avesco: Die SFDR in der Praxis
Wie es sich mit der SFDR in der Praxis verhält, erklärt Dr. Sandra Derissen, Head of Sustainability Analysis SHC-Fonds im Interview.18.07.2023 | 07:44 Uhr
Außerdem Thema bei der IX. Donner & Reuschel Asset Manager Presentation: Offenlegungsverordnung, EU-Taxonomie und Artikel 8-/9-Fonds sowie avescos Sustainable Hidden Champions Equity Fonds (SHC-Fonds)
Frau Dr. Derissen, seit dem 10. März 2021 sind Fondsgesellschaften dazu verpflichtet, gemäß der Offenlegungsverordnung (OffVO) zu informieren, inwiefern ein Produkt einen Nachhaltigkeitsbezug hat. Unterschieden wird in den Kategorien: Artikel 6 Produkte, Artikel 8 Produkte und Artikel 9 Produkte. Aufgrund welcher Überzeugung hat avesco den Sustainable Hidden Champions Equity Fonds (SHC-Fonds) nach Paragraph 8 ausgelegt?
Wir sind mit unserem Fonds schon seit 2015 auf dem Markt,
das heißt vor der Regulierung und der Offenlegungsverordnung. Wir sind aktuell als Artikel
8-Fonds eingeordnet. Das heißt wir haben auf der Portfolioebene keine Ziele im
Bereich Umwelt. Und das ist ja eines der großen Kriterien für ein Artikel
9-Produkt, dass ein oder mehrere Umweltziele verfolgt werden sollen. Wir
bewerten Nachhaltigkeit jedoch nicht auf Portfolio, sondern auf
Unternehmensebene.
Wir haben viele Unternehmen im Fonds, die sozial sehr gut aufgestellt sind und
keine Umweltziele verfolgen könnten, weswegen wir recht zufrieden mit dem
„Artikel 8-Fonds“ sind. Zumal die Regulatorik nun nochmal nachziehen wird:
Anfangs konnte alles ein Artikel 8-Fonds sein, wodurch wir uns schon fragten:
„Okay, wo ist denn da die Differenzierung?“. Wir wollen mit
unserem Fonds besser sein als die anderen, wir wollen ein wirklich nachhaltiges
Produkt an den Markt bringen. Insofern haben wir uns dann schon öfter gefragt:
Wie können wir als Artikel 8-Fonds herausstechen aus der Masse – aber zum Glück
wird ja nun nachreguliert.
Die Einordnung von Finanzprodukten nach der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) | Quelle: avesco (eigene Darstellung)
Schauen wir auf die Herausforderungen der Regulatorik – und damit verbunden insbesondere auf die Umsetzung der Offenlegungsverordnung (OffVO). Worin bestehen bei der Auslegung der Inhalte Unsicherheiten? Wo sehen Sie die größten Stolpersteine?
Also der erste Dreh- und Angelpunkt ist immer die Datenverfügbarkeit. Es kommt in jedem Gespräch mindestens 1x die Frage: „Okay, wo bekommen wir überhaupt die Daten her?“, um die Dinge, die wir gerne offenlegen wollen überhaupt offenlegen zu können. Im Grundsatz ist die OffVO, wie der Name schon sagt, für die Finanzmarktteilnehmer gedacht, damit sie Transparenz zeigen: Was ist in meinen Produkten drin, wie sind meine Anlagestrategien und berücksichtige ich die nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren, die sogenannten PAIs. All das muss offengelegt werden. Und nun fragt sich jeder etwas überspitzt ausgedrückt: „Mein Gott, wo krieg ich jetzt die Daten her?“ Diese Daten müssen auch von den Unternehmen berichtet werden über die CSRD, das wird aber erst in 2-3 Jahren anlaufen. Die zeitlichen Abläufe sind somit nicht aufeinander abgestimmt. Das heißt, wir als Wertpapierinstitut müssen jetzt schon Stellung nehmen zu unseren Produkten und müssen offenlegen, was ist denn eigentlich drin, wie sind die negativen Auswirkungen – aber das können wir an vielen Stellen nicht leisten, weil wir die Daten von den Unternehmen nicht haben. Und genau aus diesem Grund rudern viele Fondsanbieter nun zurück, was die Einordnung angeht, weil diese Daten nicht vorhanden sind, um nachzuweisen wie nachhaltig ihr Produkt ist. Das ist leider der aktuelle Stand bei der Datenverfügbarkeit.
Welche anderen Herausforderungen sehen Sie weiterhin?
