Capital Group: Bye-bye, Globalisierung?

Die Weltwirtschaft verändert sich wieder. Für die Portfoliomanager und Analysten unserer New-Perspective-Strategie ist das aber nichts Neues. Ein Interview mit Investmentdirektor David Polak.

04.05.2017 | 07:30 Uhr

Bleibt die Welt offen für wirtschaftlichen Fortschritt?
Viele Menschen bezweifeln das – und begründen dies mit der immer protektionistischeren Rhetorik und dem schwächelnden Welthandel. Die Globalisierung könnte zu Ende gehen, heißt es mit Verweis auf den schrumpfenden Außenhandel. Wir sehen das anders. Wir glauben, dass der Handel mit physischen Gütern durch einen immer intensiveren Daten- und Informationsaustausch ersetzt wird. Statt kapital- oder arbeitsintensiver Produkte wird immer mehr und mehr Wissen ausgetauscht. Das ist die Globalisierung von heute – und es ist genau das, worauf wir mit unserer New-Perspective-Strategie setzen. Wir wollen in bewegliche, multinationale Unternehmen investieren, die von den Veränderungen des Welthandels profitieren können. Wir setzen aber nicht auf wachsenden Welthandel.

Das Internet als Distributionsplattform und die wachsende Rechenkapazität sind zwei wichtige Investmentthemen. Früher hinderten hohe Vertriebskosten Unternehmen an einer weltweiten Marktpräsenz, was den Wettbewerb einschränkte. Heute können sich Unternehmen Märkte über das Internet erschließen. Zu den wichtigsten Positionen von New Perspective zählen der E-Commerce-Riese Amazon.com und das Onlinereisebüro Priceline. Investiert haben wir auch in Chinas schnell wachsenden Internetdienstleister Tencent – durch das südafrikanische Medienkonglomerat Naspers.

Die Fortschritte bei mobiler Computertechnik und Cloud-Technologie sorgen für eine hohe Nachfrage nach Speicherkapazität, Rechenleistung und den nötigen Bauelementen. Davon profitieren in erster Linie Chiphersteller wie die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company und Broadcom, aber auch Komponentenhersteller wie Murata Manufacturing.

Welche anderen Langfristtrends finden Sie spannend?
Das Verbraucherverhalten verändert sich, und das hat viel mit den Emerging Markets zu tun. In einigen Ländern haben junge Menschen eine enorme Kaufkraft und prägen damit die Konsummuster. Viele von ihnen haben das analoge Zeitalter übersprungen. Sie sind Digital Natives, die mit Internet und Computern groß geworden sind. Wenn ich in den USA meine Restaurantrechnung bezahle, unterschreibe ich sie noch immer. In Afrika wird Geld mit Mobiltelefonen überwiesen.

Auch bei den Unternehmen tut sich eine Menge. Viele Emerging-Market- Unternehmen sind heute internationale Marktführer. In den 1980er-Jahren kamen nur etwa 5% der Unternehmen im Fortune Global 500 – dem Index der weltweit umsatzstärksten Unternehmen – aus den Schwellenländern.

Die Emerging Markets sind den Industrieländern in vielerlei Hinsicht ähnlicher geworden. Weltweit reagieren Unternehmen auf deren gestiegenen Einfluss. New Perspective investiert in Konzerne aus Schwellen- und Industrieländern gleichermaßen. Wir setzen auf Firmen mit Chancen in den dynamischsten Emerging Markets.

Und was ist mit kurzfristigen Unsicherheitsfaktoren?
Wir behalten die politische Entwicklung genau im Blick. Viele Menschen wollen Veränderungen. Das zeigte sich bereits beim Brexit und beim Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl. Die Politik könnte sich ändern, aber auch prozyklischer werden. Beispielsweise spricht die US-Administration über Deregulierung, niedrigere Steuern und höhere Infrastrukturausgaben. In Europa stehen dieses Jahr wichtige Wahlen an. Werden die Populisten dabei weiteren Auftrieb bekommen? 

Manchmal ist es schwierig, zwischen Rhetorik und Realität zu unterscheiden. Aber so sehr wir die Politik verstehen müssen, so wenig sollten wir uns von ihr lähmen lassen. Deshalb denken wir langfristig und machen uns ein Bild vom inneren Wert eines Unternehmens, oft auf Sicht von acht Jahren. An den Märkten dominiert hingegen oft die Angst vor kurzfristigen Entwicklungen.

