Chinas Aktienmarkt: Das Protokoll des Crashs

Titel der Publikation: China - Kleinaktionäre gehen All in
Veröffentlichung: 08/2015
Autor: Heinz-Gerd Sonnenschein
Auftraggeber: Postbank (Website)
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Die Talfahrt des chinesischen Aktienmarktes war vorprogrammiert. Erst treibt die Regierung die Rallye an, dann hat sie den Crash mit zu verantworten. Postbank-Experte Heinz-Gerd Sonnenschein bleibt dennoch optimistisch für chinesische Aktien.

04.08.2015 | 14:46 Uhr

Nach der Party kommt der Kater. Diese alte Börsenweisheit bewahrheitet sich immer wieder aufs Neue. Zuletzt hatten Investoren am chinesischen Onshore-Markt mit einem heftigen Kater zu kämpfen. Die Party, die diesem vorherging, war durchaus berauschend. „Von Anfang Juli 2014 bis zum 12. Juni 2015 kannten chinesische Aktien fast nur eine Richtung: Aufwärts“, sagt Heinz-Gerd Sonnenschein, Investmentstratege bei der Postbank. „Der Shanghai A legte in diesem Zeitraum 152 Prozent zu.“ Doch auf diese Rallye folgte für viele Anleger die Ernüchterung: „Die Kurse brachen deutlich ein und bis zum 8. Juli hatte der Shanghai A ein knappes Drittel an Wert eingebüßt.“ Es war nicht das erste Mal, dass der chinesische Aktienmarkt nach einer rasanten Rallye einen empfindlichen Einbruch verzeichnen musste. Von Jahresbeginn 2006 bis Oktober 2007 legten die Kurse gemessen am Shanghai A knapp 420 Prozent zu, um im Anschluss mehr als 70 Prozent an Marktwert zu verlieren. Damals war die globale Finanz- und Wirtschaftskrise Grund für den Einbruch.

Das ist jetzt anders. „Dieses Mal ist die chinesische Zentralregierung der Puppenspieler, der die Fäden in der Hand hält und Regie führt“, so Sonnenschein. „Sie will den Finanzplatz China mit den beiden führenden Börsen des Landes in Shanghai und Shenzen zunehmend für ausländische Investoren öffnen.“ Doch sei sie noch nicht bereit, den Marktkräften völlig freie Hand zu geben – was für Sonnenschein auch nicht zu erwarten war. Für ihn ist klar: Die Zentralregierung hat sowohl die Rallye als auch den Absturz zu verantworten. „Die Regierung hat den Wohlstand der Bevölkerung im Blick und versucht diesen – staatlich gelenkt – zu vermehren.“ Und sie habe ein Volk unter sich, dem es nicht an Sparneigung hapere. Die Sparquote der Chinesen sei viermal so hoch wie die in Deutschland. Entsprechend sollten sie sich stärker am Aktienmarkt engagieren. „Deshalb wurden Restriktionen für kreditfinanzierte Aktienkäufe reduziert und Chinesen mit einem Vermögen von mehr als rund 73.000 Euro wurde es gestattet, bestimmte Aktien kreditfinanziert zu erwerben“, erläutert der Postbanker. Die Bevölkerung stieg drauf ein, was dazu führte, dass sich im Verlauf des vergangenen Jahres das Wertpapierkreditvolumen verzehnfachte. „Von Ende 2014 bis Mitte Juni dieses Jahres verdoppelte es sich noch nochmals auf rund 365 Milliarden US-Dollar“, so Sonnenschein. 90 Millionen Privatanleger waren an der Börse investiert. „Sie bestritten rund 80 Prozent des täglichen Handelsvolumens und hielten ca. zwei Drittel des Free Float der chinesischen Aktien.“ Das restliche Drittel liege bei institutionellen Investoren. „Neuemissionen waren Selbstläufer“, berichtet der Postbank-Experte. „Sie waren stets deutlich überzeichnet und die Aktien stiegen am ersten Handelstag meist um 44 Prozent.“ Einen höheren Kursgewinn lasse die Börsenaufsicht nicht zu.