Als zweiten Punkt würde ich gerne anbringen, dass die Offenlegungsverordnung leider in weiten Teilen der Branche als eine Art Label missinterpretiert wurde. Dabei ist diese erst einmal nur für Finanzdienstleister gedacht, sodass diese über ihre Produkte offenlegen und Transparenz herstellen. Diese Verordnung ist nicht als Bewertung oder als Labeling gedacht. In der Realität wurden die Artikel dieser Offenlegungspflichten allerdings als Qualitätskriterium verstanden und treiben nun irrationale Blüten. Wir haben Investor:innen, die sagen: „Nein, wir dürfen nur in Art. 9-Produkte investieren“. Wenn wir fragen warum, wissen unsere konkreten Ansprechpartner:innen häufig nicht die Antwort, außer, dass dies halt ihre Vorgaben seien. Das lässt schon manchmal zweifeln.
Zuletzt würde ich an dieser Stelle gerne noch die Haftungsrisiken nennen: Die Umsetzung der Offenlegungsverordnung geht an jeder Stelle mit Haftungsklauseln einher – für die Berater:innen, die Fondsanbieter:innen und natürlich auch die KVG‘en. Insgesamt gibt es also große rechtliche Risiken, die leider dazu führen, dass diejenigen, die es wirklich ernst meinen, oftmals für die Output Version entscheiden.
Ich hatte mich im Vorfeld erkundigt und informiert, wie Sie diese Themen angehen und da habe ich in einem Blogartikel gelesen, dass Sie gar von kryptischen Anforderungen sprechen. Was ist dabei denn so kryptisch, dass Sie es selber vielleicht kaum deuten können?
Also kryptisch ist es an vielen Stellen, denken Sie allein
an das eingangs erwähnte Nachbessern, welches öfter stattfindet. Bei Artikel 8
und Artikel 9 ist immer noch die Frage, was denn „nachhaltige Investitionen“ im
Sinne des Art. 2(17) genau sind.
Ein anderes Beispiel: Was sind denn „wesentliche Auswirkungen“? Also allein
dieser Begriff der Wesentlichkeit, der ist so ein Dreh- und Angelpunkt, der
nicht wirklich fassbar ist. An welchen Stellen muss man berichten? Wer muss
überhaupt was berichten? Was ist an welchen Stellen wesentlich? Das ist z. B.
ein Punkt, der immer noch für große Fragezeichen sorgt.
Zurück zur Regulatorik: Können AnlegerInnen nun davon ausgehen, dass in Fonds, die mit ökologischen und / oder sozialen Merkmalen werben, nur nachhaltige Unternehmen vertreten sind?
Um diese Frage zu beantworten, müssten wir nun noch einmal klären, was ein „Nicht-nachhaltiges-Unternehmen“ ist. Wie schon gesagt, ein Unternehmen im Bereich Gas-/Kernkraft, nehmen Sie beispielsweise Uniper, die würden jetzt für ein Artikel 8- oder Artikel 9-Fonds nicht ausgeschlossen werden. Das macht es schwierig. Weil die EU-Taxonomie immer diese Herangehensweise hat: Welche Wirtschaftsaktivitäten vollzieht ein Unternehmen und kann mit diesen Wirtschaftsaktivitäten das 1,5 Grad-Ziel erreicht werden? Das heißt, es geht nicht darum das Unternehmen als nachhaltig zu bewerten, sondern es geht immer um die Wirtschaftsaktivitäten des Unternehmens.
Stichwort „Greenwashing“: Auffällig ist, dass die Zahl nachhaltiger Fonds nach in Kraft treten der OffVO im März 2021 beinahe über Nacht in die Höhe geschossen ist. Sehen Sie hier die Gefahr einer grünen Blasenbildung?
Ich würde eher sagen viele Fondsmanager:innen sind eines Morgens aufgewacht und haben festgestellt, dass sie jetzt auch nachhaltig sind. Sie haben also festgestellt, dass das, was als Artikel 8 oder 9 definiert worden ist, zu ihren Produkten passt und sie sich dementsprechend deklarieren dürfen. Insofern würde ich das eher als einen „Mitnahmeeffekt“ bezeichnen und nicht als Missbrauch. Jetzt rudern auch viele wieder zurück, als sie gemerkt haben, dass die Regulierung schon sehr viel Arbeit macht, die Datenerhebung schwierig wird, etc. Insofern bin ich gespannt, wie die Tendenz ist, ich würde sagen es werden wieder weniger Fonds, die sich im Sinne des Artikel 8 oder 9 der SFDR aufstellen werden.
Dr. Derissen, ein Wort bitte noch zur Rolle der KVG im Prozess von Taxonomie & Co: Wie sehen Partnerschaft und Aufgabenverteilung aus?
