Capital Group: Emerging Markets - Viel Licht und ein wenig Schatten

Die Entwicklung der Schwellenländer in den letzten Jahren war durchaus wechselhaft. Höchste Zeit für eine aktuelle Neueinschätzung. Der Ausblick für unterschiedliche Schwellenländer und -regionen fällt nicht einheitlich aus und hält doch mehrheitlich positive Nachrichten bereit.

23.08.2017 | 12:12 Uhr

Lateinamerika: Fortschritte durch Reformen

In Chile, Brasilien und vielleicht auch Argentinien entwickeln sich Politik und Geldpolitik nach Ansicht von Ric Torres wohl in die richtige Richtung. Es habe zwar Korruptionsskandale gegeben, doch schienen diese zuletzt wieder abzuflauen. „Auch wenn das brasilianische Reformprogramm weniger ambitioniert ist, macht das Land aus meiner Sicht Fortschritte“, so der Experte. Hinzu komme, dass die brasilianischen Realrenditen mit etwa 6,5 bis 7 Prozent zu den höchsten der Welt zählten. Den Risiken von Lokalwährungsanleihen dürften ausreichende Chancen gegenüberstehen.

Unterdessen scheine sich Mexiko in die entgegengesetzte Richtung zu entwickeln. „Die Wirtschaft hat in letzter Zeit von grundlegenden Reformen profitiert, doch jetzt stehen Wahlen an und der Reformwille scheint nachzulassen“, sagt Torres. „Große politische Veränderungen sind durchaus denkbar, doch halte ich die möglichen Konsequenzen für weniger problematisch, als man an den Märkten befürchtet. Mehr Volatilität bis zum Wahltag könnte sogar für Anlagechancen sorgen.“

Russland: Nur die Oberfläche glänzt

Mit Blick auf Russland verweist Torres zunächst auf die zumindest auf den ersten Blick guten Zahlen: Der Aufschwung gewinne an Dynamik, die Inflation lasse nach und die Staatsfinanzen schienen stabil zu sein. Russland könne in diesem Jahr sogar das Investmentgrade-Rating zurückerhalten. „Doch obwohl die Reallöhne jetzt endlich steigen, hat sich der Konsum noch nicht wie erwartet erholt“, betont Torres. „Die Einzelhandelsumsätze scheinen nicht mehr auf die Reallöhne zu reagieren.“

Außerdem müsse die Regierung eine Reihe von Reformen einleiten, damit die Wirtschaft weiterwachse. Dazu zählten eine Rentenreform und eine neue Haushaltsplanung. Doch Torres stellt klar: „Meiner Ansicht nach wird es dazu aber erst kommen, wenn nach den Wahlen im nächsten Jahr das neue Kabinett Putin übernimmt.“ Auch Weltpolitik und Ölpreise blieben Risikofaktoren für die russische Wirtschaft.

Indien: Wandel nach Reformstaus

Indien traut Torres viel zu – erst im Mai ist er selbst im Land gewesen: „Mein Eindruck war, dass die Politik der Wirtschaft sehr nützt. In den letzten Jahren hat die Regierung Modi nach Jahren des Reformstaus endlich Wandel erreicht“, so der Investmentexperte. Als Beispiel führt er die Güter- und Dienstleistungssteuer an. Sowohl die Steuerquote, das heißt die Steuern im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, als auch die Steuerbasis seien sehr niedrig. „Die neue Steuer gilt als ein Schritt zur Harmonisierung des Steuersystems“, erklärt Torres. „Ich befürchte allerdings, dass die Unternehmen noch nicht gut genug vorbereitet sind und noch nicht alle Voraussetzungen für die Einführung der Steuer geschaffen sind. Insgesamt scheint Indien aber gute Reformfortschritte zu machen.“

Der Portfoliomanager unterstreicht, dass er sowohl in indische Anleihen als auch in indische Aktien investiert habe: „In den Anleihekursen sind einige positive Entwicklungen bereits berücksichtigt, insbesondere die niedrigere Inflation. Zurzeit scheinen mir daher vor allem Aktien interessant“. Ein Beispiel dafür sei die indische Privatbank HDFC, ein Qualitätsinstitut, das vor allem im Privatkundengeschäft tätig sei. Das Einlagengeschäft floriere, die Kundenbeziehungen seien gut, die Wachstumsstrategie sei diszipliniert.

China: Möglichkeiten der Regierung nicht unterschätzen

Die Sicht auf das Reich der Mitte ist hingegen ist etwas skeptischer: „Die Verschuldung Chinas macht mir Sorgen“, sagt Torres. „Ich glaube aber auch, dass man am Markt die Möglichkeiten der Regierung unterschätzt, die Probleme anzugehen.“ In vielerlei Hinsicht unterscheide sich China stark von anderen Ländern. Dies gelte insbesondere für die Einflussmöglichkeiten der Regierung. Trotz möglicher wirtschaftlicher Ungleichgewichte könnten es sich die chinesischen Behörden leisten, eine Lösung aufzuschieben.

Das bedeute aber nicht, dass man die Probleme nicht irgendwann angehen müsse, und das werde Auswirkungen auf das langfristige Wachstum haben. Die Marktbeobachter, die in China stets eine Krise vor der Tür sehen, könnten aber die Macht der Behörden unterschätzen, solche Krisen zu managen – oder auch ihre Bereitschaft dazu.

Infrastrukturinvestitionen von großer Bedeutung

Besonders interessiert sich der Experte für Länder, die in ihre Infrastruktur investieren. Das könnte das Wachstum fördern: „Ich glaube, dass dies vor allem in Südostasien gelingt, insbesondere in Indonesien“, so Torres. „Die Regierung will den Anteil der Infrastrukturinvestitionen am BIP steigern, und sie kann es sich leisten.“ Gerade weil die Schwellenländer kein einheitliches Bild abgeben, lohnt es sich für Investoren daher, genauer hinzusehen.


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