Comgest: Compounder-Aktien – Marathonläufer mit Zinseszinseffekt
Junge, dynamische Tech-Titel, die exponentielles Wachstum versprechen, sind oft das Ziel von Anlegern, die nach "Kurs-Vervielfachern" suchen. Doch möglicherweise sind die eigentlichen, langfristigen Renditebringer woanders zu finden.06.06.2023 | 09:05 Uhr
Wolfgang Fickus, Produktspezialist bei Comgest, beleuchtet in Anlehnung an Lindy's Law die Lehren des Astrophysikers Richard Gott für Investoren und gibt Einblicke in sogenannte „Compounder"-Aktien.
Das Restaurant Lindy's Delicatessen in New York, ein
beliebter Treffpunkt der Broadway-Showbranche, spielte eine wichtige Rolle bei
der Entwicklung einer bemerkenswerten These des Princeton-Wissenschaftlers
Gott: Basierend auf seiner Analyse würden diejenigen Shows, die bereits lange
Zeit erfolgreich waren, auch in Zukunft auf der Bühne triumphieren. Von diesem
als „Lindy’s Law“ bekannten Phänomen abgeleitet, sollte die Lebenserwartung von
Technologien, Ideen und Unternehmen mit fortschreitendem Alter zunehmen. Auf
Qualitätswachstumsaktien angewandt bedeutet dies, dass die Vergangenheit eines
Unternehmens als Schlüssel für seine zukünftige Entwicklung gesehen werden
kann. Investoren nutzen diese Strategie, indem sie die Performance eines
Unternehmens in den letzten drei, fünf oder zehn Jahren analysieren. „Obwohl
Unternehmen von Menschen gegründet und geleitet werden, unterliegen sie nicht
dem natürlichen menschlichen Verfall und können über Generationen hinweg
florieren. Während jedes Jahr zahlreiche neue Unternehmen entstehen und andere
aufgeben, haben gerade diejenigen Unternehmen, die schon lange erfolgreich
sind, die besten Aussichten, auch in der Zukunft Erfolg zu haben. Dieser
darwinistische Selektionsprozess verleiht solchen etablierten Unternehmen eine
Wettbewerbsstärke, die sie auf lange Sicht behalten können. Sie werden zu
Marathonläufern“, sagt Wolfgang Fickus.
Die Macht der Zinseszinsen
So war etwa das am längsten ununterbrochen operierende Unternehmen der Welt,
das auf den Bau buddhistischer Tempel spezialisierte japanische Baugeschäft
Kongo Gumi, bis zu seiner Übernahme im Jahr 2006 mehr als 1400 Jahre lang im
Geschäft. Manche Verbrauchermarken wie L’Oréal sind immerhin seit mehr als 100
Jahren erfolgreich und Microsoft besteht in der schnelllebigen IT-Branche seit
fast 50 Jahren. „Diese Unternehmen sind über die Zeit nicht im negativen Sinne
gealtert, im Gegenteil: Je länger sie existierten, desto stärker wurden sie.
Denn: Herausragende Unternehmen, die über einen längeren Zeitraum stark
wachsen, erfahren oft den sogenannten Compounding-Effekt“, führt Fickus weiter
aus.
Diese Compounder-Aktien erwirtschaften nicht nur eine konstante Rendite auf das
investierte Kapital (ROIC), sondern besitzen auch die Fähigkeit, den
erwirtschafteten Gewinn und Cashflow sinnvoll ins Wachstum des eigenen
Geschäfts zu investieren. Das unterscheidet sie oftmals von Unternehmen, die
hohe Dividenden ausschütten. Denn durch die profitable Reinvestition innerhalb
des Unternehmens nutzen sie den Zinseszinseffekt. Diese ,,Marathonläufer‘‘
müssen nicht in jedem einzelnen Jahr ihren Gewinn je Aktie außerordentlich steigern.
Sie müssen aber klar demonstrieren, wie sie über die lange Distanz erfolgreich
wachsen möchten. So gewinnen sie im Lauf der Zeit Marktanteile auf bestehenden
Märkten oder in neuen Regionen, sie investieren in Innovationen, Produkte und
in Vertriebskanäle oder expandieren in angrenzende Segmente. Wenn sie dabei
erfolgreich sind, erhöhen solche Investitionen – organisch oder durch
Übernahmen – ihre Stärke und Marktposition. Die Wirkung dieses Effekts nimmt
mit der Zeit exponentiell zu und wird so zu einer wichtigen Renditequelle.
Lindy's Law stellt Finanztheorie infrage
Ein Grund für die oft starke Marktposition liegt in der ,,The Winner Takes It
All‘‘-Regel: Große und erfolgreiche Firmen entwickeln sich in einem
selbstverstärkenden Erfolgskreislauf. Das widerspricht auf den ersten Blick
gängigen Regeln, etwa zur zeitlich begrenzten Wettbewerbsvorteilsperiode
(„Competitive Advantage Period‘‘) oder der Rückkehr zum Mittelwert (,,Mean
Reversion‘‘). Doch diese traditionellen Finanztheorien versagen manchmal bei
der Vorhersage der Zukunft. „Seit seiner Gründung im Jahr 1909 hat sich L’Oréal
zu einer globalen Power-Marke im Kosmetikbereich entwickelt. Der Konzern hat
seinen Gewinn pro Aktie in den letzten 40 Jahren um 11 Prozent pro Jahr und
seine Dividende um 14 Prozent p.a. gesteigert. L’Oréal hat sein Standbein in
den USA und China aufgebaut und verzeichnet ein starkes Online-Wachstum“, lässt
der Comgest-Produktspezialist wissen. Um erfolgreich in solche Firmen zu
investieren, dürfen Anleger sich aber nicht einfach auf eine großartige
Vergangenheit verlassen, sondern müssen den langfristigen Wachstumstrend
aufmerksam beobachten. Denn natürlich ist nicht jedes Traditionsunternehmen
auch in der Zukunft profitabel, genauso wenig wie jedes junge Unternehmen früh
scheitert. Manche Traditionsunternehmen bleiben auf der Strecke oder kommen vom
Weg ab, wie etwa die britische Handelskette Tesco in den 2010er Jahren oder der
IT-Konzern IBM in den 1990er Jahren.
Defensive Strategie
Was echte ,,Marathonläufer‘‘ ausmacht, zeigt sich erst, wenn sie in ihrer
Existenz über Jahrzehnte hinweg viele Krisen und Rezessionen durchlebt und
gemeistert haben. Nur dadurch haben sie ein umfassendes Arsenal an Strategien
entwickelt, um nicht nur unter Idealbedingungen wachsen zu können. „Anleger,
die sich an Lindy’s Law orientieren, verfolgen daher eher eine defensive
Wachstumsstrategie mit einem Renditepotenzial, das mit dem Anlagehorizont
proportional ansteigt. Die Zeit spielt nämlich zugunsten der
Wachstumsinvestoren, wenn sie die richtigen Unternehmen identifizieren und
langfristig in sie investieren“, ist Fickus überzeugt.