Sonnenschein vermutet, dass die Regierung nicht mit solch einer in Teilen kreditfinanzierten Aktienrallye gerechnet hat. „Ende Mai erhöhten die Wertpapierkredite vergebende Broker die Kreditkonditionen. Der Grund: Staatliche Stellen hatten sich nach den Volumina der vergebenen Wertpapierkredite erkundigt.“ Die Börsenaufsicht schränkte in der Folge die Möglichkeit zu kreditfinanzierten Wertpapierkäufen stark ein, wodurch die Rallye gestoppt wurde. „Auslöser für den Kurseinbruch waren die staatlichen Beschränkungen der kreditfinanzierten Aktienkäufe“, befindet Sonnenschein. „Verstärkt wurde der Abwärtsdruck durch die Verkäufe von kreditfinanzierten Aktienpositionen, bei denen erhöhte und eintretende Nachschussverpflichtungen den Investor zum Verkauf bewegen, sowie durch Gewinnmitnahmen.“

Die Peoples Bank of China (PBoC) reagierte auf den Kursverfall. Sie senkte am 27. Juni den Leitzins und reduzierte die Reserveanforderungen an die Banken. Als die Kurse weiter nachgaben, griff die Börsenaufsicht ein. „Am 3. Juli wurde das ‚short selling‘ für einen Monat verboten“, so Sonnenschein. „Am 4. Juli wurden die Chefs der 21 wichtigsten chinesischen Finanzinstitute zur Börsenaufsicht eingeladen und verpflichteten sich, einen Fonds mit 17,5 Milliarden Euro zum Ankauf von Aktien zu bestücken, eigene Aktien zurückzukaufen sowie keine Aktien zu verkaufen, bis der Shanghai Composite wieder ein Kursniveau von 4.500 Punkten erreicht hat.“ Aktuell steht der Index bei rund 3.760 Zählern. „Am 8. Juli wurden Aktionäre, die mit mehr als fünf Prozent an einer chinesischen Aktiengesellschaft beteiligt sind, verpflichtet, in den kommenden sechs Monaten keine Anteile zu veräußern“, führt Sonnenschein aus. „Außerdem wurden zur Beruhigung des Marktgeschehens Aktien vom Handel ausgesetzt.“ Am 8. Juli habe dies 1.287 Titel betroffen – 45,6 Prozent der in Shanghai und Shenzen gelisteten Unternehmen. „Das ‚Eingreifen‘ von offizieller Seite hat uns nicht überrascht, das Ausmaß der zur Stabilisierung der Börsenkurse ergriffenen Maßnahmen allerdings schon“, räumt der Investmentstratege ein. „Aber sie zeigten Wirkung und nach dem 8. Juli setzte eine Kurserholung ein.“ Diese dauerte bis zum 23. Juli an, dann gaben die Kurse erneut nach. Von offizieller Seite seien erneut Stützungskäufe angekündigt worden. „Der Doktor ist bereit, den Patienten mit weiterer Medizin zu versorgen“, beschreibt Sonnenschein die Maßnahme. „Die Frage ist, wie lange er dies noch muss bzw. wird.“ Denn die Krise sei noch längst nicht ausgestanden. 

Doch welche Folgen hat der Crash für die chinesische Volkswirtschaft? „Durch den Vermögensverlust, den chinesische Privatanlegerdurch den Kurseinbruch erfahren haben, erwarten wir keine entscheidenden negativen Auswirkungen auf den privaten Konsum“, beruhigt der Postbanker. „Und auch die chinesischen Banken befinden sich in einer insgesamt guten Verfassung.“ Deshalb dürften die Turbulenzen nach Ansicht des Experten keinen erheblichen negativen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung haben – zumal weder eine globale Finanz- noch eine Wirtschaftskrise in Sicht seien. „Vielmehr sollten die bereits ergriffenen fiskalpolitischen Maßnahmen und auch die angekündigten milliardenschweren Investitionsprogramme in Infrastrukturprojekte im Verlauf des zweiten Halbjahres den Immobilienmarkt und auch die Investitionen seitens der Unternehmen anschieben“, erwartet Sonnenschein, was ihn optimistisch für die konjunkturelle Entwicklung Chinas stimmt. 

Anleger sollten sich jedoch vorerst noch zurückhalten. „Kurzfristig raten wir von einem Engagement in chinesische Aktien ab“, warnt der Experte. „Durch die drastischen staatlichen Eingriffe sind die Marktkräfte aktuell ausgehebelt und die täglichen Kursbewegungen von hoher Nervosität geprägt.“ Anleger sollten abwarten, bis die Stützungsmaßnahmen beendet sind und wieder alle Aktien gehandelt werden. Einen Kollaps des Aktienmarktes im Reich der Mitte erwartet er jedoch nicht. „Der Staat wird dies mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern.“ Doch es brauche Zeit bis alle Kredite, mit denen Aktienkäufe finanziert wurden, abgewickelt sind. „Dennoch sind wir mittel- bis langfristig optimistisch für chinesische Aktien gestimmt“, so Sonnenschein. „Nach unserer Einschätzung überwiegen eindeutig die Vor- gegenüber den Nachteilen.“

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