Die KVG nimmt eine sehr zentrale Rolle ein, da sie in aller erster Linie auch haftbar in jeder Beziehung ist. Das was im VKP steht, fällt auf die KVG zurück. Insofern ist die KVG auch bei uns dafür zuständig, uns einzuordnen, was bedeutet, dass unser Fonds aufgrund von den Daten, die wir der KVG geliefert haben, als Artikel 8-Fonds eingestuft wurde. Und da kann ich auch verstehen, dass viele KVGs sehr risikoavers agieren und erst einmal sagen: „Okay, wir müssen erstmal schauen, was da noch auf uns zukommt an Regulatorik; lieber erstmal vorsichtig sein“. Was aber an vielen Stellen schade ist, weil viele Dinge die wir tagtäglich umsetzen, bspw. die Beziehungen, die wir zu den Unternehmen aufgebaut haben – das sind keine Daten, die wir nutzen können, um zu zeigen, was wir machen. Wir sind angewiesen auf den Bezug von externen Daten, MSCI und Sustainalytics haben hier große Marktmacht. Das sind die Daten, auf denen in unserer Welt alles basiert und auf die die KVGs sich auch beziehen. Und wenn diese Daten nicht vorhanden sind, was gerade im Bereich Small und Mid Caps der Fall ist, sind diese Unternehmen für viele Fondsanbieter de facto nicht investierbar – das ist ein großes Problem.
Ob die OffVO die gewollte Wirkung erzielt, bleibt abzuwarten und kann derzeit noch nicht beantwortet werden. Auch wenn die Herausforderungen bei der Umsetzung groß sind – warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht trotzdem?
Auf jeden Fall lohnt es sich. Wir sind nicht erst seit gestern auf das Thema aufgesprungen, wir sind da mit Überzeugung dabei und ernten jetzt auch erst langsam die Früchte unserer Arbeit. Das FNG liefert hier auch einen beeindruckenden Überblick über den Bereich nachhaltiger Finanzen. Sie machen jährlich einen Marktbericht und allein 2021 hat sich das Anlagevolumen privater Anleger:innen verdreifacht, auf über 250 % mehr im Bereich nachhaltiger Gelanlagen. Außerdem vergeben sie das FNG-Siegel an besonders nachhaltige Fonds: Wir konnten im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal unser FNG-Siegel mit 3 Sternen, das ist die Bestbewertung, abholen. An solchen Dingen merken wir: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wollen uns natürlich differenzieren von anderen Produkten und da wir das zu schaffen scheinen, werden wir damit weitermachen. Klar ist es immer eine Auseinandersetzung und ein Ringen nach Argumenten und nach der Frage: „Okay, welche Anlagestrategie verfolgen wir an der Stelle weiter?“.
Und auch das Thema Greewashing wird uns weiter beschäftigen. Das ist eine große Aufgabe des Erwartungsmanagements an die Kund:innen. Wenn wir etwas versprechen, das wir nachher nicht halten können, dann ist klar, dass das böse Erwachen nachher groß ist und man Vertrauen verspielen würde. Wir haben z. B. Unternehmen im Portfolio wie Aurubis, wo wir intensiv auf die Lieferkette geschaut haben. Wir wollen verstehen, welche Minen genutzt werden, wo kommen die Rohstoffe her. Manche schauen uns da mit großen Augen an und fragen: „Wieso ist ein Unternehmen wie Aurubis im Portfolio, wie können Sie das denn machen in einem nachhaltigen Fonds?“. Auch in Hinblick auf deren CO2-Fußabdruck. Aber ohne solche Unternehmen kann die Transformation nicht vonstattengehen. Ohne Kupfer keine Elektroautos. Und das vermitteln wir auch unseren Kund:innen.
Abschließend noch einmal direkt nachgefragt: Dr. Derissen, ist die ESG-Regulierung eher Fluch oder Segen?
Was wir festhalten müssen, ist, dass sich durch die Regulierung sehr vieles zum Positiven verbessert hat. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Vor vier bis fünf Jahren wäre man auf einer Investorenveranstaltungen definitiv in die „Strickecke“ gestellt worden, hätte man z. B. nach einem Gender Pay Gap gefragt. Die Regulatorik hat hier viel zur Bewusstseinsbildung beigetragen. Ich finde es außerdem wichtig, bei solch einem Prozess nicht abwertend oder überidealistisch zu agieren: Viele Unternehmen haben sicher noch Nachholbedarf und viele kleine brauchen Zeit, zumal sie wenige Ressourcen haben. Darum ist es uns wichtig, hier zu begleiten und natürlich freuen wir uns dann auch über die positiven Entwicklungen.
Danke für das Gespräch!
Bei dem vorliegenden Interview handelt es sich um eine zusammengefasste Verschriftlichung der IX. Donner & Reuschel Asset Manager Presentation „ESG Art. 8 & 9 – Sinn & Unsinn“. Die Moderation hatte Andreas Franik.
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Für den Artikel und die Verkaufsunterlagen gilt, dass die dargestellte Wertentwicklung in der Vergangenheit kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung ist.