Der private Sektor übernimmt Verantwortung

Titel der Publikation: Der private Sektor übernimmt Verantwortung
Veröffentlichung: 04/2020
Autor: Dambisa Moyo
Auftraggeber: Project Syndicate
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Wenn die globale Finanzkrise von 2008 die schlimmsten Seiten des Kapitalismus bloßgelegt hat, so zeigt die Reaktion des privaten Sektors auf die COVID-19-Pandemie schon jetzt seine allerbesten

28.04.2020 | 07:45 Uhr

Die Zahl der weltweiten COVID-19-Fälle übersteigt inzwischen eine Million, und die der Todesopfer liegt bei über 70.000, Tendenz steigend. Das volle Ausmaß der weltweiten wirtschaftlichen Folgen ist weiterhin unklar. Klar jedoch ist, dass die Welt dringend einer herkulischen Antwort sowohl durch die Regierungen als auch durch den privaten Sektor bedarf, um eine verheerende Rezession abzuwenden.

Nach der Krise von 2008 sahen sich die Unternehmen harter Kritik und sogar Anklagen der Gewinnmaximierung unter Missachtung der umfassenderen Bedürfnisse der Gesellschaft ausgesetzt. Heute jedoch erleben wir, wie Unternehmen in Reaktion auf die globale Gesundheitskrise Verantwortung übernehmen. Während einige Unternehmen angesichts der Schwere der Krise staatlicher Unterstützung bedürfen werden, um zu überleben, können andere der Regierung etwas von der Gesamtbelastung abnehmen, indem sie Teil der Lösung werden. 

Führende Pharmaunternehmen haben Ressourcen in die Entwicklung von Diagnoseverfahren, Medikamenten und, hoffentlich, einem Impfstoff gegen COVID-19 umgeschichtet. Der Schweizer Pharmariese Roche etwa hat den ersten für den kommerziellen Einsatz zugelassen COVID-19-Test entwickelt. Die Entscheidung der US-Arzneimittelaufsicht FDA, dem Unternehmen eine Sondererlaubnis zum Verkauf seines Tests an Labore in den USA zu erteilen, wird die unzureichenden Testkapazitäten des Landes deutlich verbessern. Das Gesundheitsunternehmen Verily, eine Google-Tochtergesellschaft, hat Berichten zufolge 1700 Techniker zur Entwicklung eines webgestützten COVID-19-Screeningtests abgestellt.

Zugleich haben einige Krankenversicherungen – insbesondere in den USA, wo die Mehrzahl der Krankenversicherungen private Unternehmen sind – ihre Vertragsbedingungen angepasst, um den Menschen die nötige medizinische Betreuung zu ermöglichen. Das Blue Cross/Blue Shield-Versicherungsprogramm für Bundesbedienstete, das Millionen von staatlichen Angestellten und ihre Familien versichert, verzichtet auf Zuzahlungen für Behandlung und Tests, die sich auf tausende Dollars belaufen können.

Viele weitere Branchen, so etwa die Automobilhersteller, leisten ebenfalls einen Beitrag. Sie haben Mitarbeiter aus gewinnbringenden Aktivitäten abgezogen und setzen sie nun zur Produktion wichtiger Ausrüstung, wie der Schutzausrüstung für medizinisches Personal (z. B. chirurgischen Mundschutzen, Gesichtsschutzmasken und OP-Kitteln) und Beatmungsgeräten, ein.

Das US-Einzelhandelsunternehmen Walmart hat zugestimmt, die Parkplätze einiger seiner Läden in COVID-19-Testzentren umzuwandeln. Und Hotels in Deutschland, Großbritannien und den USA haben ihre Gebäude zu provisorischen Krankenhäusern umfunktioniert, um den Anstieg der Patientenzahlen bewältigen zu helfen.

Private Unternehmen haben zudem die Einhaltung der Distanz- und Quarantäneregeln erleichtert, indem sie die Lieferung von Lebensmitteln, Haushaltsartikeln und anderen Kleinwaren ausgeweitet haben. Dank der schnellen Entscheidungen und betrieblichen Flexibilität von Lieferanten und Herstellern verläuft der Fluss benötigter Waren vielerorts weitgehend unterbrechungsfrei.

Um mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten, haben viele dieser Unternehmen sogar begonnen, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. Amazon etwa hat die Schaffung von 100.000 neuen Arbeitsplätzen angekündigt, deren Bezahlung über dem Mindestlohn liegen soll. Derartige Bemühungen sind in einer Zeit, in der erzwungene Betriebsschließungen zu einem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit beitragen, besonders wertvoll. In den USA hat im März in einer einzigen Woche eine Rekordzahl von 6,6 Millionen Arbeitnehmern Arbeitslosenunterstützung beantragt. In der Vorwoche hatten 3,3 Millionen Menschen derartige Anträge gestellt – das ist fast das Fünffache des bisherigen Rekords von 695.000 Anträgen aus dem Jahr 1982.

Die Interventionen des privaten Sektors setzen öffentliche Ressourcen für Aktivitäten frei, die klar in den Aufgabenbereich des Staates fallen, so etwa die fortdauernde Bereitstellung von Unterricht, Krankenbetreuung, Infrastruktur und anderen grundlegenden öffentlichen Gütern. Zudem müssen die Regierungen aggressive Haushaltsmaßnahmen umsetzen, darunter Rettungsmaßnahmen für die am stärksten betroffenen Sektoren (wie etwa Fluglinien und die Kreuzfahrtbranche) und direkte Hilfen für Arbeitnehmer und Kleinunternehmen. In den USA werden derzeit zwei Billionen Dollar in derartige Maßnahmen geleitet; das ist das größte fiskalpolitische Konjunkturpaket in der Geschichte des Landes.

Der Staat wird zudem eine maßgebliche Rolle dabei spielen, die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen, um eine Kreditverknappung zu vermeiden. Schon jetzt haben einige Notenbanken – darunter die US Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und die Bank von England –aggressive Zinssetzungen umgesetzt und zugesagt, die Banken in die Lage zu versetzen, von COVID-19 betroffenen Unternehmen und Einzelpersonen preisgünstige Kredite und Tilgungspausen anzubieten.

All dies ist unverzichtbar, um die Wirtschaft zu stützen, und wäre sehr viel schwieriger, wenn der private Sektor keinen Beitrag zum Kampf gegen die Pandemie leisten würde. In ähnlicher Weise werden die Erholung von der fast sicheren tiefen Rezession und der Wiederaufbau der Weltwirtschaft ebenfalls das Engagement des privaten Sektors erfordern, und das Gleiche gilt für andere weltweite Notwendigkeiten, darunter die Verringerung der Armut, die Ausweitung des Zugangs zu einer hochwertigen Bildung und die Bekämpfung des Klimawandels.

Alle diese Herausforderungen zu erfüllen erfordert die Art von Innovation, bei der der private Sektor hervorragt. Wenn die privaten Unternehmen die Voraussicht, Anpassungsfähigkeit und das Mitgefühl aufrecht erhalten, die viele in den letzten Wochen gezeigt haben, werden sie am Ende dieser Krise ihren wahren Wert für die Volkswirtschaften und Bevölkerungen, denen sie dienen, unter Beweis gestellt haben.

Dambisa Moyo ist eine internationale Ökonomin und Verfasserin von vier Büchern auf der Bestseller-Liste der New York Times, darunter Edge of Chaos: Why Democracy Is Failing to Deliver Economic Growth – and How to Fix It.

Copyright: Project Syndicate

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