Capital Group: Kommt jetzt der Aufschwung am europäischen Aktienmarkt?

Macrons Erdrutschsieg bei der Stichwahl sorgt für weniger politische Risiken am europäischen Aktienmarkt. Die Marktreaktion war bislang allerdings recht zurückhaltend, doch dürften risikoreichere Wertpapiere in den kommenden Monaten wohl deutlich zulegen.

15.05.2017 | 13:32 Uhr

Die Franzosen haben am Sonntag nicht nur einen neuen Präsidenten gewählt. Sie könnten auch geholfen haben, EU und Euroraum erheblich zu stabilisieren – auch wenn die französischen Parlamentswahlen im nächsten Monat und die italienischen Wahlen im nächsten Jahr die Investoren weiter in Atem halten dürften.

Der Zentrist Emmanuel Macron hat in der Stichwahl 66% geholt, während sich die EU-feindliche Marine Le Pen mit 34% begnügen musste. Mit Macrons Sieg ist ein großes Risiko für die Zukunft Europas beseitigt – was umso wichtiger ist, seit mit dem Brexit-Votum im letzten Sommer der EU-Ausstieg Großbritanniens begann. Frankreich ist jetzt wieder fest in der EU und im Euroraum verankert, was viele Investoren erstmals seit Langem wieder optimistisch für die europäischen Märkte und die europäische Wirtschaft stimmt.

Viel Rückenwind

„Ich halte diese Wahl für einen Wendepunkt – für einen echten Katalysator, der Europa zumindest kurzfristig zu einer wesentlich attraktiveren Anlageregion machen könnte“, sagt Andrew Suzman, Aktienportfoliomanager bei Capital Group. „Natürlich gibt es noch immer Herausforderungen, und die Wahl löst nicht alle Probleme. Aber die Bewertungen sind oft sehr niedrig, und die große politische und wirtschaftliche Krise blieb aus.“ 

Nicht nur die französischen Wahlen verschaffen den europäischen Märkten dabei allerdings Rückenwind. Der positive Gesamtausblick stützt sich auf mehrere Faktoren: Hinzu kommen nämlich Anzeichen für mehr Wirtschaftswachstum, im Vergleich zu anderen Industrieländern attraktive Aktienbewertungen und die allmähliche US-Dollarabwertung. Der starke Dollaranstieg seit 2014 hat die Erträge europäischer Titel für dollarbasierte Anleger geschmälert.

 

Bereits vor dem Sonntag war mit einem erfreulichen Wahlausgang gerechnet worden. Französische Aktien hatten deshalb im April 3% zugelegt, gegenüber 1,5% Zuwachs des MSCI World Index. Seit Jahresbeginn ist der MSCI Europe Index in lokaler Währung um fast 8% und in US-Dollar um über 11% gestiegen (Stand 30. April 2017).

Außerdem ist der Euro Ende April auf ein Fünfmonatshoch gestiegen, als Macron in den Umfragen deutlich vor Le Pen lag. Als Führerin des rechtsextremen Front National hatte Le Pen erklärt, Frankreich aus der EU zu führen, den Franc wieder einzuführen und die Einwanderung streng zu begrenzen. Macron hingegen ist ein zentristischer EU-Befürworter, der wirtschaftliche und politische Reformen in Frankreich versprochen hat und zugleich mit Brüssel und Berlin zusammenarbeiten will.

„Europa wird Präsident Macron willkommen heißen, und auch Deutschland freut sich auf die Zusammenarbeit mit ihm“, sagt Talha Khan, Volkswirt und politischer Analyst bei der Capital Group. „Mit Macrons Wahl wird die deutsch-französische Freundschaft wiederbelebt, die letztlich der Kern der EU ist. In diesem Sinne ist Europa Macrons größte Chance. Wenn er Deutschland davon überzeugen kann, mehr zur Lösung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu tun – im Gegenzug für mehr Reformen in Frankreich – nützt dies dem Langfristausblick für die europäische Wirtschaft sehr.“

Rückkehr zu den Fundamentaldaten

Robert Lind, Volkswirt bei der Capital Group, stimmt dem zu und ergänzt, dass sich Investoren bei mehr politischer Stabilität nicht mehr mit dem Risiko eines Auseinanderbrechens der EU befassen müssten. So könnten sie wieder mehr auf andere Faktoren achten.

„Dank der nachlassenden politischen Unsicherheit können sich die Investoren jetzt endlich wieder auf das wirklich Wichtige konzentrieren – die Fundamentaldaten“, sagt Lind. „Das Gewinnwachstum der Euroraum-Unternehmen macht große Fortschritte, nicht zuletzt wegen der besseren Konjunktur. Nach einer langen Zeit mit Mindererträgen könnten Euroraum-Aktien weiter aufholen.“

Schon lange verließen sich viele der größten börsennotierten Unternehmen Frankreichs nicht mehr auf die eher schwache französische Konjunktur. International tätige Konzerne wie Airbus, L’Oréal, LVMH, Sanofi und Total sähen über den Atlantik und nach Asien, hielten aber auch in West- und Osteuropa Ausschau nach Wachstumsmöglichkeiten, meint Lind.

Die Renaissance Europas

Auch für Anleiheninvestoren dürfte Macrons Sieg nicht unwichtig sein; die Spreads zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen gehen zurück. Die französischen Renditen waren in den Wochen vor den Wahlen stark gestiegen, da man einen Austritt Frankreichs aus dem Euro fürchtete. Nach der Wahl erwarten einige Investoren, dass die Europäische Zentralbank noch in diesem Jahr, spätestens aber Anfang nächsten Jahres, ihre Konjunkturprogramme allmählich zurückfährt und vielleicht über Zinserhöhungen im Jahr 2018 nachdenkt.

„Die nächsten zehn Jahre könnten als die Renaissance Europas in die Geschichte eingehen“, sagt Thomas Høgh, Anleihenportfoliomanager bei der Capital Group. „Unter aus meiner Sicht realistischen Annahmen dürfte die EU zusammenbleiben und sich zu einem föderalen Staat weiterentwickeln. Die Attraktivität populistischer Parteien dürfte nachlassen, wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht und die Wirtschaftsreformen allmählich Erfolge zeitigen.“

„Unterdessen spricht viel dafür, dass die mehrjährige Phase der Mindererträge europäischer gegenüber amerikanischen Aktien allmählich zu Ende geht“, meint Marc Nabi, Investmentexperte bei der Capital Group. „Viele US-Unternehmen sind höher bewertet als europäische Unternehmen aus der gleichen Branche. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, doch dürften sich die Bewertungs- und Ertragsdifferenzen allmählich normalisieren, so wie in früheren Investitionszyklen“, erläutert Nabi. Auch eine US-Dollarabwertung werde seiner Ansicht nach helfen.

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