avesco: Ein Interview mit Prof. Dr. Christian Klein
Im Interview mit avesco erzählt Prof. Dr. Christian Klein, was das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie aus der Nische geholt hat, warum eine grüne Blasenbildung gar nicht so schlecht ist und warum Nachhaltigkeit nicht kompliziert sein muss.01.03.2023 | 10:53 Uhr
Sie beschäftigen sich seit über 10 Jahren mit Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie, was waren Ihrer Meinung nach die maßgeblichen Treiber, die dieses Thema in den vergangenen Jahren aus der Nische hoben?
Meiner Meinung nach war die Europäische Kommission der maßgebliche Treiber, der den Zug ins Rollen gebracht hat. Um bei diesem Bild zu bleiben: Damals habe ich immer davon geträumt, dabei zu sein, wenn der „Sustainable-Finance-Zug“ losfährt, aber mittlerweile ist er ein Düsenjet geworden. Das ist wirklich Wahnsinn! Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Alles begann mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und seit etwa 2017 lässt die Europäische Kommission ja keinen Zweifel daran, dass sie das ernst meint und wirklich umsetzen will. Das war die Geburtsstunde der High-Level Expert Group (HLEG), die dann gegründet wurde.
Zunächst habe ich diese ein wenig belächelt, bis dann der wirklich gute Abschlussbericht der HLEG kam. Spätestens als die Europäische Kommission die Sustainable-Finance-Strategie vorgestellt hat, waren alle ernsthaft verblüfft, was diese beinhaltete. Damit meine ich den 10-Punkte-Plan mit der Taxonomie als „Mitte“. Diese Strategie hat die Europäische Kommission in einer atemberaubenden Geschwindigkeit durchgejagt. Und jetzt würde ich wahnsinnig gerne sagen, dass jetzt alle nachhaltig investieren, weil sie sich eine bessere Welt für ihre Kinder wünschen. Auch wenn das mit Sicherheit ein angenehmer Nebeneffekt ist, behaupte ich dennoch, dass es die Regulierung war, die alle Teilnehmenden dazu gezwungen hat, sich damit auseinanderzusetzen.
Sie haben es gerade schon selbst angesprochen: Sie glauben nicht, dass alle InvestorInnen nur wegen einer besseren Welt nachhaltig investieren, sondern aufgrund der Regulatorik. KritikerInnen warnen ja vor einer grünen Blasenbildung – teilen Sie diese Sorge?
Die Sorge um die grüne Blasenbildung zeigt ja, dass die Thematik von vielen noch nicht verstanden wird. Wenn das Ganze wirklich was bringen soll, macht es nur Sinn, wenn wir die Kapitalkosten von nachhaltigen Unternehmen verringern und von „braunen“ Unternehmen erhöhen. Das heißt, dass die nachhaltigen Unternehmen bessere Finanzierungskonditionen bekommen und Unternehmen, von denen wir der Meinung sind, dass sie schlechter für unsere Umwelt sind, schlechtere Finanzierungskonditionen. Nach klassischen Finanzmarkttheorien sind nachhaltige Unternehmen dann aber überbewertet und „braune“ Unternehmen unterbewertet. Und das ist nichts anderes als eine Blase. Umgangssprachlich gesagt, ist es das Ziel, eine Blase zu erzeugen – nur mit dem Unterschied, dass die Blase eben nie platzen soll. Also wir wollen eigentlich sowas wie eine Spaltung der Kapitalmärkte: Die „Grünen“ auf der einen Seite mit super Finanzierungskonditionen und die bösen „Braunen“ auf der anderen Seite mit weniger tollen Finanzierungskonditionen. Der Wunsch wäre dann, dass die „Braunen“ irgendwann nachhaltiger werden, um auch dorthin zu kommen.
Glauben Sie, dass jüngste regulatorische Änderungen, wie bspw. die Offenlegungsverordnung oder die Änderung der MiFID-II Richtlinie dazu führt, dass mehr Gelder in zukunftsträchtige Industrien bzw. Unternehmen fließen?
Definitiv ja. Wenn Sie mit der Realwirtschaft reden, dann erzählen die, dass InvestorInnen immer mehr nach ESG fragen. Das ist ein Thema, das für viele wichtig geworden ist und offensichtlich machen viele ihre Finanzierungsbedingungen davon abhängig. Daneben gibt es auch so interessante Entwicklungen, wie z. B., dass die Waffenindustrie lobbyiert, um in die Taxonomie zu kommen. Das zeigt ja, dass Sustainable Finance funktioniert, denn offensichtlich haben einige Rüstungsunternehmen Probleme, an Kapital zu kommen. Und das ist ja eigentlich genau das, was wir erreichen wollen. Auch, wenn ich jetzt nicht diskutieren will, ob es bei Rüstung Sinn macht….
Und glauben Sie nicht, dass dadurch eher Greenwashing erzeugt wird?
Ich glaube, dass die Gefahr des Greenwashings überschätzt wird, einfach weil die Unternehmen gelernt haben, wie gefährlich das ist. Beispiel DWS. An dem Tag, als die Gerüchte aufkamen, dass die DWS irgendwas mit Greenwashing zu tun hat, ist der Kurs abgestürzt – um eine Milliarde Euro! Die Kapitalmärkte haben die DWS aus ethischen Gründen abgestraft, wegen Greenwashing. Und das ist nur ein Beispiel, bei dem die Unternehmen gelernt haben, dass sie bei Greenwashing höllisch aufpassen müssen. Meistens ist Greenwashing auch eher ein Missverständnis. Nämlich dann, wenn AnlegerInnen andere Dinge von nachhaltigen Unternehmen erwarten als sie wirklich leisten. Viele glauben, in einem nachhaltigen Fonds sind nur grüne Startups drin, aber so funktioniert es nicht. In dem grünen Fonds sind auch Amazon, Alphabet und Microsoft drin und dann sind die AnlegerInnen geschockt und sagen, das ist nicht das, was wir erwartet haben. An der Stelle sind die BeraterInnen gefragt, die erklären können, was wirklich dahintersteckt.