Rob Lovelace, einer der Portfoliomanager unserer New-Perspective-Strategie, bemerkte kürzlich Folgendes: Wer die Welt von oben betrachtet, könnte manchmal verzweifeln. Die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen scheinen überwältigend. Wenn wir aber die Sicht einzelner Unternehmen einnehmen, sehen wir nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen dieser Veränderungen.

Ist auch die Inflation Grund zur Sorge?
Wie sich die Inflation weiterentwickelt, ist tatsächlich nicht unwichtig. Viel spricht aus unserer Sicht für eine höhere Teuerung. Zweifellos braucht Europa mehr Inflation, und in den USA steigen die Verbraucherpreiserwartungen. Die chinesischen Produzentenpreise sind überraschend stark gestiegen, und auch die japanischen Verbraucherpreise haben zugelegt.

Wir haben unsere Positionen im Energie- und Grundstoffsektor leicht erhöht, rechnen aber nicht mit einem drastischen Inflationsanstieg. Der Weltwirtschaftsausblick ist nämlich  keineswegs nur gut. Hoffnungen auf Reformen und ein Infrastrukturpaket in den USA sind das eine, aber die Weltlage bleibt unsicher – und verhindert eine zu starke Straffung der Geldpolitik. Die Zinsen dürften zwar ihre historischen Tiefs verlassen, könnten aber noch länger niedrig bleiben.

Welche Sektoren meiden Sie?
Da wir Erträge durch Investitionen in Unternehmen anstreben, die von Veränderungen des Welthandels profitieren, schienen uns binnenorientierte Sektoren wie Telekommunikation und Versorger weniger interessant. Auch in Banken sind wir nur wenig investiert. Sie stehen noch immer vor einer Reihe von Problemen, von schwachem Wachstum bis zu Kapitalanforderungen. In ausgewählten Finanzdienstleistern halten wir aber große Positionen. Eine davon ist CME, ein Weltmarktführer im Futures-Handel. CME ist gut positioniert, um von der Marktvolatilität zu profitieren. Günstig für das Unternehmen  auch der Wandel vom OTC-Markt zu börsennotierten Produkten.

Rechnen Sie in diesem Jahr mit Herausforderungen für die New-Perspective-Strategie?
New Perspective gibt es jetzt seit über 40 Jahren. In dieser Zeit gab es Börsenkräche, Ölkrisen und politische Umwälzungen. Kurzfristig kann die Strategie immer wieder einmal hinter dem Markt zurückbleiben, aber entscheidend ist die langfristige Entwicklung. Viele Menschen versuchen, die kurzfristige Entwicklung ausgewählter Aktien zu prognostizieren. Sie interessieren sich nicht wirklich für Geschäftsmodelle. Natürlich ist es wichtig, die Markterwartungen zu kennen; schließlich sind wir an der Börse aktiv. Doch uns als langfristigen Investoren geht es mehr um den inneren Wert eines Unternehmens. Auch Flexibilität hilft.

Während der Dotcom-Blase, etwa in den Jahren 1995 bis 2001, hat New Perspective den Markt hinter sich gelassen, als er gestiegen ist – und ihn ebenfalls geschlagen, als die Blase platzte.* Erreicht haben wir das nicht etwa durch Marktprognosen. Entscheidend war, dass wir auch Barmittel hielten. Wir legten sie an, als der Markt einbrach, und schichteten zugleich von Sektoren wie Technologie, Medien und Telekommunikation in Versicherungen, Konsumverbrauchsgüterwerte und ähnliche Sektoren um.
Die Flut hebt alle Boote, heißt es. Wenn die Weltwirtschaft gut läuft und der Welthandel wächst, sind viele internationale Unternehmen erfolgreich. Aber was passiert, wenn ein Weltkonzern seine Produkte aufgrund von Protektionismus nicht mehr in den USA verkaufen kann? Kann er dann Produktions- und Lieferketten verändern und Dienstleistungszentren verlagern? In den unsicheren Zeiten von heute halten wir es für entscheidend, die Geschäftsmodelle der Unternehmen genau zu verstehen.

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