Columbia Threadneedle: Ein Balanceakt zwischen Unsicherheit und Optimismus
Die Wirtschaftsdaten sind im Jahr 2023 besser ausgefallen als erwartet: Die Inflation ging zurück, der Arbeitsmarkt behauptete sich und es gab keine Rezession – das Wachstum war sogar beeindruckend robust.12.12.2023 | 09:49 Uhr
All diese, guten Nachrichten“ zwangen die amerikanische Federal Reserve (Fed) und andere Zentralbanken weltweit zu für längere Zeit höheren Zinsen. Jetzt beobachten wir, wie Unsicherheit in Bezug auf den Zeitpunkt von Zinssenkungen sowie das Ausmaß und Timing eines Wirtschaftsabschwungs den Marktteilnehmern Sorge bereiten. Erfahren Sie im Folgenden meine Gedanken mit Blick auf das Jahr 2024:
Geopolitische Risiken könnten schwerer wiegen als wirtschaftliche
Der allseits erwartete Wirtschaftsabschwung verzögert sich immer weiter. Wenn er schließlich doch eintritt, dürfte er meines Erachtens nicht übermäßig schlimm sein. Die relativen Risiken einer etwas höheren oder niedrigeren Inflation oder einer milderen oder tieferen Rezession sind zumindest bekannt. Unseres Erachtens werden geopolitische Risiken im Jahr 2024 gefährlicher sein. Sie könnten eher zu Enttäuschungen führen. Zu diesen geopolitischen Risiken zählen die Eskalation im Nahen Osten und die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China.
Abgesehen von den schrecklichen menschlichen Opfern der Eskalation im Nahen Osten sorgen diese Ereignisse kurzfristig für Volatilität und langfristig für Inflationsdruck. Dieser Druck wirkt sich direkt auf die Unternehmen aus, denn die Energieversorgung umzustellen oder neue Lieferketten aufzubauen wird kostspielig sein. Ein weiteres Fragezeichen stellen die Wahlen in den USA dar. Ob oder wie sie sich auf die Märkte auswirken werden, ist schwer vorherzusagen – und genau diese Unberechenbarkeit ist das Problem. Märkte hassen Unsicherheit.
Chancen in einem unsicheren Umfeld
Kurz vor dem Jahreswechsel müssen die Anleger ihren Optimismus hinsichtlich der Weltwirtschaft gegen die vielen Unsicherheiten, mit denen wir konfrontiert sind, abwägen. Bei Anleihen bedeutet das, dass Sie mittel- bis langfristige USStaatsanleihen und Investment-Grade Unternehmensanleihen mit soliden Renditen in Betracht ziehen könnten – oder auch Hochzinsanleihen mit verlockenden, nahezu zweistelligen Renditen.
Die Wahl hängt wirklich von Ihrer Einschätzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und Ihrer Risikobereitschaft ab. Bei Aktien dürfen Sie sich meiner Meinung nach nicht auf die kleine Gruppe der Unternehmen beschränken, die im Jahr 2023 den Markt anführten. Meines Erachtens werden sich die Wertzuwächse künftig verbreitern. Bereiche, die nicht solche Rallyes erlebten wie die stärksten Sektoren, könnten attraktiver sein.
Die Märkte differenzieren wieder
Während der Covid-19-Pandemie und unmittelbar danach verfolgten die Zentralbanken und Regierungen mit ihrer Geldbzw. Fiskalpolitik ein gemeinsames Ziel: die Stabilisierung der Wirtschaft. Sie setzten vielleicht unterschiedliche Taktiken ein, aber mit weitgehend demselben Ziel. Im Laufe des Jahres 2023 haben wir erstmals wieder eine gewisse Differenzierung der politischen Maßnahmen und wirtschaftlichen Ergebnisse beobachtet. Unserer Einschätzung nach könnte sich diese Differenzierung im Laufe des Jahres 2024 verstärken (Abbildung 1).
Die Fed könnte die Zinsen also für längere Zeit auf höherem
Niveau
belassen als beispielsweise die Bank of England. Denn aufgrund ihrer
kürzerfristigen Hypothekenkreditstruktur und insgesamt höheren
Zinssensitivität schwächt sich die britische Wirtschaft früher ab.
Europa konnte im Jahr 2023 eine Rezession vermeiden, was teilweise dem
milden Winter zu verdanken war. Er ermöglichte es, auch ohne russische
Lieferungen die Energiekosten niedrig zu halten. Möglicherweise
wiederholt sich das im Jahr 2024.
Abbildung 1: Ein bisschen weniger im Gleichschritt?
Konsenserwartungen für 2024
Quelle: Bloomberg/Columbia Threadneedle Investments, 25. Oktober 2023
Interessanterweise tun sich jetzt allmählich Lücken auf – auch bei den Bewertungen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 18 auf Basis prognostizierter Gewinne sind US-Aktien erheblich teurer als europäische und japanische Aktien mit KGVs von 12 bzw. 14. Ich glaube nicht, dass man derzeit nur wegen der Bewertung regionale Wetten eingehen sollte. Die Bewertungsunterschiede sind aber ein weiteres Beispiel für die zunehmende Differenzierung zwischen Märkten, die künftig Chancen eröffnen könnte.
Mehr Zeit für die Energiewende
Bei nachlassendem Wirtschaftswachstum könnte es sein, dass sich die Umsetzung von Programmen für die Energiewende verzögert oder, wie wir es im Vereinigten Königreich gesehen haben, einige Zusagen zurückgezogen werden. Das heißt nicht, dass wir diese Zusagen nicht einhalten werden, aber in einem schwächeren wirtschaftlichen Umfeld müssen diese Bemühungen wahrscheinlich gegen andere wirtschaftliche und Ausgabenprioritäten abgewogen werden.
Fazit: Vor einem Abschwung gibt es Chancen
Die Wirtschaft scheint sich auf einem durch niedriges oder sogar
nachlassendes Wachstum, sinkende Inflation und hohe Zinsen
gekennzeichneten Pfad zu befinden. Manche halten aufgrund der anhaltend
hohen Zinsen eine schwerere Rezession für möglich, andere rechnen mit steigender Inflation infolge eines fortgesetzten Wirtschaftsaufschwungs, einer Produktionskürzung der OPEC oder sogar der Auswirkungen eines Krieges. Die Anleger sollten sich auf den Mittelweg zwischen diesen Ausblicken einstellen, der meiner
Meinung nach das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten
sechs Monate darstellt.