An welchen Kriterien würden Sie festmachen, dass Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie im Mainstream angekommen ist?
Wir merken das an ganz vielen Dingen: An den Produkten, an den Zuwachsraten im Bereich nachhaltige Geldanlagen und auch an der Berichterstattung. Auf einmal müssen Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte vorlegen und müssen über ihre Wertschöpfungskette und ihre Lieferanten berichten. Auch in der Realwirtschaft werden händeringend Kräfte im Bereich Nachhaltigkeit gesucht. Es ist also keine Modeerscheinung mehr – das Thema wird bleiben. Viele Unternehmen haben das mittlerweile auch als strategisches Instrument identifiziert und ganz oben angesiedelt.
Was geben Sie Finanzmarktteilnehmenden mit, die behaupten Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie sei bloß ein Hype?
Das würde ich ähnlich einstufen, als hätte jemand vor zehn Jahren gesagt, dieses „Digitalisierungsdings“ sei nur ein Hype und würde wieder verschwinden. Ich halte das Thema tatsächlich für einen Megatrend. Das heißt, das Thema wird sich immer weiterentwickeln. Dabei spielen vor allem die Generationen X und Y eine große Rolle, denn sie nehmen das Thema sehr ernst. Unternehmen, die hier nicht mitmachen, werden ein Problem haben. Denn diese Generationen gucken nicht nur aufs Einkommen, sondern auf Sinnhaftigkeit. Das merke ich auch bei meinen Studierenden, dass das eine Generation ist, die Nachhaltigkeit sehr wichtig findet.
Welche Quellen empfehlen Sie Finanzintermediären, die sich zum Thema Sustainable Finance weiterbilden möchten?
Momentan kann man sich ja eigentlich gar nicht vor Veranstaltungen, Lehrangeboten oder Weiterbildungen rund um die Thematik retten. Mir kommt es eher so vor, als würde man an dem Thema gerade gar nicht vorbeikommen. Ich möchte jetzt nicht jemand einzelnen hervorheben oder empfehlen. Es sind gerade einige dabei, hier etwas auf den Weg zu bringen.
Eine wichtige Rolle in der Wissensvermittlung spielen auch die FinanzanlageberaterInnen. Die Institute sind hier allerdings unterschiedlich aufgestellt. Die Frage nach Nachhaltigkeit ist verpflichtend. Sobald der Kunde aber angibt, dass er sich für Nachhaltigkeit interessiert, sind sie direkt in einem relativ komplexen Bereich des Beratungsgesprächs drin. Und das ist bei MiFID 2 tatsächlich sehr ehrgeizig – auch, wenn ich ein großer Fan der Regulatorik bin. Letztendlich geht es darum, dass die BeraterInnen bei diesem komplexen Thema Bescheid wissen.
Gutes Stichwort: Was sagen Sie Finanzintermediären, die das Gefühl haben, das Thema Nachhaltigkeit sei viel zu kompliziert?
Ich denke, dass sich die Menschen hier viel zu viele Gedanken machen. Das ist glaube ich typisch deutsch. Wir Deutschen sind so wahnsinnig dogmatisch. Vor zwei Jahren hat noch niemand gewusst, dass es nachhaltige Geldanlagen gibt und jetzt, wo sie da sind, stellen wir gleich den Anspruch, dass sie aber mindestens bitte gleich die Welt retten sollen. Meine Meinung ist hier: Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Das bedeutet, jeder Schritt, der uns näher in Richtung eines Nachhaltigkeitsziels bringt, ist ein guter Schritt und sollte gelobt und gefördert werden. Deshalb appelliere ich dafür, sich nicht zu sehr zu verkopfen, sondern einfach mal anzufangen.
Würden Sie einem/einer AnlegerIn zu einem Art. 8 Produkt raten?
Ja klar, warum nicht. Artikel 8 ist immer noch besser als Artikel 6. Ich bin immer noch heilfroh, wenn man sich generell darüber Gedanken macht. Artikel 9 gilt ja als dunkelgrün, aber wir sind noch ganz am Anfang und echten Impact mit Produkten zu generieren, ist sehr komplex. Ich persönlich würde zu beidem greifen, also Artikel 8 und Artikel 9. Und noch mal der Appell: Nicht so furchtbar verkopfen. Das Ganze ist noch dynamisch, da passiert noch viel, da werden wir noch viel drüber diskutieren und noch sehr viel lernen, alle zusammen.
Ab wann können wir mit einer verbesserten Datenlage durch die Implementierung der CSRD rechnen? Oder sehen Sie die Übermacht der Ratingagenturen als unumgänglich an?
Ich glaube, durch die Implementierung wird sich das Geschäftsmodell der Ratingagenturen ändern und eher in Richtung Impact gehen. Hier werden wir noch Formate finden müssen, wie z. B. eine „Impact-List“, um zu sehen, wann ein Unternehmen oder eine Geldanlage einen Impact hat. Denn durch die Taxonomie werden die Unternehmen hervorragende Nachhaltigkeitsberichte mit entsprechenden Daten liefern, die Transparenz schaffen – so wie es bislang die Ratingagenturen machen.
Hier handelt es sich um eine Publikation von avesco Sustainable Finance AG.