CONREN: Jeder hat eine Strategie, bis er ins Gesicht geschlagen wird
Andreas Lesniewicz im Interview zu den Parallelen zwischen Boxen und Investieren.22.08.2023 | 08:23 Uhr
Sie betreiben Boxen als Ausgleich und um sich körperlich fit zu halten. Welche Ähnlichkeiten sind Ihnen zwischen diesem Hobby und Ihrem Beruf aufgefallen?
Als Mike Tyson auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft auf die Strategie seines Gegners angesprochen und gefragt wurde, was er davon halte, sagte er: „Jeder hat eine Strategie, bis er ins Gesicht geschlagen wird“. Das kann ich aus eigener Erfahrung sowohl fürs Boxen als auch fürs Investieren bestätigen.
Beim Investieren gibt es viele Diskussionen darüber „wie man nächstes Mal den Bärenmarkt nutzen und billig einsteigen wird“ oder andersherum „nächstes Mal verkaufen wir früher“… ähnlich eben wie Mike Tysons Gegner, die sich eine Strategie in ihrem Kopf zurechtgelegt hatten: Wenn Mike nach links, dann ich nach rechts und so weiter. Die nicht immer laut ausgesprochene Reaktion ist sowohl im Box-Gym als auch beim Investment-Plausch fast immer: „Ja, vielleicht – aber wahrscheinlich nicht.“
Welche Schlüsse haben Sie daraus für das Investieren gezogen?
Jede Strategie ist eben nur so gut, wie sie die nächste Krise besteht (und Krisen haben wir ja genug in den letzten Jahren erlebt) – eben bis der Test kommt, in dem Mike Tyson einem ins Gesicht schlägt. Ein Gefühl das für uns Investoren bei Marktpaniken nicht unähnlich ist. Panik hat Märkte schon immer maßgeblich getrieben und Angst bzw. diese zu überwinden ist auch beim Boxen von zentraler Bedeutung. Gefühle überwinden oder nutzen und diese nicht die Entscheidungsfindung emotionalisieren zu lassen.
Gerade in den aktuellen Zeiten. Sie können mir glauben, dass ich als Investor viele dieser Schläge ins Gesicht und vielleicht noch mehr in die Margengrube in den verschiedenen Bärenmärkten sehr gut erinnere. Als Portfoliomanager habe ich mich gerade daher auf Investments in Aktien von Familienunternehmen in Europa spezialisiert. Es ist für mich die Strategie, die auch Schlägen ins Gesicht nachhaltig standhält. Diese Unternehmenslenker sind kampferprobt, zäh und Aufgeben kann für sie keine Option sein. Die Qualität der Unternehmen und die Interessenharmonie mit den Unternehmenslenkern, den Unternehmerfamilien, gibt auch unter Feuer die nötige Ruhe.
Gibt es weitere Parallelen, die man für das Investieren nutzen kann?
- Natürlich möchten alle den großen Knock-out sehen und immer wieder über diesen sprechen – wie beim Investieren, den großen Deal und jeden Trend mitmachen. Doch bei einem guten Boxkampf zählt jede Runde, jede Finte, jeder Schlag und vor allem die Beinarbeit. Über die Zeit erhöhen wir so die Wahrscheinlichkeit auf den Sieg. Auch als langfristige Investoren nehmen wir uns die Zeit mit Ruhe auf die besten Risiko-Chance-Relationen zu warten. Wie ein Boxer auf eine gute Gelegenheit durch die Deckung des Gegners zu gelangen wartet. Allerdings gibt es einen großen Unterschied: Boxkämpfe dauern bis zu 15 Runden, Pokerturniere mehre Stunden (in denen Profis oft nur jede zehnte Hand spielen), aber Investmentzyklen dauern viele Jahre.
- Für Boxen und Investieren gilt, nach meiner Überzeugung, „Keep it simple“! Gerade im Stress des Kampfes beziehungsweise der Panik, wird man das Komplizierte vergessen oder nicht mehr verstehen. So bleibt im Boxen der Jab (eine gerade Linke) der wichtigste Schlag.
- Ein guter Boxkampf entwickelt sich über viele Runden – oft gewinnt nicht der Kämpfer, der in den ersten Runden gut aussieht und in diesen vielleicht aktiver ist, sondern der Kämpfer mit der besseren Strategie, mit mehr Geduld, Ruhe, Umsetzungsdisziplin und Ausdauer. Man muss sehr vorsichtig bei der Beurteilung eines Kämpfers oder Investors nach den ersten Runden sein. Sicher ist, dass es nichts bringt, wenn man spekuliert und ein paar Runden gut aussieht, um dann in der 11. und 12 Runde alles zu verlieren.
- So viele Theorien und Strategien, wie man Märkte sicher und nachhaltig schlagen kann, wurden mir in meiner Karriere vorgestellt. Fast alle haben sich, trotz all dem Backtesting, all den Zusicherungen, der Begeisterung, manchmal der Frustration, dass nicht alle das Geniale an der Strategie sofort auch sehen, (spätestens) in der nächsten Marktkrise in Luft aufgelöst. Im Boxen, wie beim Investieren gibt es einen sehr klaren Test: Beim Investieren den Markt und beim Boxen den Ring – so einfach ist das.
- Es ist immer wieder beängstigend, wie nah man an seinem Gegner dran sein muss, um ihn oder sie treffen zu können. In der “Greenzone“, also außer Reichweite, kann man nicht getroffen werden, aber man kann eben auch nicht treffen. Beim Investieren gilt das genauso: wenn man treffen kann, kann man in der Regel auch getroffen werden. Man muss entscheiden wann es sich lohnt aus der Deckung zu kommen.
- Erst kommen die Schmerzen und dann kommt die Rendite: das ist eine alte Börsenweisheit…und ebenfalls sehr gut aufs Boxen anwendbar. Viel nachhaltig erfolgreiche Boxern beginnen ihren Tag frühmorgens, wenn alle anderen noch schlafen, mit Joggen. Im Dunkeln über Märke zu lesen, wenn es draußen noch dunkel ist, wird vielen Investoren bekannt vorkommen.
- Es gibt keine absolute Sicherheit oder Ruhephase im Ring. Wie beim Schwimmen, muss man sich permanent bewegen und es gilt „protect yourself at all times“. Ein Lucky Punch kann immer kommen. Diesen kann mit Tail-Risk beim Investieren vergleichen.
- Beim Boxen wie auch beim Investieren gehen viele der eigenen Schläge daneben. Gleichzeitig wird jeder auch (vom Markt oder Gegner) getroffen – egal wie gut die defensiven Qualitäten sind. Damit gilt es umzugehen. Im Boxen trainiert man, in intensiven Situationen ruhig zu bleiben. Investoren müssen ebenfalls ihre Emotionen im Griff haben und nicht impulsiv auf Marktschwankungen reagieren. Eine klare Strategie, klare Prozesse und (Krisen)Erfahrung helfen dabei.
- Es gibt keine Silberkugeln: Boxen und Investieren sind Handwerk, Fleiß und Konsistenz sowie damit Zinseszins über die Zeit. Dazu kann die falsche Erwartungshaltung, wie zum Beispiel, sichere, konstante Renditen oder dauerhaft extreme Renditen, sehr gefährlich sein. Das gilt auch fürs Boxen – fragen sie mal ein paar Gegner von Mike Tyson.