi-Arabien erwägt, seine Kapitalmärkte zu öffnen. Doch der Prozess kommt nur zögerlich in Gang“, erläutert Virginie Maisonneuve.

Saudi-Arabien hat wegen seiner Erdölvorkommen eine herausragende Rolle in der Region. Dem dort regierenden Regime ist es zudem gelungen, die politischen Gegner im Land zu bestechen. Für die kommenden Jahre ist ein andauernder Frieden wahrscheinlich. Allerdings ist Saudi-Arabien nun auf höhere Ölpreise angewiesen, um seinen Haushalt auszugleichen: Früher lag der Ölpreis bei rund 30 US-Dollar pro Barrel. Für den Ausgleich des saudiarabischen Haushalts wären aber rund 75 US-Dollar pro Barrel erforderlich1. „In Saudi-Arabien wird der Ölpreis in Zukunft steigen“, sagt Virginie Maisonneuve. Wird der aktuelle politische Kurs fortgeführt, sollte der Ölpreis bis 2017 auf 100 US-Dollar pro Barrel und bis 2030 sogar auf 320 US-Dollar pro Barrel steigen, um den Haushalt im Land auszugleichen2. Kurzfristig sorgen die hohen Reserven in Saudi-Arabien aber für eine gewisse Flexibilität. Denn das Regime will nun in die Geldschatulle greifen, um so die Beziehungen zu den USA zu entspannen.

"Doch wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, gibt es einen schmalen Grat zwischen der sogenannten demografischen Dividende und dem Jugendüberhang, der die Gewaltbereitschaft fördert – besonders dann, wenn es der Wirtschaft nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen.“

Anleger im Nahen Osten profitieren zudem von günstigen Bevölkerungsprofilen, die sich in den kommenden Jahrzehnten in einem starken Wirtschaftswachstum niederschlagen sollten. „Doch wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, gibt es einen schmalen Grat zwischen der sogenannten demografischen Dividende und dem Jugendüberhang, der die Gewaltbereitschaft fördert – besonders dann, wenn es der Wirtschaft nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen“, erläutert Virginie Maisonneuve. Das größte Plus der ölabhängigen Volkswirtschaften ist, dass ein größerer Teil des Rohölwohlstands wieder in die Region zurückgeflossen ist. Davon profitieren insbesondere der Konsum- und der Infrastruktursektor. In Ägypten und Tunesien führt der Übergang zur Demokratie langfristig zum Entstehen eines aktiven Privatsektors, neuer Industriebereiche und einer erstarkten verbraucherorientierten Wirtschaft“, sagt Virginie Maisonneuve.

„Allerdings sind Wirtschaftsmodell und -politik in beiden Ländern weiterhin ungewiss und die politische Lage ist, besonders in Ägypten, nicht sicher“, sagt Virginie Maisonneuve. Als Konsequenz müssen global anlegende Fonds mit wenigen direkten Anlagemöglichkeiten in der Region drei Dinge beachten: Erstens können sich internationale Unternehmen kaum leisten, nicht in der Region präsent zu sein, um an der demografischen Dividende zu partizipieren. Daher haben viele Unternehmen zumindest in einigen Staaten des Nahen Ostens Niederlassungen. Zwar nehmen politische-, regulatorische- und Währungsrisiken in der Welt nach dem Arabischen Frühling zu. Doch je nach der Wirtschaftspolitik der neuen Regierungen dürften aber auch die Wachstumsaussichten steigen. Zweitens wirken sich die jüngsten politischen Entwicklungen auf die globalen Ölmärkte und -unternehmen aus. Zurzeit ist die Lage in Saudi-Arabien noch stabil. Wir haben jedoch erlebt, wie sich eine neue Einschätzung der Anleger mit Blick auf Unruhen in der Region auf den Ölpreis auswirken kann. Und drittens ergeben sich Folgen für die globale Stabilität im Allgemeinen. Da sich die politische Lage in den Ländern der Region unterschiedlich entwickelt, wird es eine größere Fragmentierung als vor 2011 geben. Dadurch wird die Geopolitik sowohl in der Region als auch weltweit schwieriger werden.

Die Analyse im pdf-Dokument

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